Ja, sowas soll's auch geben: Obwohl mir diese Band bzw. deren Name seit guten 20 Jahren ein Begriff ist, dauerte es bis zum April 2009, bis ich die ersten Songs von Agitation Free genießen durfte. Der Bandname war für mich immer untrennbar mit der Berliner 68er Generation verbunden. Logischerweise natürlich auch, weil die Krautrocker vor allem in dieser Zeit, von ca. 1967 bis 1974 aktiv waren. Und obwohl die Band nie wirklich über den Status eines legendären Underground-Tipps hinauskam, so tourte man durchaus auch im europäischen Ausland, war bei einem Kultur-Programm im Rahmen der Olympischen Spiele 1972 in München mit von der Partie und wurde gar vom Goethe-Institut auf musikalische Konzert-Reisen nach Ägypten und Asien gesandt.
Agitation Free waren in den frühen Siebzigern laut ihrer Biografie eine der interessantesten und kulturell Qualität-intensivsten Bands der deutschen Szene, bzw. des so genannten Kraut Rocks. Im Jahr 1974 hatten sich die Bandmitglieder künstlerisch jedoch so sehr auseinander gelebt, dass die Protagonisten beschlossen, die Gruppe aufzulösen. Wie es der Zufall allerdings wollte, traf man sich fast 25 Jahre danach auf einer Veranstaltung in Berlin wieder, spielte spontan noch einmal zusammen und beschloss darauf, wieder gemeinsame Sache zu machen.
Und so kam es dann im Jahr 1999 zu dem Comeback-Album "River Of Return". Um die Katze an dieser Stelle gleich mal aus dem Sack zu lassen, darf ich erwähnen, dass es sich bei besagtem Comeback-Album aber, wenn überhaupt, dann nur noch ganz entfernt um Kraut Rock handelt. Das soll aber noch lange nicht heißen, dass hier keine Qualität abgeliefert wurde. Die acht, bzw. neun (wenn man das Outtake "Keep On" dazu zählt) Stücke des Original-Albums sind vor allem eines geworden: Nämlich angenehm fließend, relaxt, träumerisch, sehr visuell und mit tollen Ideen gesegnet.
Der Opener ist gleichzeitig der Titelsong und umschmeichelt zunächst mit einer herrlichen Akustik-Gitarre das Ohr. Weiterhin bleibt alles entspannt, während sich nach und nach das Schlagzeug sowie eine schönes Saxophon hinzu gesellen. Nach etwa zweieinhalb Minuten wird etwas angezogen, aber der Track fließt, ganz seinem Titel entsprechend, mit der Souveränität eines Stromes, der mal aufbrausender oder ganz friedlich seinen Weg zum Ziel sucht, dahin, so geduldig wie behaglich in Richtung seiner Endbestimmung, dem Ozean. Ein überraschend ruhiger Start.
"2 Part 2" behält die gesetzte Atmosphäre bei, ergänzt um das hier prominentere Keyboard und eine tolle Flöte. Und dennoch landet man bei diesem zweiten Stück, vorher noch in der Natur, gefühlsmäßig wieder im Großstadt-Dschungel. Auch "Fame's Mood" ist vor allem wieder ein relaxtes, so einnehmendes wie entspanntes Akustik-Gitarren-Stück. Angereichert durch die tolle Rhythmus-Abteilung und natürlich die Elektrische.
Der erste 10-Minüter hört auf den galanten Namen "Susie Sells Seashells At The Seashore" und baut sich erstmal ganz langsam auf, man befindet sich offensichtlich an einem trägen Tag am Meeresstrand, und… verbleibt überraschend dabei. Sehr charismatisch, atmosphärisch und cool, selbst wenn man immer mit einem musikalischen Ausbruch rechnet, der dann doch nicht kommt.
Auch wenn es bei den restlichen Stücken durchaus mal flotter wird, so wird der relaxte Grundton der Scheibe jederzeit beibehalten. Musikalisch wird ein lockeres Wechsel-Spiel betrieben und die Gitarren, Keyboards oder auch das Saxophon befinden sich bezüglich der Rangordnung auf einer Stufe, während sie sich in fliegendem Wechsel als Solo-Instrumente abwechseln. Bei dieser Neuauflage von "River Of Return" bekommen wir als Bonus noch zwei zusätzliche Titel geboten. Zum einen das Album-Outtake "Keep On", das sich wesentlich rockiger als der Rest präsentiert, ansonsten jedoch wie die Faust aufs Auge zu den anderen Stücken passt.
Als Rausschmeißer dient dann der über 10-minütige Live-Song "First Communication" von einem Konzert im Februar 1972. Ganz klar, dass hier dann schon ein erheblicher Unterschied zu dem Rest des Materials vorhanden und zu erkennen ist. Eine herrlich krautige Jam-Nummer mit so melodischen wie expressiven Gitarren-Melodien, heftigem Bass und angejazztem Schlagzeug. Deutlich wird eigentlich im Verlauf der kompletten Scheibe, dass Agitation Free sowohl in den frühen Siebzigern wie auch vor 10 Jahren ein ganz eigenes Feeling, eine ganz eigene Atmosphäre kreiert haben. Ein Gut, auf das damals wie heute so manch andere Band neidisch sein konnte/kann.
"River Of Return" ist eine absolut positive Überraschung für mich, der nach der wilden Kraut Rock-Zeit von Agitation Free dieses Album so malerisch, in sich ruhend und mit instinktivem Selbstbewusstsein ausgestattet, nicht erwartet hätte.
Und zeitgemäß ist die Scheibe ebenfalls, wofür unter anderem der ehemalige Spliff-Musiker 'Potsch' Potschka mit seiner gelungenen Produktion sorgte. Wer die Band immer schon mochte, der wird sich über diese Neuauflage ohnehin freuen. Ansonsten kann man "River Of Return" denjenigen ans Herz legen, die auf entspannte Klänge abfahren, ohne auf anspruchsvolle Mucke verzichten zu wollen. Ich bin auf jeden Fall so angetan, dass ich jetzt damit anfangen werde, tiefer in die Vergangenheit der Band einzutauchen.
Line-up:
Lutz Ulbrich (guitars, keyboards, ukulele)
Gustl Lütjens (guitars, keyboards)
Michael Günther (bass)
Burghard Rausch (drums)
Gäste:
'Potsch' Potschka (guitars, mandolin, udu, samples)
Minas Suluyan (percussion)
Alto Pappert (saxophone)
Chris Dehler (overtone vocals)
Koma (bagpipe)
Tracklist |
01:River Of Return
02:2 Part 2
03:Fame's Mood
04:Susie Sells Seashells At The Seashore
05:The Obscure Carousel
06:Nomads
07:Das kleine Uhrwerk
08:Spectacular Sunrises
Bonus-Tracks:
09:Keep On
10:First Communication
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