Die Polen und der Prog Rock - in unserem Nachbarland existiert eine wahrlich außergewöhnliche Szene. Aber da geht doch noch was ... haben sich Michał Fiałka, Łukasz Simiński und Jakub Puszyński gedacht und anno 2010 Abstrakt aus der Taufe gehoben. Nach zwei EPs, die zusammen mit Gästen an Keyboards und Mikro entstanden, stieß 2013 Sänger Krzysztof Podsiadło zur Band hinzu. Auf dem Album "Limbosis" kümmert sich Maciej Dados um die Tasten; nach dem Release wurde er schließlich zum fünften fixen Bandmitglied. Und die fünf passen gut zusammen: "Limbosis", mit mehr als 70 Minuten prallvoll, ist nicht nur ein polnisches Plus an Quantität, sondern auch an Qualität.
Ziemlich zweifelsfrei darf man konstatieren: Abstrakt ziehen den Hörer in ihren Bann - und das ist doch schon mal ein Pfund. Die Band agiert 'intensiv'. Stets düster gestimmt pendelt man zwischen ein bisschen lyrischer und ganz, ganz viel brachialer Melancholie. Ein bisschen Gothic, ein bisschen Psychedelic und einiges an Metal stecken mit drin. Böse, dunkle Riffs, aber auch die surreal-fragile Stimmung aus dem Keyboard sorgen dafür, dass Abstrakt mal locker in den Duden als Synonym für 'Partykiller' aufgenommen werden könnten, wo Bands wie Fates Warning und Tool ihren festen Platz haben. Denn auch das hier ist moderne 'E-Musik'.
Die acht Stücke auf "Limbosis" fallen allesamt unter unter die Kategorie 'episch'; sechseinhalb bis zehneinhalb Minuten groß sind die musikalischen Pakete, die die Band ausliefert. Mal nehmen sie sich wie in "The Bus" Zeit, um aus einer eher introvertierten Stimmung heraus schwermetallische Energie zu entwickeln - sowohl die Tempo-Drives als auch die zäh-bösen Lava-Passagen mit ölig-schmierigen, tiefgestimmten Gitarren sind mitreißend. Und mal kommt die Heaviness auch plötzlich und ohne Vorwarnung. Toll ist beispielsweise manch solcher Ü-Effekt bei "Clockhouse", was auch sonst ein Highlight des Albums darstellt - der Einsatz eines Kinderchores in den wehmütigen, aber zugleich spannenden Passagen ist nur eines von vielen wertvollen Details.
Ein weiterer klasse Track ist "Wolf". Zunächst tief melancholisch und wie in Trance, rollen später zerstörerische, vor Spannung fast berstende Riff-Walzen durch den Song. Dieser Grat zwischen Härte und Zerbrechlichkeit könnte von 'neueren' Fates-Nummern wie "River Wide Ocean Deep" beeinflusst sein. Deren Anhänger, aber auch Fans von Overhead, Galahad, Pain Of Salvation oder Riverside sollten Abstrakt unbedingt mal ein Ohr leihen. Trotz komplexer Songstrukturen verzettelt sich die Truppe nie - höchstens experimentierfreudig wird es mal, wie bei "Greatnot", dessen knapp neun Minuten ihren Eindruck unbedingt als Gesamtpaket hinterlassen wollen. Aber welcher Prog-Fan steht nicht darauf, sich auch auf anspruchsvollere akustische Reisen einzulassen ...
Apropos 'Reisen' - das abschließende "Journey" nimmt uns auf einen ganz schönen Trip mit. Nach einigen introvertierten Minuten folgt eine Passage mit Fantasy-Anmutung: Sprechparts mit viel Hall und ein paar Metal-Screams - das ist ja schon beinahe ein Hauch von Cirith Ungol ... natürlich ein Gedankengang, der mit einem kleinen Smilie erlaubt ist. Was fehlt Abstrakt nun, um zu den ganz, ganz Großen zu gehören? Vielleicht außer ihren wirklich überzeugenden Songarchitekturen und Stimmung(sschwankung)en auch noch die ein oder andere ganz, ganz große Melodie. Sicherlich zählt Sänger Krzysztof auch trotz klasse Beiträgen nicht zu jenen, die man unter hundert anderen sofort heraushören würde. Trotzdem ist er ein Guter mit feinem Sinn für Theatralik.
Zum Reinhören und -schauen empfiehlt sich das Lyric-Video zu "Teratoma" auf der Band-Homepage - eines der eindrücklichsten, das ich bisher gesehen habe. Darin kommt auch die Skulptur vom CD-Cover vor, an der reichlich rumgemeißelt wird. Auch hier ist zu spüren, dass Abstrakt gern in großen Dimensionen denken. "Limbosis" ist ein Konzeptalbum. Auch wenn das große Thema nicht explizit genannt wird, zieht sich doch ein Vater-Sohn-Thema durch einige Songs, wie beispielsweise in besagtem Opener, wo der Vater darauf bedacht ist, sich seinen Sohn zu formen, wie er ihn haben will. Und dann ... ist der Sohn doch nicht so 'perfekt'? Gar ein Pädophiler? Zumindest könnte man den Inhalt von "Wolf" so verstehen. Beklemmend, beim Hören die Lyrics zu verfolgen, wie ein 'Wolf' ganz offensichtlich ein 'Rotkäppchen' verführt. Das lässt einen beim Hören nicht kalt.
Line-up:
Krzysztof Podsiadło (vocals)
Michał Fiałka (guitar)
Jakub Puszyński (bass)
Łukasz Simiński (drums)
Guest musician:
Maciej Dados (keyboard)
Grzegorz Skowron (didgeridoo)
Children's choir from Kwilcz
Tracklist |
01:Teratoma (10:34)
02:The Bus (8:55)
03:Clockhouse (7:37)
04:Wolf (10:23)
05:Bloody Mary! (10:40)
06:Liars Symphony (6:32)
07:Greatnot (8:47)
08:Journey (10:17)
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