Die Metal-Szene war anfangs meistens eher negativer Berichterstattung ausgesetzt. Diejenigen, welche die 80er miterlebt haben, erinnern sich bestimmt noch an das vor Konzerten verteilte Büchlein "Wir wollen nur Deine Seele", an die umstrittene Report-Sendung im deutschen TV oder die Prozesse gegen Ozzy Osbourne und Judas Priest. Damals hatte man als Metal-Fan am besten immer einen (imaginären) Feuerlöscher dabei, weil man stets mit einem Scheiterhaufen rechnen musste…
Doch die Metaller waren/sind gar nicht so dumm, wie manche behaupteten. So kam es, dass Insider auch etwas veröffentlichten bzw. in und für Publikationen zu Wort kommen durften. Als Positiv-Beispiel soll hier Bettina Roccor genannt werden, die in den 90ern sowohl eine Magister- als auch eine Doktorarbeit über Heavy Metal schrieb. Sie und andere bewiesen, es geht auch so.
Wie sieht es heute aus? 2004 brachte die Info- und Serviceseite für Jugendliche LOGO aus Graz eine Broschüre heraus, die sich mit der 'Schwarzen Szene' beschäftigte. Aus der Erkenntnis heraus, dass Jugendkultur und Musikszene nichts Stagnierendes sind, wurde das Ganze überarbeitet für eine 2. Auflage 2011.
Die ersten drei Kapitel handeln von drei Musikrichtungen, die von den Autoren durch Inhalt und Kleidung der 'Schwarzen Szene' zugeordnet werden.
Der erste Teil widmet sich der Metal-Szene, dieser fällt überdurchschnittlich lang aus, was daran liegt, dass alleine die Unterteilung in Stilrichtungen aufwändig ist. Außerdem wird die Entwicklung von den Anfängen bis heute dargestellt, typische Kleidungsstile und Verhaltensweisen erklärt. Eine davon ist, dass die Fans sich selbst und die Klischees gerne und häufig diskutieren, weil es zu manchem unterschiedliche Standpunkte gibt. Womit das Thema ziemlich komplex wird und sich teilweise nicht abschließend festlegen lässt, zumal es eine permanente Weiterentwicklung gibt. Was die Autoren auch betonen, dennoch gelingt ihnen ein vielseitiger Überblick, der viele Einblicke vermittelt und Fachwissen beweist. Die meisten Aussagen werden mit Zitaten belegt, z.B. aus dem Buch von Bettina Roccor, Wikipedia, den Metal-Archiven und (mit kritischer Distanz) dem Buch "Lords Of Chaos". Denn auch die schwarzen Schafe werden aufgeführt, Gewalttaten einzelner und Bands, die politisch mehr oder weniger weit rechts außen stehen. Hier wird versucht weder zu verharmlosen noch zu übertreiben und klargestellt, dass der größte Teil der Szene damit nichts zu tun hat/haben will.
Insgesamt gesehen ein interessanter Einblick für Außenstehende, Fans und Insider müssen sich nicht ärgern, werden nicht von oben herab vorgeführt - wie erfreulich.
Als zweites wird die Gothic-Szene betrachtet. Dazu gezählt werden neben den typischen Schwarz tragenden Anhängern der 'Dark Romantic' auch Gothic Metal-, EBM-, Neofolk- und Mittelalterrock-Fans. Auch hier werden in ähnlicher Weise verschiedene Musikrichtungen, Kleidungsstile, Literaturvorlieben und was sonst noch dazu gehört, vorgestellt. Die Autoren versuchen, statt mit Vorurteilen heranzugehen, die Gefühle und Denkweisen der Insider zu erklären, wobei zwischen unterschiedlichen Strömungen (z.B. SM/Fetisch) innerhalb der Szene unterschieden wird, welche (für mich) teilweise schwerer nachvollziehbar sind als die Metaller und damit nicht endgültig beurteilbar. Leider gibt es unter den Gothics ebenfalls einige Personen und Bands, die kritisch zu erwähnen sind, von der Menge jedoch oft unreflektiert hingenommen werden. Auch dieses Kapitel wirkt vielschichtig und um größtmögliche Sachlichkeit bemüht.
Als drittes sind die Emos dran. Von dieser recht neuen Entwicklung haben die Autoren kaum mehr Ahnung als ich, was sie offen zugeben. Daher suchen sie dringend Leute bzw. Informationen darüber. Diese Herangehensweise mit dem Aufruf finde ich gut, lieber Informationsdefizite zugeben und warten als einfach irgendetwas schreiben. Würden nur alle Verfasser von Sachbüchern und Broschüren so vorgehen…
Der Musikteil nimmt mehr als Dreiviertel des Ganzen ein. Dann wird das bereits zuvor angeschnittene Thema Satanismus behandelt. Zum Glück nicht wie in "Wir wollen nur Deine Seele" und ähnlichen christlich-missionarischen Schriften, sondern sachlich, beginnend mit einem geschichtlichen Exkurs über Aleister Crowley bis zur Church Of Satan von Anton Szandor LaVey. Letzterem wird meiner Meinung nach etwas zu viel Raum (und damit Bedeutung) eingeräumt, doch darüber kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Interessant ist das Fazit des Kapitels: Die Autorin erklärt, dass sie sich seitdem sie 14 war mit solchen Dingen befasst hat ohne daran bleibenden Schaden zu nehmen, warnt jedoch davor, in den Sog von Sekten zu geraten.
Es folgt ein Exkurs über Vampirismus, was im ersten Moment etwas merkwürdig erscheint, aber Tatsache ist, dass Vampire gerade im Trend liegen. Dabei gibt es eine Spanne, die von harmlosem Kokettieren bis zu den Schriften des Frater Mordor (welch 'origineller' Name… er selbst war mir bis dato völlig unbekannt) reicht, der anscheinend ernsthaft für eine sadistische 'Vampyrgesellschaft' wirbt. Als letztes wird die angesagte Buch/Kino-Reihe "Twilight" anders beleuchtet, nämlich auf die Zugehörigkeit der Autorin Stephenie Meyer zu den Mormonen hin und wie viel sie davon in ihren Geschichten verarbeitet. Das hat mich doch ein wenig überrascht, wobei ich zugeben muss, dass ich nur den ersten Film kenne und den so langweilig fand, dass ich lieber abwechselnd das Bücherregal und die Wolken draußen betrachtet habe.
Was mir in diesem - nennen wir es mal Weltanschauungsteil - jedoch fehlt: kein Wort über Hexenkult, Neuheidentum und Paganismus. Diese Strömungen haben ebenfalls Einfluss auf die Metal- und Gothic-Szene. Oder ist das nicht 'schwarz' genug?
Anschließend gibt es noch ein Kapitel über die Szene in Graz und das Jugendzentrum Explosiv, was für Leser, die nicht aus der Region sind, allerdings weniger interessant ist. Beendet wird die Broschüre mit Zusammenfassungen und Anregungen zur Diskussion, ob manche Metal oder Gothic-Fans zu unkritisch auf rechte Unterwanderung reagieren und zu hinterfragen warum.
Ganz zuletzt folgen noch ein paar Worte zur Neuauflage. Diese bestätigen wiederum den Eindruck, dass hier Schreiber am Werke waren, die sich wirklich bemüht haben um Komplexität, Sachlichkeit, Analyse und Recherche. Die auch die Grenzen und Schwächen einer solchen Arbeit eingestehen und sich damit positiv von den eingangs erwähnten Betrachtungen abheben, denen gerade die Metal-Szene früher ausgesetzt war. Das ist lobenswert und daher lesens- und empfehlenswert.
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