Nach dem hervorragenden Album "II = I" legen die Schweden Andromeda mit "Chimera" einen eindrucksvollen Beweis nach, dass sie trotz ihres relativ geringen Bekanntheitsgrades zu den vollkommensten und rundum talentiertesten Progressive Metallern der Welt zählen.
Die 59 Minuten von "Chimera" haben das Zeug, die Türen zu einer größeren Prog-Fangemeinde aufzustoßen, sind die neun Songs doch extrem ausgereifte Kunstwerke voller Abwechslung und Detailarbeit, bei denen nichts dem Zufall überlassen wurde.
Fast ein Jahr haben allein die Aufnahmen gedauert; und das hört man: Ein glasklarer, druckvoller Sound und in Sachen Songwriting keine einzige Sekunde Füllmaterial. Der Opener "Periscope" zeigt bereits, wie facettenreich Andromeda sind. Zwar ist der Song eingängig und klar strukturiert, dennoch deutet sich mit graziösen Breaks und packenden Energieausbrüchen bereits der Tiefgang, insbesondere der komplexeren Songs, an, und mit hochmelodischen ineinander greifenden Frickelsoli von Gitarre und Keyboards sowie technisch brillanter Drives, die spielerische Klasse der Instrumentalisten.
Beim ähnlich geradeaus komponierten "The Cage Of Me" kommen dann noch packende Überraschungsmomente hinzu. Ein feinfühliger, lang gestreckter Aufbau mit zahlreichen Wechseln begeistert jeden Prog Metal-Anhänger und steigert nach und nach die Spannung. Mit dem schließlich folgenden, aggressiv gesungenen, ultraharten Power-Chorus dürfte aber trotzdem niemand gerechnet haben. Immer wieder stellen Andromeda verschiedenste Atmosphären einander direkt gegenüber, so auch bei "In The End", wo aus einer düsteren Heavy-Bridge ein hochmelodischer Refrain mit wunderschönen Gitarren-Modulationen heraus erwächst. Ein gehaltener hoher Ton von Sänger David Fremberg nach dem letzten Refrain in das Outro-Solo hinein, zählt zu den unzähligen Gänsehaut-Momenten auf dieser Scheibe.
Viele davon bietet das magisch anmutende "Hidden Riddle", eine Art Halbballade mit akustischer und E-Gitarre, die Fremberg hochemotional interpretiert. Die Atmosphären erinnern streckenweise an Queensrÿches Ballade "I Will Remember". Hier und bei einigen anderen Songs spielt Keyboarder Martin Hedin Melodien im Retro-Sound, die genau so wie die vielfältige Rhythmik an nicht zu verkennende, wenn auch inzwischen weiter entfernte, Einflüsse des 70er-Jahre-Prog Rock erinnern. Erstaunlicherweise passen diese mutig gewählten Klänge prima in das moderne und düstere Gesamt-Flair.
Wie es sich für eine gut funktionierende Band gehört, treten die Keyboards oft in den Vordergrund, z.B. mit markanten Drives im Chorus von "Going Under". Auch bei "Inner Circle" beteiligt sich der Synthesizer an einem vertrackten, sehr lebendigen Unterbau des Up-Tempo-Refrains, gespickt mit halsbrecherischen Läufen, wo manch andere Band einmal pro Takt an der Gitarren zupfen und darunter Double Bass legen würde.
Dass Andromedas Musik im positiven Sinne unberechenbar ist, zeigt sich in jedem Stück. Eine Riesenüberraschung ist aber sicherlich "No Guidelines", ein echter Hardrock-Ohrwurm - Prog'n'Roll, sozusagen. Und selbst wenn, wie hier, der Rhythmus eigentlich gerade ist, baut Drummer Thomas Lejon alle erdenklichen Verschiebungen und Akzentuierungen ein. In dem Spiel des Drummers, der keine einzige Strophe wie die nächste interpretiert, liegt so viel Eleganz und sogar Emotion, wie man es nur von wenigen anderen wie z.B. Fates Warnings Ex-Schlagzeuger Mark Zonder kennt.
Als Prog-Fan lechzt man natürlich auch nach Stücken, die sich der normalen Chorus-Struktur entziehen: "Iskenderun", mit einem orientalischen Touch versehen, ist, trotz seiner relativen Kürze, episch angehaucht. Der Longtrack "Blink Of An Eye" besteht schließlich, optimal platziert am Ende des Albums, aus eher getragenen Atmosphären und sich langsam auf- und ausbauenden, schwer schreitenden Heavy-Parts mit düsteren Chören und atmosphärischen Breaks sowie einem Klaviersolo mit melancholisch anmutenden Themenvariationen ganz zum Schluss.
"Chimera" hat gewissermaßen die rhythmische Komplexität von Symphony X, die zauberhaften Melodien ohne kitschig zu sein von Enchant, die düstere Härte von Evergrey, die mysteriöse Melancholie von Pain Of Salvation und den Tiefgang von Fates Warning, zusammen mit einem Sänger David Fremberg, der emotional wie Geoff Tate und variantenreich wie Russel Allen singen kann. Dennoch haftet an jedem einzelnen Song die individuelle Note von Andromeda, weil Fremberg doch einen ganz eigenen Ausdruck besitzt und weil die Musik so kreativ die unterschiedlichsten Ideen miteinander kombiniert.
Ein hochklassiges, modernes und äußerst facettenreiches Prog-Album!
Line-up:
David Fremberg (vocals)
Martin Hedin (keyboards)
Johan Reinholdz (guitar)
Fabian Gustavsson (bass)
Thomas Lejon (drums)
Tracklist |
01:Periscope
02:In The End
03:The Hidden Riddle
04:Going Under
05:The Cage Of Me
06:No Guidelines
07:Inner Circle
08:Iskenderun
09:Blink Of An Eye
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