Also, ganz ehrlich: Diese Instrumentenliste lässt es doch schon in den Ohren klingeln, bevor das erste Instrument überhaupt zu hören ist, oder? Querflöte, Mellotron, Klavier, Hammond, Streicher, auch mal ein Saxofon ... und natürlich das übliche Rock-Werkzeug. Es überrascht nicht, dass Argos, die 2005 vom Mainzer Thomas Klarmann gegründete Band, sich auf urigen Originalzeit-Prog spezialisiert hat. Und auch die Songs auf dem inzwischen dritten Album überraschen irgendwie nicht. "Cruel Symmetry" ist für den Hörer vielmehr so etwas wie kalkuliertes Kopfkino. Es gibt kaum Situationen, bei denen man nun überwältigt kreischen, völlig übermannt das Wasser nicht halten könnte und sofort die besten Freunde anruft, um ihnen Argos durch den Telefonhörer vorzuspielen. Dafür fehlt der Eindruck, hin und wieder etwas zu hören, was man noch nie gehört hat. Und dennoch läuft in diesem Kopfkino ein äußert unterhaltsamer Film ab. Das wohlige Grinsen verlässt kaum das Gesicht des Hörers, und ab und an spendet er Szenenapplaus.
Besonders viel Beifall gibt es während der gut 20 Minuten des Titeltracks. "Cruel Symmetry" ist in 13 Episoden unterteilt. Und es wirkt alles ziemlich 'fantastisch', als ob man eine riesige, alte Villa betreten würde, die vor 150 Jahren von ihren adeligen Besitzern verlassen worden ist, in der seither nichts angerührt wurde, in der es seither spukt und zaubert. An der Haustür werden wir nur vom Piano und mysteriös-verheißungsvollem Gesang begrüßt - im Vintage- Peter Gabriel-Stil. Jedes Einzelstück des Longtracks lugt nun in ein anderen Zimmer hinein. Und zwischendurch kehren wir immer wieder auf den Flur zurück - 'Parallel Line' heißt diese wiederkehrende Sequenz, ein magischer Refrain mit einer schier zu schweben scheinenden Melodie, mehrstimmig und atmosphärisch wiedergegeben.
»Still you look across the sky / And you crave infinity
But you'll never make them meet / These parallel lines.
Better find a life today / Better start to find your way
Better stand on your own feet / Ride on parallel lines.«
Auch diese Sehnsucht in den Lyrics nimmt einen richtig mit.
Die Sequenzen dazwischen (oh, das soll nicht abwertend klingen!) sind ein Mix aus hymnischen Melodien und quirliger, aber glücklicherweise niemals überdrehter Prog-Kunst. Flöte, Hammond und Gitarre mischen sich mit Synthesizer-Erzeugnisse der Geschmacksrichtungen Spieluhr, Kirchenglocken, quietschlebendigen, korkigen Orgeln. Sogar ein Trompetensound ist dabei; der eher plastikhafte Klang ist bestimmt Absicht. So wird der kleine Polka-Ausflug eine unterhaltsame Angelegenheit. In den Instrumentalparts klingt kurzzeitig etwas Fusion durch - und auch ur-jazzige Statements, wenn über einer rhythmischen Grundschwingung soliert wird. Das Gitarrensolo bei Minute neun ist übrigens eine Wucht; pfiffig, wuselig und im Klang so wunderbar authentisch. Ich könnte wetten, dass da nicht viel digital nachbearbeitet wurde. Davon hätte ich gern noch mehr gehört.
Auch die restlichen sechs Stücke - also die ohne Überlänge - sind definitiv keine Kittmasse, um die CD voll zu bekommen. "Chance Encounters" und vor allem "Caught Within The Light" (stärkste Nummer abseits des Titeltracks, hat was von Neal Morse) basieren auf erstaunlich grob geschnittenen Hard Rock-Riffs und spielen gekonnt mit ruhiger Kontra-Stimmung. "Paper Ship Dreams" und "Possessions" sind eher leichtfüßige Nummern mit soft groovendem Smooth Fusion-Feeling. Verspielt, aber stets fokussiert statt einfach dahinplätschernd. Das erinnert zuweilen an Donald Fagen, wie übrigens auch "The Story Of Flying Robert", die wirklich bezaubernd vertonte 'Struwwelpeter' Geschichte vom 'Fliegenden Robert', den es beim Sturm mit seinem kleinen Schirm davonweht. Der tight akzentuierte und zugleich butterweich brummende Fusion-Drive und natürlich der Gastauftritt das Altsaxophons machen diese Nummer zu einem launigen Vergnügen ...
... und es macht Argos zu weit mehr als 'nur' einer weiteren Retro Prog-Nummer. Vielleicht wird dann ja doch der ein oder andere überrascht sein. Etwas gewöhnungsbedürftig sind ab und an die Lead Vocals. In zurückhaltenderen Momenten sind sie mir oft etwas zu körperlos. Nichtsdestotrotz passt dieser Stil zu den jeweiligen Atmosphären. Die kräftige Ausgabe des Gesangs klingt überzeugend 'old school' und hat ein bisschen was von Lynn Meredith ( Proto-Kaw).
Gesamteindruck: Ein richtig schön brodelndes, blubberndes, buntes Klang-Biotop - und außerdem eine dieser Bands von Musikern für Musiker.
Line-up:
Thomas Klarmann (basses, pedals, flute, mellotron, Hammond organ, synthesizer, acoustic guitar, vocals)
Robert Gozon (acoustic & electric piano, Hammond organ, strings, acoustic guitar, vocals)
Ulf Jacobs (drums & percussion)
Rico Florczak (electric & acoustic guitars)
Guest musician:
Dieter Grundmann (alto saxophone - #5)
Tracklist |
01:Cruel Symmetry (20:45)
02:Paper Ship Dreams (4:32)
03:Chance Encounter (4:24)
04:Possessions (6:05)
05:The Story Of Flying Robert (4:29)
06:Caught Within The Light (7:06)
07:Open Book (7:44)
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