Christian Hentschel und Peter Matzke
Als ich fortging...
Das große DDR-Rockbuch
Als ich fortging... Christian Hentschel/Peter Matzke:
"Als ich fortging ..."
Das große DDR-Rock-Buch
Gebunden, 320 Seiten mit zahlreichen Fotos
Erschienen im Verlag Neues Leben, Berlin, 2007
ISBN 3-355-01733-7, EUR 24,90


Review vom 21.11.2007


Ilka Heiser
»Als ich fortging war die Straße steil - kehr wieder um
nimm an ihrem Kummer teil, mach sie heil.
Als ich fortging war der Asphalt heiß - kehr wieder und
red ihr aus um jeden Preis, was sie weiß.
Nichts ist unendlich, so sieh das doch ein,
ich weiß, du willst unendlich sein - schwach und klein
Feuer brennt nieder, wenn's keiner mehr nährt,
kann ja selber, was dir heut widerfährt.«

Komponist: Dirk Michaelis
Text: Gisela Steineckert
Dass es Zensur und Verbote gab, wusste ein jeder DDR-Bürger, darüber war man informiert und auch ein Songtext durfte, ohne vorher die Argusaugen der staatlichen Wächter passiert zu haben, nicht in die Öffentlichkeit gebracht werden. Jedem Musikanhänger und Diskothekenbesucher war natürlich die 40/60-Klausel bekannt, d.h. 60 % der Titel eines Programms mussten von Komponisten mit Wohnsitz in der DDR bestehen und 40 % zumindest in der DDR verlegt sein. Doch welcher Club hielt sich schon an diesen Humbug?
Genauso bekannt war, dass eine Band ohne Berufsausweis, in dem der Abschluss einer Musikhochschule nachgewiesen werden musste, keine öffentlichen Auftritte absolvieren durfte.
Was aber alles hinter 'dem grauen Vorhang' noch so geschah, wird in dem Buch "Als ich fortging…" umfassend und sehr anschaulich beschrieben.
Da wunderte man sich über das Verschwinden so mancher, mal mehr - mal weniger bekannten Band und erfährt, dass diese, weil sie offensichtlich zu aufmümpfig waren, mal einfach so um meist zwei ihrer Mitglieder reduziert wurden, indem man sie 'ganz offiziell' zum Armeedienst eingezogen hat. Ersatzmitglieder, die den sogenannten staatlichen Anforderungen (Musikstudium mit Berufsausweis) gerecht werden, sind nun mal auf die Schnelle nicht gleich aufzutreiben.
Meistens endete eine mehrmalige Abmahnung dann auch im endgültigen Berufsverbot.
Für was alles bestraft wurde, lässt einen jetzt im Nachhinein schmunzeln, den Betroffenen war wohl kaum zum Lachen zu Mute.
So wurde z.B. eine Ordnungsstrafverfügung gegen Stefan Trepte (Renft, Lift, Reform) verhängt, weil er sich nicht gemäß den »Erfordernissen einer niveauvollen Tanzkapelle« verhielt. Was war geschehen? Trepte hatte auf dem Rücken liegend Gitarre gespielt und seine Kleidung (lange Haare, Vollbart, Jeans - ein 'Anarcho' in den Augen der Staatsmacht) entsprach ebenfalls nicht den Vorstellungen der DDR-Oberen. Trepte bekam sechs Tage gemeinnützige Arbeit aufgebrummt. Kein Einzelfall übrigens.
Den absoluten Vogel schossen die Blueser ab. Irgendwann erfuhr auch diese Welle ihre Auferstehung im real existierenden Sozialismus und vermischte sich mit den Ausläufern der Hippie-Revolution zu einer ganz eigenen Jugendbewegung. Klar, dass man sich den Blues mit deutschen Texten gab.
Diese Blueser - auch 'Kunden' genannt, waren sofort an ihrem eigentümlichen, aber genauestens geregelten Äußeren zu erkennen: Die langen Haare im Wildwuchs (Frisör war natürlich verpönt) wurden hinter die Ohren gesteckt, das wichtigste Kleidungsstück war ein ausgemusterter US-Army Shell-Parka M-1951 (Schwarzmarktpreis: 600 bis 700 Ostmark), dazu die Jeans Levi's 501 (Red Tab) - möglichst mit Flicken und je mehr, umso besser (Schwarzmarktpreis: 500 Ostmark) sowie das berühmte kragenlose, blau-weiß-gestreifte Fleischerhemd. Etwas anderes galt nicht, lediglich ersatzweise für die 'armen Schweine' ohne Westverwandtschaft: Malerlatzhosen und alte Rinds-Lederjacken (Thälmann-Jacken).
Die Fußbekleidung bestand entweder aus Römer-Sandalen oder aus Kletterschuhen.
Als Assecoir trug man Hebammenkoffer, Schutzmaskentaschen aus Stoff oder den Hirschbeutel, selbst genäht aus Omas Sofa-Überzug sowie die unvermeidliche Nickelbrille. Wer keine Brille benötigte, setzte sich eine mit Fensterglas auf die Nase.
