Henning Dedekind / Krautrock
(Underground, LSD und kosmische Kuriere)
Krautrock Henning Dedekind
Medium: Buch
311 Seiten, Hardcover
Hannibal Verlag, Innsbruck, 2008
ISBN: 978-3-85445-276-8,
EUR 24,90

Buch-Review vom 12.12.2008


Jürgen Bauerochse
Irgendwie bot sich das Jahr 2008 ja förmlich an, ein Buch über den so genannten Krautrock zu veröffentlichen. Schließlich ist es nun genau vier Jahrzehnte her, dass 1968 ein großer Umbruch in den verschiedensten Bereichen des täglichen Lebens stattfand. Massive Studentenunruhen stellten so ziemlich alles in Frage, was bis zu dem Zeitpunkt als 'normal' angesehen wurde. Durch oftmals gewalttätige Protestaktionen brachten sie das alt eingefahrene Establishment erheblich durcheinander und forderten ein klares Umdenken in Politik und Wirtschaft.
Aber auch gänzlich ohne Randale wurden Veränderungen versucht. Der 'Summer Of Love' war gerade vorüber, und für kurze Zeit versuchte die Hippie-Bewegung die Welt durch freie Liebe und absolute Gewaltlosigkeit auf einen besseren Weg zu bringen. Dass es sich dabei leider nur um einen schönen Traum handelte, der seine großen Ziele natürlich nicht erreichen konnte, soll uns hier nicht weiter interessieren und ist auch nicht Thema dieses Buches.
Im musikalischen Bereich wurden ebenfalls neue Wege beschritten. Inspiriert durch zahllose bewusstseinserweiternde Chemikalien entstanden Klänge, die immer weiter ausuferten. Songs mit überlangen Improvisationen und schier unendlichen Laufzeiten bestimmten von nun an die Szenerie. Die Sounds wurden immer experimenteller, was nicht zuletzt aufgrund von neuartigen Instrumenten zustande kam, die im elektronischen Bereich ganz andere, bisher nie gehörte Töne zum Vorschein brachten. So entstanden teilweise gewaltige Klangwände. Aber auch die 'kosmische' Musik ging an den Start und bereitete so den Weg für spätere Stile wie Techno und Industrial vor.
Dabei entwickelte sich speziell in Deutschland eine ganz besonders aktive Szene, die schon sehr schnell als Krautrock bezeichnet wurde und bald zu einer Art Markenzeichen aufstieg. Bis in die Gegenwart hat diese Musik vor allem in England und den USA noch immer einen festen Fan-Stamm, für den die Songs aus dieser Zeit inzwischen Kult-Status erreicht haben.
Gott sei Dank wird in diesem Buch von Henning Dedekind nicht über die Frage diskutiert, was oder welche Bands denn nun eigentlich dem Krautrock zuzuordnen sind und welche nicht, denn das wäre wahrscheinlich eine endlose Debatte ohne ein befriedigendes Ergebnis geworden. Vielmehr beschäftigt sich der Autor mit den Umständen, unter denen viele der betroffenen Bands dieser Zeit ihre Alben produzierten, woher sie ihre Inspiration zu dieser Musik nahmen und wie der Krautrock im eigenen Land aufgenommen wurde.
Auch der Einfluss der damaligen Sounds auf die heutige Weltmusik wird anhand von Bands wie Ashra Temple, Embryo und Can sehr anschaulich dargestellt. Dieses Buch ist also mitnichten eine Lektüre, die sich mal eben im Vorbeigehen mitnehmen lässt, sondern sollte schon konzentriert gelesen und verarbeitet werden, denn nur so kann man sich eine ungefähre Vorstellung machen, was vor vier Jahrzehnten in der Krautrock-Szene abgelaufen ist.
Unterstützt wurde der Autor durch zahlreiche Kommentare von Musikern wie Irmin Schmidt (Can), Michael Rother (Kraftwerk, Neu!, Harmonia), Helmut Hattler (Kraan), Frank Bornemann (Eloy), sowie dem 2006 verstorbenen Amon Düül-Drummer Peter Leopold u.v.a., die somit auch Blicke hinter die Kulissen ermöglichen, was das Zusammenleben (Kommunen waren damals ja eine sehr beliebte Form der alternativen Lebensweise) und -arbeiten innerhalb der Bands betraf.
Neben Leuten wie Dieter Dierks und Conny Planck, ohne deren Unterstützung der Krautrock sicherlich nicht den hohen Stellenwert erreicht hätte, wird auch immer wieder Bezug auf die heutige Zeit genommen, wenn die Einflüsse verarbeitet werden, die Bands wie Kraftwerk oder Can auf die derzeit aktuellen Musiker ausüben.
So entsteht ein wirklich umfassendes Bild über die damalige Szene der elektronischen Musik in Deutschland, bei dem auch nichts durch die rosarote Fanbrille gesehen und beschönigt wird. Im Gegenteil, die diversen Probleme der Bands, sei es der chronische Geldmangel oder auch die fehlende Technik bei Auftritten oder im Studio, machen deutlich, was für einen Knochenjob die Musiker in jener Zeit in Kauf genommen haben, um ihre Träume zu verwirklichen.
Den Abschluss des Buches bildet ein sehr umfangreiches Register über die Krautrock-Bands, das sehr viele interessante Fakten zum Werdegang der Gruppen enthält. Hier sind dann auch die Musiker dabei, die im Hauptteil keine Erwähnung finden, da sie nicht auf der experimentellen Schiene mitfuhren, sondern sich mehr an der anglo-amerikanischen Rockmusik orientierten, aber dennoch zum Krautrock dazuzuzählen sind.
Henning Dedekinds Buch ist somit ein wichtiges Werk für die Aufarbeit der Rock-History, die für jeden Interessierten mit Bezug auf die Musik der frühen siebziger Jahre ein Pflichtlektüre sein sollte.
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