In einer zunehmend egozentrierten Welt ist die Frage, ob ebendiese ein solches Buch braucht, sicherlich nicht unberechtigt. Schließlich dürfte sich bspw. die Zahl der Menschen, die an meinen hundertundeins Lieblingsalben ernsthaft interessiert sind, im Promillebereich bewegen. Kaum ein Mensch hat doch noch echtes Interesse an dem anderen. Für die wenigen, die neugierig auf ihre Zeitgenossen geblieben sind, die Verbindungen zwischen heiß geliebter Musik und persönlichen Anekdoten hochspannend finden und es obendrein lieben, in eigene Abgründe einzutauchen - genau für diese rar gesäten Individuen ist dieses Buch eine wundersame Zeitreise.
Der Autor Arno Frank Eser, Jahrgang 1953, arbeitet seit vielen Jahren als Musik- und Reisejournalist für Tageszeitungen, Zeitschriften und Magazine. Beim Bayerischen Rundfunk wurde er als Programmgestalter und Moderator bekannt - arbeitete u. a. mit Thomas Gottschalk während dessen BR3-Jahren zusammen. Besonders liegt Eser das 'Rockmuseum Munich' am Herzen, das er gemeinsam mit Herbert Hauke auf dem Münchner Olympiaturm betreibt.
Mit seinem im letzten Jahr beim PPV Medien-Verlag erschienenen Buch "Die 101 wichtigsten Platten der Welt" lädt Arno Frank Eser den geneigten Leser zu einem überaus vergnüglichen Streifzug durch seine Plattensammlung ein.
Ihr kennt das alle: Die Plattensammlung eines Musikfreundes sagt mehr über seine Persönlichkeit aus, als jeder handschriftliche Lebenslauf!! Sie zeigt den unverwechselbaren Fingerabdruck ihres Besitzers. Nirgendwo kann man deutlicher Umbrüche, Irr- und Abwege, Gipfelkreuze und Abgründe des Sammlers ablesen. Am schönsten gelingt das, wenn - wie bei einem guten Bekannten von mir - die Platten nach Kaufdatum sortiert sind. Hier trifft wirklich der leicht abgewandelte Sinnspruch zu: Zeig mir Deine Plattensammlung und ich sag Dir, wer Du bist.
[Nebenbei bemerkt verfügt dieser Bekannte über eine traumwandlerische Orientierung in diesem für jeden Betrachter völlig chaotischen System. Gesuchte Platten werden in Sekundenschnelle verortet.]
Wer sich ein Buch über die - sagen wir mal - hundert wichtigsten Platten der Welt kauft und dann eine amtliche Aufstellung erwartet, dem ist ohnehin nicht mehr zu helfen. Bereits in seinem Vorwort zieht Arno Frank Eser dem Leser diesen Zahn - das vorliegende Werk ist SEINE amtliche Aufstellung, wie jedes Werk dieser Art subjektiv eingefärbt sein muss. Genauso blödsinnig wäre es, jetzt an dieser Stelle ausführliche 'objektive' Rezensionen zu erwarten, zumal es so was überhaupt nicht geben kann. Nein, Eser schlägt einen sehr viel spannenderen Weg ein, indem er stattdessen zu den vorgestellten Alben kleine Geschichten erzählt - lustige, traurige, absurde oder surreale Anekdoten aus einem windungsreichen Leben. Hinterher glaubt man tatsächlich, den Menschen Arno Frank Eser ein bisserl kennengelernt zu haben. Und an den Stationen, an denen sich die Lebenswege des Autors und des Lesers kreuzen [in meinem Fall wären das bspw. Dèjá Vu, Wish You Were Here, Trance-Formation, "Eric Burdon Declares War" (höchste Zeit, dass die in unseren Index kommt!!) oder Salisbury - um jetzt nur ein paar zu nennen], ist es spannend, die beschriebenen Gefühlszustände zu den entsprechenden Platten mit den eigenen zu vergleichen. Teilweise tun sich da völlig neue Ansätze auf...
"Die 101 wichtigsten Platten der Welt" beginnt mit den obligatorischen Jugendsünden und Peinlichkeiten, die wohl jeder von uns im Plattenregal stehen hat - je nach Selbstbewußtsein mehr oder weniger exponiert platziert. Wobei ich persönlich mit Ravels "Bolero" überhaupt keine Berührungsängste habe. "Weihnachten mit Nicki" und "Bin i Radi, bin i König" sind schon herb, da will ich Eser gerne Recht geben.
Das Kapitel "Auf dem Weg zur Erleuchtung" verdeutlicht anschaulich den Prozess, der beim Autor die musikalischen Kronleuchter entzündete. Hier finden sich wahre Klassiker der Musikhistorie, vorwiegend aus den Sechzigern und Frühsiebzigern. Eine vergnüglich erhellende Lektüre!
In "Musik und Musiker hautnah" werden in erster Linie Begegnungen mit Musikern im Rahmen von Esers Tätigkeit als Journalist vorgestellt. Hier trägt der Schreiber für meinen Geschmack etwas zu dick auf. Die kritische Distanz scheint mir manchmal doch etwas arg gering, aber die versucht Eser ja zu keinem Zeitpunkt vorzugaukeln. Ist halt nur so ein kleines 'Geschmäckle' bei mir...
Nerviger ist da schon der allzu häufig gesetzte Hinweis auf seine »Münchner Lieblingszeitung«. Dass er sein Lieblingsbaby, das 'Rockmuseum Munich', nur zu gerne erwähnt... wer will es ihm verdenken.
Wer "Die 101 wichtigsten Platten der Welt" als einen etwas voyeuristischen Streifzug durch das musikalische Leben Arno Frank Esers begreift und den leicht ironischen Unterton des Titels richtig interpretiert, wird nicht enttäuscht werden.
Wer das Buch dagegen erworben hat, um die definitiv hundertundeins wichtigsten Platten der Welt besprochen zu wissen, ist selbst schuld. Wer - bitteschön - kauft sich schon so einen Schmarrn?!?
Tracklist |
01:Vorwort
02:Jugendsünden und andere Peinlichkeiten
03:Auf dem Weg zur Erleuchtung
04:Musik und Medien
05:Musik und Musiker hautnah
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Externe Links:
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