Amon Ra / We Never Said Good-Bye
We Never Said Good-Bye Spielzeit: 71:53
Medium: CD
Label: Nature House Records, 2015
Stil: Prog Rock

Review vom 06.05.2016


Boris Theobald
Endlich habe ich Bamberg gefunden - irgendwo bei 36° Nord/-42° Ost liegt es, mitten im Atlantik. Zumindest musikalisch ließe sich das Phänomen Amon Ra so einordnen. Denn auch die musikalischen Koordinaten der Bamberger Band sind zwischen Europa und Nordamerika zu verorten - irgendwo interessant-diffus zwischen britischem Neo Prog und nordamerikanischen AOR. Und das ist bei Weitem nicht das einzig Faszinierende an dieser Band. Amon Ras Geschichte beginnt mit dem Debütalbum "Precarious Balance" im Jahr 1999, mit dem man unter anderem mit Saga auf Tour ging. Ein Nachfolger des Debütwerks ließ sich nicht mehr realisieren, obwohl es an musikalischen Ideen nicht mangelte.
Amon Ra lag auf Eis, bis satte 17 Jahre später dieses zweite Werk im Studio von Drummer Lothar Hermann das Licht der Musikwelt erblickt hat: "We Never Said Good-bye". Der Titel ist also irgendwie Programm. Die Band ist von fünf auf drei Mitglieder geschrumpft. Doch das Trio hat natürlich alles im Griff und außerdem auch noch gute Ideen, um die allerlei 'alte' Songideen ergänzt wurden, die aus der Zeit um das Jahr 2000 stammen. Welche Fragmente aus welcher Zeit stammen, ist für den neugierigen Hörer nicht herauszufinden - aber wieso auch: Das Ergebnis ist richtig gut; der bereits angedeutete transatlantische Stilmix äußerst hörenswert.
Da lässt zunächst mal der Opener "Master Of Strings" keinerlei Zweifel an der Qualität von Songwriting und Darbietung, und zwar ganz und gar im britischen Stil. Die dramaturgisch wohl strukturierte Mischung aus Mysti-Atmos und harten Gitarren sollte keinen Fan von Pendragon oder Galahad kalt lassen. Genial, wie man auch in einem ausgedehnten, geheimnisvoll-schauderhaften Flüster-Break nach zwei Dritteln des Stücks mit Chor-Samples und leicht bedrohlichen Kaskaden-Riffs diese subversive Stimmung aufrecht erhält. Und dann kommt so ein Stück, bei dem du denkst, sie jammen mit Kansas. "Time Will Come To Your Rescue" spielt lyrisch-komplex mit Klavier- und Streicher-Arrangements. Diese Nummer ist wunderbar positiv; und der Chorus ist einer, der in bester Tradition von Bands wie Boston oder Chicago eigentlich in amerikanische Radios gehört und das Potenzial hat, warme Schauer über den Rücken laufen zu lassen: »When there's no hope in sight, reaching for the light, time will come to your rescue« ...
Im weiteren Verlauf der stattlichen 72 Minuten von "We Never Said Good-Bye" kombiniert die Band ihre verschiedenen Einflüsse zu Songs, die allesamt bemerkenswert eigenständig klingen. "Dance Of Duty" klingt düster und heavy, bewegt sich aber ebenso dynamisch und differenziert nach vorn. "Rocket Man" - eine rein akustische Träumerballade. Und "The Long Dark Road" ist geprägt durch die Kombi aus E- und Akustik-Gitarren - die Fingerbrecher-Läufe Thomas Wenzels da an der Akustischen sind schon der Hammer. Und immer mal wieder klingt es eben auch 'amerikanisch', wie im Eagles-liken Intro von "Where When And Why" oder auch über weite Strecken von "Slipping Away", einem großen Schatz in Amon Ras Truhe, der sich Stück um Stück entfaltet und erst nach drei Minuten die elektrische Zündstufe aktiviert. Hier gibt es durchaus ein paar Anleihen des Country Rock.
Etwas schräg wird es bei "Tango Mortale", einer mexikanischen Gaunerklamotte inklusive Akkordeon-Riffs und Sprech-Parts, die die eher ironische Gangart des Stücks unterstreichen. Das darauf folgende Akustikstück "Should Have Known Better" mit Pfeifen, Saxofon und Fingerschnipsen macht einen kurzen, hörbar augenzwinkernden Abschnitt des Albums komplett, der die Durchhörbarkeit des Gesamtwerks nicht unbedingt einfacher macht. Aber weil dies bei progressiver Rockmusik natürlich keinerlei Relevanz hat, streichen wir das aus dem Protokoll.
Mit dem Siebeneinhalbminüter "The Great Metronome" beweisen Amon Ra zum Abschluss ihres Albums nochmal eindrücklich ihr Geschick dafür, glanzvolle Melodien durch lyrische bis dramatische Gefilde zu manövrieren. Das ist amtliches Hörkino - wie auf dem kompletten Album. Die Songideen sind exzellent, das Handwerk formidabel (des Instrumentalstücks "Karma Machine" hätte es als Beweis gar nicht mehr bedurft). Scott Balabans Gesang hat viel Charakter; und auch die Chorpassagen sind exzellent produziert. Zu guter Letzt haben die Songs auch noch wohl durchdachte Botschaften. Es geht um zerstörerische Automatismen in Beziehungen, um die Balance zwischen Ausnutzern und Ausgenutzten, um die Dynamik des Bösen auf der Welt, aber auch um Mut, Hoffnung und das Festhalten an Träumen. Die Band selbst spricht ganz gern von 'Storytelling Rock'. Beim Erzählen ihrer Geschichten hören wir gerne zu.
Line-up:
Scott Balaban (vocals, backings, narrator, keys)
Lothar Hermann (drums, bass, backings, keys)
Thomas Wenzel (guitars, bass, percussion)
Tracklist
01:Master Of Strings (5:34)
02:Time Will Come To Your Rescue (9:33)
03:The Long Dark Road (4:55)
04:Where When And Why (6:33)
05:Until The Morning Comes (4:38)
06:Rocket Man (3:32)
07:Slipping Away (6:16)
08:Karma Machine (5:51)
09:Tango Mortale (7:05)
10:Should Have Known Better (4:43)
11:The Great Metronome (7:28)
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