Anathema - eine von jenen Bands, durch die jeder in der Schwermut verhaftete Musikliebhaber bestens bedient wird. …Und auch noch eine von jenen Bands, bei denen genau das auf zweierlei Art passiert: Genau wie Paradise Lost haben sie in den Neunzigern mit lupenreinem Gothic Metal begonnen, um dann relativ plötzlich Töne anzuschlagen, die mehr in den poppigen Alternative-Bereich gehen, auch mit Hilfe von elektronischen Elementen. Nach wie vor steckte aber mehr dahinter, sodass ein vollständiges Abdriften in die Depeche Mode-Ecke nie zur Diskussion stand.
Gegründet wurde Anathema aber 1990 unter dem Namen Pagan Angel als Gothic-/Doom-Knöterich, der sich in Sachen Härte nicht zu verstecken brauchte. So wurde man eine Zeit lang zu den 'Big Three' dieses Bereichs gezählt; zusammen mit Paradise Lost und My Dying Bride, und trat im Vorprgramm von Cannibal Corpse auf.
Mitte der Neunziger aber kam die Wende, nachdem Hausgröhler Darren White ausgestiegen war, um sein eigenes Ensemble zusammenzunieten. Der Gitarrero Vinnie Cavanagh übernahm diesen Part und leitete so mit den Stilwechsel ein. Durch ihn kam eine der Qualitäten von Anathema viel besser ans Tageslicht - das Vermitteln, In-Worte-Fassen von Verzweiflung, Angst, Depressionen, Wut; so ziemlich allen negativen Emotionen also. Wessen Psyche schonmal zur Labilität neigte, wer schonmal am Abgrund stand, der wird Anathemas Texte auf schmerzlich-schöne Weise verstehen können. Nicht umsonst lautet das erste kleine Fazit, das auf "Alternative 4" gezogen wird »I hope you don't understand«.
Ein kurzer, stimmungsvoller Opener liegt also schon hinter uns, und man hat gemerkt, dass hier neben der Gitarre auch das Piano eine große Rolle spielt. Der offizielle Einstieg ins Album erfolgt nun mit "Fragile Dreams": Eine ruhige, von einer Geige gespielte, sehnsuchtsvolle Melodie wird langsam zu einer gediegenen Rocknummer, dessen Töne in den ersten zwei Minuten mehr sagen und mehr über die Band und ihre Aussage zu erklären vermögen, als tausend Worte. Der Gesang nimmt diese Stimmung dann schließlich doch auf und führt sie wie selbstverständlich fort. »Today I introduced myself to my own feelings« heißt es dann beispielsweise, und man kommt langsam dahinter, dass Anathema eine ähnliche Qualität haben wie die Musik der Romantik im 19. Jahrhundert: Eine schaurige Schönheit, eine Melancholie, der man sich nicht entziehen möchte, sowie die ständig vorhandene Todessehnsucht. Ohne, dass die eigene Stimmung getrübt würde, beginnt man, sich in dieser Welt wohlzufühlen und will mehr von ihr hören, mehr verzweifelte Hilferufe, mehr tiefgehende Enttäuschungen. Wenn einem diese Gedanken völlig fremd sind, mag das etwas morbide erscheinen, aber so manch Einer wird wissen, was ich meine. Die Schönheit dieser Band ist nicht für jeden fassbar; das sage ich ohne jeden elitären Hintergedanken.
Ich habe die Band und "Alternative 4" jetzt im Grunde schon hinreichend beschrieben, und (ohne Eigenlob) besser, als es ein Musikwissenschaftler könnte, denn hier sind die Emotionen wichtig, die man vermittelt bekommt, und wie man sie selbst verarbeitet. …Dennoch will ich aber auf einen bestimmten Song eingehen, nämlich Track 3 - "Empty", den Titel, der mich auf die Band und das Album aufmerksam gemacht hat. Es ist eine von diesen Nummern, über die man ganz selten nur stolpert, die in sich einfach perfekt sind. Anathema haben hier mittels teilweise elektronischer Beats und Melodien einen Titel geschaffen, der einen supercoolen Groove hat, ohne die Wut und die Verbitterung zu vernachlässigen, die Vincent Cavanagh in seiner Stimme hat, dass es nur so aus den Boxen trieft. …Ein kleines Meisterwerk!
Anathema sind einfach etwas Besonderes, und damit will ich es nun gut sein lassen. Sie sind eine von jenen Bands, bei deren Genuss man etwas über sich selbst lernen kann, frei nach Nietzsche: »Wenn Du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein«.
Line-up:
Vincent Cavanagh (vocals, rhythm guitars)
Daniel Cavanagh (guitars, piano, keyboards)
Duncan Patterson (bass, piano, keyboards)
Shaun Steels (drums)
George Ricci (violin)
Tracklist |
01:Shroud Of False
02:Fragile Dreams
03:Empty
04:Lost Control
05:Re-Connect
06:Inner Silence
07:Alternative 4
08:Regret
09:Feel
10:Destiny
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