Arch/Matheos
Sympathetic Resonance
Sympathetic Resonance Spielzeit: 54:39
Medium: CD
Label: Metal Blade Records, 2011
Stil: Progressive Metal


Review vom 30.09.2011


Boris Theobald
Gibt es einen Prog Metal-Fan, der nicht schon einmal bei "The Guardian" geheult hat? Jetzt, 25 Jahre danach, hat dieser Jahrhundertsong einen legitimen Nachfolger: "Incense And Myrrh". Und diese wunderschöne, schmerzerfüllte Powerballde ist 'nur' der Ausklang eines Albums, dessen Entstehung Jahrzehnte lang kaum jemand für möglich gehalten hätte. Es ist entstanden, weil Jim Matheos neues Fates Warning-Material geschrieben hatte und Sänger Ray Alder einfach keine Zeit hatte - der war mit der neuen Redemption beschäftigt. Da lag die Idee eines gemeinsames Albums mit John Arch relativ nahe, zumal beide ohnehin eine Zusammenarbeit im Hinterkopf hatten. Acht Jahre nach der Arch-EP "A Twist Of Fate" nun also auch wieder ein volles Album mit der Stimme des Fates Warning-Ur-Sängers.
Und wenn nach der ersten fragilen Moll-Melancholie der Clean-Gitarre die ersten gesungenen Worte erklingen ... »God, I pray for you, quite the task at hand / Dear God I wait for you, child to a man« ... so wehmütig und gleichsam inhaltsschwer; und dann schon John Arch eine Oktave nach oben springt ... »God, do you hear ...« und jetzt gedoppelt ... »cries of kindred souls? ...« mir stockt der Atem ... »Dear God the broken man reaps what he has sown / Pray for me, I am not alone / Dear God exorcise strangers from my home ...« Verzerrte Gitarren setzen ein, im Mix mit der cleanen - eine beinahe helle, optimistische Power-Atmo, und dazu wortloser Gesang - euphorisch und euphorisierend. Binnen Sekunden dreht dann die Stimmung ins Bedrohliche, und einer der großartigsten Prog Metal-Songs seit Jahren nimmt seinen Lauf.
"Neurotically Wired" - welch ein Name, welch eine Dramaturgie! Unglaublich viele hochspannende Wechsel. Keine Strophen. Nein, der Song unterläuft eine brillante Metamorphose. Bis nach mehr als fünf Minuten (!) zum ersten Mal der Chorus seine atmosphärische Schneise in einen göttlichen Wahnsinn aus Riffs in unbegreiflichen Rhythmuswechseln, perfekten Breaks und Gänsehaut-Frickeleien schneidet. Die Songarchitektur könnte nicht edler sein - der Refrain (unglaublicherweise) schon. Song Nummer zwei, das wesentlich einfacher gestrickte, extrem melodische und nicht minder schwermütige "Midnight Serenade": Der Gesang wird in einem ekstatischen Finale auf dem Quintenzirkel nochmal eine Stufe nach oben geschraubt, und John Arch sorgt im Chorus dafür, dass mir zum ersten Mal seit Jahren beim Hören neuer Musik Tränen der Rührung in den Augen stehen ...
Weniger überschwänglich kann ich es nicht beschreiben - lange genug hat es gedauert, bevor ich es überhaupt gewagt habe, meiner Begeisterung unwürdige Worte zu verleihen. "Sympathetic Resonance" besteht nicht nur aus schier unübertrefflichen Kompositionen - das Album glänzt auch durch Technik auf höchstem Level - ein Fest für Fates-Fans. Joey Vera, Frank Aresti und Bobby Jarzombek in Höchstform - jeder hat seine Momente, die einem die Kinnlade auf 1000 Meter unter N.N. fallen lassen. Zum Beispiel im vierminütigen (!) Intro zu "Staind Glass Sky" - ein Fest für die Sinne! Und: Hatte ich beim Opener von einem der besten Prog-Songs seit Jahren geredet? Der Titel geht auch zur Hälfte an diesen wunderbaren Wahnsinn von einem Longtrack - allein die B-Parts bieten mehr Höhepunkte als andere Bands in einer Karriere voller Musik erreichen. Ein Schwindel erregender Wechsel aus 4/4- und 6/8- und was-auch-immer-für-Takten ... genial sind jene Momente im 5/8-Takt, wenn der mysteriös verhaltende Chorus das enorme Energielevel mit aller Gewalt kurzzeitig nach unten drückt.
