»Musik in den 60er Jahren« heißt es in der Ergänzung des Buchtitels, und damit wissen wir gleich mit welcher Zeitepoche sich der Autor Joe Boyd hier beschäftigt. Und dennoch ist diese Aussage nur bedingt richtig, denn über die Musik an sich wird eigentlich nur am Rande gesprochen. Vielmehr geht es um Veränderungen, die diese Zeit mit sich brachte und die bis heute einen entscheidenden Einfluss auf die Musik haben.
Und wer wäre für so einen Rückblick prädestinierter als Joe Boyd, der in den Sixties an vielen Brennpunkten direkt dabei gewesen ist und so wirklich aus erster Hand berichten kann, wie die Geschehnisse abliefen.
Dazu muss man wissen, dass der Amerikaner Boyd als der Entdecker und Produzent von Acts wie Fairport Convention, The Incredible String Band, John Martyn und Nick Drake gilt. Zusätzlich war er einer der Gründer und Betreiber des legendären UFO-Clubs in London, wo Pink Floyd und Soft Machine ihre Karrieren starteten, und somit auch der Anreger der psychedelischen Folk-Rock-Szene in England.
So war es fast logisch, dass er auch im Umfeld um Timothy Leary auftauchte, der mit seinen Experimenten um diverse bewusstseinserweiternde Drogen bald weltweit für Aufsehen sorgte. Herrlich seine Beschreibungen der Versuche und der Wirkungsweise am eigenen Körper und Geist.
Doch das ist natürlich nicht das Hauptthema dieses Buches. Weit wichtiger ist die Liebe zur Musik, und die steht auch im Mittelpunkt des Geschehens. So verhalf Joe Boyd schon als Jugendlicher dem Bluesmann Lonnie Johnson zu einem Comeback und förderte ihn somit bis zu seinem Tod. Außerdem organisierte er diverse Touren mit Jesse Fuller und Sleepy John Estes in Amerika und lernte dabei den Produzenten Paul Rothschild kennen, der zu der Zeit für Bob Dylan tätig war.
Diese Bekanntschaft verschaffte Boyd fast zwangsläufig den Zugang zur amerikanischen Folkszene und sorgte schließlich dafür, dass er im Jahr 1965 bei dem entscheidenden Newport Folk Festival dabei war, das bis heute zu einem Meilenstein in Musikhistorie wurde, denn hier stieg Oberfolkie Bob Dylan erstmals auf die Stromgitarre um und spaltete dadurch die damalige Szene in zwei fast verfeindete Lager.
Über dieses Konzert gibt es ja zahlreiche Legenden, die immer wieder die Runde machen. So soll Folk-Guru Pete Seeger außer sich vor Wut versucht haben, die Stromkabel von Dylans Anlage mit einer Axt zu durchtrennen. Außerdem gingen die unzähligen weinenden Anhänger der reinen Folkmusik bei diesem Festival in die Geschichte ein.
Boyd jedenfalls beschreibt den Auftritt, dem er als Tontechniker beiwohnte, in einer wirklich herzerfrischenden Art und Weise, bei dem sich jeder Leser köstlich amüsieren kann.
Die verschiedenen Publikumsreaktionen, Buhrufe aber gleichzeitig auch Applaus, und auch die geteilten Meinungen unter den Musikern und Offiziellen, das alles stellt Joe Boyd sehr kurzweilig und spannend dar und liefert dadurch einen herrlichen Augenzeugenbericht dieses für die weitere Musikentwicklung so wichtigen Ereignisses ab.
Aber auch die Studio-Atmosphäre bei den Aufnahme-Sessions mit seinen Bands mit allen Schwierigkeiten und Problemen beschreibt er treffend und verständlich. Dabei gibt es natürlich auch Einblicke in die Tiefen der manchmal recht komplizierten Künstler-Charaktere, denn Leute wie Sandy Denny und Nick Drake waren bestimmt nicht ganz einfach zu beeinflussen.
Die Rundreise geht weiter bis ins Jahr 1969, als die Incredible String Band beim Woodstock Festival ihren für den Freitagabend vorgesehenen Auftritt wegen strömenden Regens an Melanie abgaben, die daraufhin einen fulminanten Gig hinlegte, der zu einem Highlight wurde und auch im Film zu sehen ist, während Boyds Band einen Tag später antrat. Dabei hatten sie allerdings das Pech, unmittelbar nach Canned Heat auf die Bühne zu müssen. Wie man sich lebhaft vorstellen kann, floppte der Auftritt total, denn das Publikum war von dem harten Boogie so aufgeheizt, dass die Incredible String Band kaum wahrgenommen wurde.
Das sind nur einige Stationen dieses Buches, denen sich der Autor aus dieser Zeit annimmt. "White Bicycles" gibt einen sehr anschaulichen Bericht über eine musikalisch wegweisende Epoche und ist somit ein bedeutendes historisches Dokument, das aber immer locker und verständlich verfasst wurde. Joe Boyd ist für diese Arbeit genau der richtige Mann, denn er verfügt über genügend Fachwissen und kennt auch die Hintergründe und Abläufe des damaligen Musikbusiness wie kaum ein Anderer.
Absolute Leseempfehlung!
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