Nein, irgendetwas stimmt nicht! Das Cover passt nicht zum Inhalt der CD. Freilich ist das gemalte Begrüßungsbild künstlerisch sehr wertvoll und bringt auf mehrerlei Ebene einiges zum Ausdruck und den Betrachter zum genauen Hinsehen ... aber musikalisch würde man dahinter doch eher, sagen wir, Retro Prog von Bands wie The Tangent oder den Flower Kings vermuten. Aber weit gefehlt: Amoral machen krachenden, temporeichen, harten und technisch versierten Progressive Metal mit modernem Anstrich. "Fallen Leaves & Dead Sparrows" ist das sechste Album der Finnen und das Ergebnis einer zehnjährigen Metamorphose. Auf dem Weg vom Death Metal auf dem Debütalbum "Wound Creations" anno 2004 bis zu diesem Machwerk fiel dem Kollegen Markus der Vor-Vorgänger "Show Your Colors" in die Hände. Es markierte 2009 eine Zeitenwende für Amoral, denn es war das erste Album mit Sänger Ari Koivunen.
Jener Ari Koivunen brachte eine Monsterportion Aufmerksamkeit mit. In seinem Heimatland ist er nämlich ein Promi; er hat 2007 die TV-Castingshow 'Idols' gewonnen, die finnische Version von 'Deutschland sucht den Superstar'. Dort hatte er fast ausschließlich Rocksongs zum Besten gegeben und den Mainstreamern gezeigt, was die Leute eigentlich hören wollen. Nach seinem Triumph hatte er solo beträchtliche Chart-Erfolge. Dann die Verbindung mit Amoral. Passt! Klar ist die Musik so abgemischt, dass Aris Stimme ganz weit oben thront. Alles andere wäre auch eine Verschwendung humaner Ressourcen. Der Mann ist Gold wert. Er hat ein starkes, helles, hohes Organ und vor allen Dingen eine sehr markante Note. Aber ist es nun gut oder schlecht, dass er wie Michael Eriksen von Circus Maximus klingt?
Die Ähnlichkeit ist teils sehr bemerkenswert. Aber für die starke klangliche Verwandtschaft mit den norwegischen Kollegen sorgen nicht nur Stimme und Stimmlage, sondern auch die Machart der Melodien. Die Gesangslinien holen weit aus, sind erfrischend und mitreißend, ja teils euphorisierend energiegeladen. Sie haben ganz viel Melodic Rock. Besonders an die erste Circus Maximus-Platte "The 1st Chapter" erinnert das. Nach dem Staunen über die vokalen Parallelen ist es an der Zeit, auch den instrumentalen Unterbau zu würdigen. Düstere Riff-Salven mit coolen Breaks, hochmelodisch frickelnde Lead-Gitarren über treibendem Double-Bass, fesselnde proggige Drives und technisch Großes in kleinen Zwischenspielen - Amoral machen auch Fans von Gruppen wie Evergrey, Andromeda und Pathosray glücklich.
Sie machen aber nichts Eigenständiges draus. Wie außergewöhnlich ist Musik, die so klingt, wie Musik, die man Jahre zuvor als außergewöhnlich wahrgenommen hat? Nicht mehr außergewöhnlich. Richtig gut ist "Fallen Leaves & Dead Sparrows" trotzdem - immer noch 'außergewöhnlich' gut. Dieser hochklassige Prog Metal mit den offensiven Vocal Lines produziert einiges, was im Ohr hängen bleibt. Hier und da gehen Amoral damit zwar nicht sehr in die Tiefe, bieten dafür aber mit "If Not Here, Where?" einen um so vertrackteren Ausgleich für kompliziert veranlagte Hörer an. Wunderbar, was diese Nummer alles hat: ein magisches Akustikgitarren-Intro, ein fantastisches XXL-Riff der Marke Markus Steffen, (ausnahmsweise) ein paar Growls in der Mitte (stammen bestimmt von Nightwish-Grunzer Marco Hietala, der die Vocals auf der Platte produziert hat!?), und High Speed hinten raus.
Über Stimmliches haben wir jetzt so viel geredet - da ist das Instrumentalstück "The Storm Arrives" für den nicht singenden 'Rest' der Band schon ein kleiner Befreiungsschlag und ein gelungener und kurzweiliger Ritt durchs Polyrhytmische. Der Sechseinhalbminüter ist ohne Zweifel hochklassig und auch kurzweilig, aber auch selten spektakulär. Das Stück erfüllt Erwartungshaltungen. Gleiches mag für "See This Through" gelten, eine Art Powerballade, die Sänger Ari Koivunen zwischen zarteren Gefilden und kraftvollem Ausdruck hin- und herpendeln lässt. Ach ja, und immer, wenn er den Mund aufmacht, packt er den Hörer gleich wieder. Diese edle Klarheit in den hohen Höhen! Und es gibt noch ein großes Highlight: "Blueprints" - Weltklassenummer. Das Teil fällt aus dem Rahmen: ein leicht bluesiger Akustik-Groove, Retro-Anklänge in den Synthies, unglaubliche Screams.
Lasen sich diese Ausführungen nun trotzdem alles in allem zu kritisch? Keine Frage: "Fallen Leaves & Dead Sparrows" von Amoral ist ein klasse Brett. Der Daumen hebt und senkt sich hier, was die einzelnen besprochenen Aspekte angeht, auf sehr hohem Niveau. Aber man wird eben nicht dieses Gefühl los, dass da noch mehr Potenzial schlummert.
Line-up:
Ari Koivunen (vocals)
Ben Varon (lead, rhythm & acoustic guitars, backing vocals)
Juhana Karlsson (drums)
Masi Hukari (lead & rhythm guitars, keyboards)
Pekka Johansson (bass)
Tracklist |
01:On The Other Side Pt. I (7:14)
02:No Familiar Faces (4:07)
03:Prolong A Stay (7:39)
04:Blueprints (4:20)
05:If Not Herem Where? (9:15)
06:The Storm Arrives (6:25)
07:See This Through (6:39)
08:On The Other Side Pt. II (9:10)
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Externe Links:
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