Apropos 'Energie': "On The Fence" - wow, was für ein Brett ... diese fesselnde, atemlos dichte Hochspannung in betörend schleppendem Midtempo nach dem extrem dynamischen Vorgängertrack - das muss man erst einmal verdauen. Beim zweiten, dritten Hördurchgang öffnet sich das Stück! "Any Given Day" - ein epischer Mix aus langem, wildem, aufregendem Heavy Metal-Part und einem wehmütig getragenen Outro. Und dann kommt da eben noch jene Perle "Incense And Myrrh" voller Anmut und Grazie. John Arch kann hier so viele Nuancen seines nach wie vor unvergleichlichen Gesangs ausleben ... hier wird einem ganz heiß und kalt. Unfassbar, diese Stimme. Jahr(zehnt)elang hatte John Arch nach seinem Ausstieg bei Fates nicht mehr gesungen und sich für seine EP diese Kunst einst wieder mühsam antrainiert. Und nun diese Krönung!
Und "Sympathetic Resonance" ist kein bloßes 'Back To The Roots'-Album. Der Klang dieser Stimme und die krasse Energie des Albums zaubern einem zwar unweigerlich die frühen Fates Warning in den Sinn. Doch der klang von Matheos' Gitarren, diese dunkle Härte ... da steckt auch viel von Fates im neuen Jahrtausend drin, ja gar Spuren von OSI. Und eben auch viel des wunderbaren Wahnsinns der 80er. Aber der Muff ist raus - der Klang ist mit der Zeit gegangen, und das ist ganz wunderbar so. Denn einfach nur ein weiteres Kapitel Altbekanntes - egal wie wunderbar es ist - braucht kein Mensch. Und das wäre auch 'unecht', wenn man weiß, wie sehr ein Jim Matheos sein musikalisches Leben lang im Wandel war. Arch/Matheos sind viel mehr als 'nur' "Bröcken/Spectre/Guardian" reloaded.
Ein solches Juwel, sieben Jahre nach dem bislang letzten Fates-Album, und in dieser Besetzung - doch es steht eben nicht Fates Warning drauf. Auf die Frage, ob John Arch wieder Ray Alders Platz einnehmen würde, antworten sowohl Arch als auch Matheos einmütig mit 'nein'. Außerdem komponiert Jim Matheos bereits am kommenden Fates-Album (auf dem dann auch Fates draufsteht). Solche Harmonie unter den Beteiligten - und heraus kommt dieses majestätisch-bombastische Meisterwerk der Melancholie. Mit Lyrics, die eine ganz eigene Sprache sprechen - tausend Facetten menschlicher Fehlbarkeit, niederschmetterndem Zweifel, tiefgründigem Schmerz und zarter Hoffnung in poetischen Bildern, die es über hundert Hördurchgänge hinweg zu enträtseln gilt.10 von 10 RockTimes-Uhren für das bislang beste Keyboard-lose Prog Metal-Werk dieses Jahrtausends. Dieses Album ist gott. Gibt es dieses Adjektiv schon? Wenn nicht, hier ist es ...
»Crawling before we believed we cold stand
Fall after fall we would trust once again
Shattered and broken, love the illusion takes us by the hand
When it abandons you, you will understand«

["On The Fence"]
Line-up:
John Arch (vocals)
Jim Matheos (guitar)
Joey Vera (bass)
Bobby Jarzombek (drums)
Frank Aresti (guitar)
Tracklist
01:Neurotically Wired (11:12)
02:Midnight Serenade (5:27)
03:Stained Glass Sky (13:56)
04:On The Fence (8:11)
05:Any Given Day [Strangers Like Me] (10:27)
06:Incense And Myrrh (5:22)
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