Und was in den Taschen der 'Kunden' zu finden war, wie sie sich durchs Leben schlugen und ihren Bands die Treue hielten, wird von den Autoren sehr witzig dargestellt.
Aber nicht nur solche Dinge erfährt der DDR-ahnungslose Leser. Minutiös werden Zu- und Abgänge in namhaften Bands aufgeführt wie zum Beispiel bei Lift, den Butlers (später Renft), Karat, Panta Rhei, den Puhdys, Electra usw., es war ein stetes 'Bäumchen-wechsle-Dich'. Auch welche Ost-Band stellvertretend für welche West-Band stand, ist erfasst: So coverten Electra die angesagten Jethro Tull, die College-Formation mit Toni Krahl und großer Bläserbesetzung stand für James Brown, Renft galten als die Deep Purple der DDR, die Puhdys standen für Uriah Heep, die City-Rock-Band profilierte sich als Santana, Egon Linde von Transit war der Udo Lindenberg-Ersatz und Stern Combo Meißen spezialisierte sich auf Colosseum, ELP und Ekseption, um nur einige Beispiele zu nennen.
Dem 'Rock aus den sozialistischen Bruderländern' wird ebenfalls ein großzügiges Kapitel gewidmet. Ob nun über die im 'Westen' schwer erfolgreichen Omega aus Ungarn, für die eine gestandene Westband wie Epitaph als Support spielen durfte und sich darüber freute; Locomotive GT, ebenfalls aus Ungarn, Blue Effekt aus der Slowakei, Plastic People Of The Universe aus Prag, die Aufzählung ließe sich ellenlang fortsetzen. Im kapitalistischen Ausland besonders erfolgreiche Bands wurden übrigens in der DDR verboten. Und wieder wunderte sich der ahnungslose DDRler, warum diese Bands von der Bildfläche verschwanden.
Besonders amüsant ist das Kapitel "Ostbands auf Westplatten", als man sich kulturell etwas mehr gen Wesen öffnete. Karat, die Puhdys, City oder Silly, Manfred 'Manne' Krug, die Gruppe Kreis oder Stern Combo Meißen verkauften im Westteil Deutschlands ihre Platten in ganz ordentlichen Stückzahlen. Die Scheiben wurden natürlich mit anderen Plattencovern vertickt, die heute zum Teil bei den Fans begehrte Sammlerstücke sind.
Es gab aber auch Künstler, die teils sogar zwangsweise ihre Scheiben unter anderen Namen herausbrachten. Wer kannte schon Hearther Jones? Dass sich dahinter Ute Freudenberg verbarg, stellte man erst fest, als die Dame auf der Bühne auftauchte. Das steht natürlich damit im Zusammenhang, wer wann die DDR in Richtung Westen verließ.
Noch lustiger waren die Verfremdungen der balto-slavischen Künstler. Da wurde aus Ljupka Dimitrowska eine einfache Lupka, Zsuzsa Koncz mutierte zu Jana Koncz, Fonográf bekam noch ein zweites 'a' usw. Der Grund blieb allein das Geheimnis der Plattenfirmen.
In "Als ich fortging…" werden sowohl die 60er, 70er, 80er und 90er Jahre beleuchtet, jedes Jahrzehnt hat seine Bands, die mehr oder weniger erfolgreich waren, ob nun im Rock-, Prog Rock- oder Jazz-Bereich, als Liedermacher und im Heavy Metal (ja, auch das gab es). Es formierten sich Folk-, Blues- und auch Punkbands und alle hatten ihre Fans.
Es gibt außerdem eine kleine Preiskunde, d.h. es werden Vergleiche zwischen West und Ost in Bezug auf Anschaffung von Platten, Kassetten, Rekordern usw. gezogen und es wird erklärt, warum der Ostdeutsche seine Westplatten nur einmal abspielte und dann am liebsten in Watte gepackt in den Glasschrank stellte.
Eine Auflistung der leider schon im Jenseits weilenden Musiker, eine Auflistung der DDR-Hitparaden von 1975 bis 1990 sowie eine Aufstellung der Nationalen Amiga-LP-Produktionen (des Rock) von 1964 bis 1990 runden das Gesamtwerk ab.
Auch den einen oder anderen Fehler könnte man bemängeln: Aus dem Lift-Keyboarder Wolfgang Scheffler wurde eben mal ein Michael. Und es spielte nicht die Stern Combo Meißen den Song "Living in The Past" von Jethro Tull sondern Electra.
Aber das sind Kleinigkeiten, über die man bei so einem wirklich informativen und sich flüssig lesendem Buch locker hinwegsehen kann.
Fazit: sehr empfehlenswert - sowohl für Ost und West!
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