Medium: Buch Verlag: earBOOKS Medium: Buch (inkl. 3 CDs) Sprache: Englisch Erscheinungsjahr: 2012 Seiten: 240 (900 Bilder) Format: 28 x 28 cm, Hardcover ISBN: 978-3-9435-7301-5 Preis: 49,90 € Stil: Rock'n'Roll Review vom 08.02.2013 Steve Braun

Man muss den Amis noch heute dankbar sein, dass sie den Deutschen seinerzeit das Tsching-Derrassa-Bumm gehörig ausprügelt haben und endlich Freiheit, Kaugummi, Coca-Cola, Hamburger, Blue Jeans und frische Musik nach Nazi-Deutschland brachten. Zunächst der Swing und wenig später der Rock'n'Roll brachten endlich wieder Leben in eine Kulturwüste, in der Spaß an Musik nur noch im Untergrund oder im Abhören von 'Feindsendern' gelebt werden konnte. Die Jugendkultur durfte endlich wieder aufblühen, auch wenn die Altvorderen zeitlebens nicht verstanden haben, welche Reize diese 'Untermenschenmusik' wecken konnte.

Meine Eltern wurden seinerzeit vom Rock'n'Roll-Virus befallen und lebten ihn fiebrig-glühend aus. Anstecken konnten sie mich nie, was sicherlich nicht nur an der nierentischverseuchten Wohnzimmeratmosphäre gelegen haben mag. Da war einfach ein tiefer Riss zwischen den Generationen, der seinen Ursprung im 'Summer of Love' hatte. (Glücklicherweise ist die Kluft zwischen den Generationen heutzutage nicht mehr derart krass!) Unsereins war Rock'n'Roll bereits viel zu spießig. Auf der Bühne herumzappelnde, 'schmalztollige' Milchgesichter in zu heiß gewaschenen Konfirmandenanzügen? Boaaah, zum Gähnen aufregend...
Im gesetzten Alter sollten allerdings diese Scheuklappen abgelegt sein und eine intensivere Beschäftigung mit der Musik der Eltern kann richtig Laune machen, wenn man mit einem derart hochwertigen Buch wie "Rock And Roll Vinyls" konfrontiert wird. Zudem sind diesem 'Backstein' noch drei CDs beigeführt, die die Stars, Sternchen und Sternschnuppen des Business präsentieren und den perfekten Soundtrack zum Buch darstellen!

Der Autor Rodolphe Daniel Jacquette, in der Szene meist nur Rodolphe genannt, ist ein überaus angesagter Comiczeichner. Überwiegend entwickelt der 64-jährige Nordfranzose Abenteuer- und Fantasy-Geschichten. Mit "Rock And Roll Vinyls" widmet er sich wohl seinen musikalischen Ursprüngen. Über seine Motive kann man allerdings nur mutmaßen, da ein Vorwort des Autors leider Fehlanzeige ist.

Anhand von etwa 700 Vinylalben zeichnet Rodolphe den Siegeszug des wahrscheinlich einflussreichsten Genres der Musikhistorie nach. Chronologisch verfolgt er das Phänomen, das in den Zwanzigern und Dreißigern im Mississippi Delta bzw. Chicagos Subkultur entsprang und im Rhythm'n'Blues der Sechziger münden sollte. Durch die graphische Gestaltung, die Texte und Plattencover geschickt kombiniert, gelingt dem Autor ein überaus gelungener Spagat zwischen Hintergrundinformationen und Diskographie auf der einen und unterhaltsamem Lesefluss auf der anderen Seite. Die Entstehungsgeschichten bahnbrechender Alben werden, mit Anekdoten zu den einzelnen Protagonisten und deren Schaffen garniert, sprichwörtlich bunt verpackt.

Rodolphe gelingt es, die 'weißen' und 'schwarzen' Wurzeln, des Rock'n'Roll herauszuarbeiten und in den gesellschaftlichen Kontext der damaligen Zeit zu verweben. Die Benachteiligung der Farbigen war seinerzeit noch allgegenwärtig. Musiker wie Little Richard oderBo Diddley wurden regelmäßig um Tantiemen betrogen. Trotzdem waren es 'weiße' Künstler wie Bill Haley, Elvis Presley, Buddy Holly oder Jerry Lee Lewis, die die Rassengrenzen aufbrachen und den Erfolg von Fats Domino, Chuck Berry und Little Richard beförderten. Es gibt da allerdings auch interessante Untersuchungen, wonach die Anhängerschaft dann tendenziell doch eher 'unter sich' blieb.

Rodolphe würdigt auch in angemessener Weise die Pionierarbeit, die das Independent-Label Sun Records für den Rock'n'Roll, Blues und Rockabilly leistete, in dem Kapitel über den wohl berühmtesten Zögling aus der Talentschmiede in Memphis, Elvis Presley. Bemerkenswert ist auch, dass die Frauen des Business' mit nur einem Kapitel 'abgespeist' werden. Der Rock'n'Roll war eben doch immer eine vorwiegend männlich geprägte Domäne. Von Teresa Brewer bis Wanda Jackson stellt Rodolphe übrigens nur 'weiße' (!!) Rockabilly-Sängerinnen vor. Der Siegeszug der 'Schwarzen Perlen' begann dafür in den Sechzigern umso stärker.
Gelungen ist die Abhandlung über die "Forgotten Heroes" deren Lektüre mich spontan verleitete, je eine Platte von Ronnie Hawkins sowie dessen unglaublichem Namensvetter Screamin' Jay Hawkins zu ordern. Zum Überblättern lud dagegen "Made In England" ein - Skiffle und Beat sind ebenso wie Cliff Richard auch heute nicht mein Ding.
Ansonsten war es schon bemerkenswert, wie sehr das Stöbern in "Rock And Roll Vinyls" zur Clipsuche bei YouTube eingeladen hat. Ein - wie ich finde - ebenso erfreulicher wie weiterbildender Nebeneffekt.

Abschließend sei dem Autor noch einmal ausdrücklich gedankt, dass er uns das peinliche Kapitel zum deutschen Rock'n'Roll rund um Peter Kraus und Ted Herold erspart hat!!

Dieses überaus edle Buch könnte das perfekte Geschenk zum Fünfundsiebzigsten von Muddern oder Vaddern sein... wenn nicht das leidige Sprachproblem wäre. "Rock And Roll Vinyls" ist die englischsprachige Ausgabe der französischen Originalausgabe von 2011. Es bleibt wünschenswert, dass dieses massive Werk auch in deutscher Sprache aufgelegt werden würde!
Für den Sprachkundigen stellt "Rock And Roll Vinyls" dagegen ein essentielles Nachschlagewerk zum Thema Rock'n'Roll dar.