Berthold Seliger / Das Geschäft mit der Musik – ein Insiderbericht
Das Geschäft mit der Musik – ein Insiderbericht 350 Seiten
Taschenbuch
Medium: Buch
Erschienen im Verlag Klaus Bittermann, Edition Tiamat
1. Auflage 2013
ISBN 978-3-89320-180-8
18,00 EUR (D)

Review vom 15.02.2014


Sabine Feickert
Berthold Seliger, Berliner Konzertveranstalter und Autor, der u. a. mit Patti Smith, Lou Reed und Lucinda Williams zusammenarbeitete, verfasst eine »Streitschrift für eine andere Kultur«. Sein Insiderbericht ist mehr als nur nettes Geplauder aus dem Nähkästchen. Seliger analysiert, ja seziert den Musikmarkt. Er nennt die Namen der Branchengrößen, ihre Verstrickungen und Hintergründe. Und Zahlen, jede Menge Zahlen! Samt öffentlich verfügbarer Quellen für seine Angaben: Websites der Unternehmen, ihre Geschäftsberichte, Branchenmagazine, Zeitungsartikel. Stellenweise schwirrt mir der Kopf vor Fakten und Fußnoten. Doch um das Buch aus der Hand zu legen, sind seine Ausführungen zu interessant. Allein schon die Zusammenhänge zwischen Konzertveranstaltern, Plattenfirmen, Musikverlagen, Betreibern von Veranstaltungsstätten, Merchandisingfirmen, Managern und wer sonst noch so in das verflochtene Netzwerk rund um die Musik und die Musiker gehört, lassen mich zwischen Erstaunen und »also doch!!« hin- und herwechseln.
Seliger zeigt auf, wie sich dieses Geflecht in den letzten Jahren verändert hat und welche zunehmende Rolle auch die digitale Welt darin einnimmt. Aber auch die Umsätze durch Konzerte sind wieder gestiegen, haben seit 2005 die Tonträgerverkäufe überholt; für 2011 gibt Seliger 1,2 Milliarden Euro der deutschen Tonträgerindustrie und insgesamt 3,9 Milliarden der deutschen Live-Industrie an, davon knapp 2,8 Milliarden mit Musik.
Wer nun glaubt, Musiker würden stinkereich bei den heutigen Ticketpreisen, wird von Seliger eines Besseren belehrt. Am Beispiel eines 28 Euro-Tickets bei einem ausverkauften 1.500 Besucher-Gig, rechnet er vor, wer daran was verdient und was die Ticketverticker da dann nochmal draufhauen und sich so das größte Stück vom Kuchen abschneiden. Wenn's nicht so traurig wäre, müsste man ja schon fast lachen über die Selbstausdruckgebühr...
Die Beutelschneiderei geht und ging Bands aber nicht nur gegen den Strich; einige, wie beispielsweise Pearl Jam, Grateful Dead, Kid Rock oder Fugazi erdachten auch kreative Wege, um (mehr oder weniger erfolgreich) ihre Ticketpreise und vor allem die Aufschläge im akzeptablen Rahmen zu halten.
Doch auch andere Formen der Verschmelzung von Kunst und Kommerz prangert Seliger an. Sponsoring, auch in neueren Formen und Auswüchsen wie beispielsweise das Bier zum Festival oder kostenlose, werbefinanzierte Zeitschriften.
Dabei driftet er aber nicht in ein reines »Bääh!! Kommerz ist böse!!«-Geschrei ab, sondern zeigt konkrete, erfolgreiche Beispiele für alternative, selbstbestimmte Vermarktungsstrategien auf. Er befasst sich mit Downloads, mit geschenkter Musik per solchem, die ausverkaufte Konzerthallen zur Folge hatte, YouTube und Spotify. Er zeigt Auswüchse von 'Indie', das von der Lebenseinstellung zur Stilrichtung wurde und in Extremfällen darin gipfelt, dass eine ach so alternative Sängerin auf Facebook zum veganen Wohltätigkeits-Waffelbacken einlädt, derweil sie zur besten Sendezeit für die Instrumentenversicherung eines Großkonzerns wirbt. Das Buch lädt zum Nachdenken und Diskutieren ein.
Auch den Musikjournalismus nimmt er nicht aus und rennt bei mir (sowie wahrscheinlich der gesamten RockTimes-Redaktion) offene Türen ein, mit seiner Idee, Rezensionen von Veröffentlichungsdaten (und selbstredend Anzeigenformaten) abzukoppeln, um eine echte Auseinandersetzung mit der Musik zu ermöglichen. Weg von diesem Bohei rund um den 'VÖ', zu dem die Platten in die Läden gekarrt werden und nach wenigen Wochen als Retouren zurück zu den Plattenfirmen wandern. Was wiederum eine völlig andere Veröffentlichungskultur seitens der Labels voraussetzen würde, andere Vorgehensweisen der Vertriebe etc. Kurz und gut – alle kriegen ihr Fett ab! Oder netter formuliert – er betrachtet das Gesamtsystem, staatliche Förderung am falschen Fleck inklusive.
Als 'Streitschrift' sollte sein Buch verstanden werden, als Anregung, Denk- und Diskussionsanstoß und als leidenschaftliches Plädoyer für eine Musikkultur, bei der die Musik und die Kultur im Mittelpunkt stehen sollten - nicht die reine Betriebswirtschaft. Er politisiert und polemisiert, bemüht Adorno, Balzac, Keith Richards und Walter Benjamin.
Keine leichte Kost, aber eine lesenswerte und hochinteressante Lektüre!!
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