Astra / The Weirding
The Weirding Spielzeit: 78:00
Medium: CD
Label: Rise Above, 2009
Stil: Psychedelic Prog


Review vom 29.06.2009


Ingolf Schmock
»Ich glaube, die größte Barmherzigkeit dieser Welt ist die Unfähigkeit des menschlichen Verstandes, alles sinnvoll zueinander in Beziehung zu setzen. Wir leben auf einer friedlichen Insel der Ahnungslosigkeit inmitten schwarzer Meere der Unendlichkeit, und es war nicht vorgesehen, dass wir diese Gewässer weit befahren sollen.
Die Wissenschaften steuern alle in völlig verschiedene Richtungen und sie haben uns bislang nur wenig Schaden zugefügt, doch eines Tages wird uns das Aneinanderfügen einzelner Erkenntnisse so erschreckende Perspektiven der Wirklichkeit und unserer furchtbaren Aufgabe darin eröffnen, dass diese Offenbarung uns entweder in den Wahnsinn treibt oder uns aus der tödlichen Erkenntnis in den Frieden und den Schutz eines neuen dunklen Zeitalters flüchten lässt.«
(Cthulhus Ruf)
Howard Phillips Lovcrafts unheimliche Theorien über erste außerirdische Besucher auf unserer Erde und deren dämonische Hinterlassenschaft schlüpfen beim Hören des vorliegenden monolithischen Musik-Debüts auf unerklärliche Weise aus den tiefsten Hemisphären des Schreiberlingen-Großhirn und lenken diesen geradezu achtzig Minuten in einen tönenden psychotischen Bann.
Acht selbstständige Epen, die sich im musikalischen Mystizismus der Siebziger wälzen, und irgendwie sowohl mit dem Charme psychedelischer Ursuppe als auch mittlerweile patinierter Krautrockkonserven narkotisieren, mögen so manchen Kobold aus vergrauten Fantasie-Coverlandschaften mit Leben versorgen.
Die fünf Jungs aus San Diego, Kalifornien haben zumindest ihre Hausaufgaben gemacht und philosophieren in ihren Kompositionen thematisch über den Tod nebst den betrachtenden Versenkungen in das göttliche Werk und dessen ungreifbare Phänomene, versuchen morbide Fluchtvisionen aus einem sich rasch verschlechterten Zustand dieser Welt mit ihren musikalischen Vorstellungen zu umkleiden und in die Gehörgänge psychedelisch vorgeschädigter Tempel-Bewohner zu bohren.
Die partiell von bewusstseinserweiternden Substanzen beflügelten, butterweichen und in Harmonie badenden Melodien, die doch wohltuend von antiquarischen Instrumenten geprägt sind, neigen nur selten dazu, ganze Heerscharen Mordors dem tönenden Lockruf Cthulhus Folge leisten zu lassen.
Hinter ihrem Weihrauchkessel zehrten die noch recht jungen Protagonisten vom instrumentalen Grundrauschen krautiger Versuchsanordnungen vergangener Tage und den psychedelischen Essenzen britischer Artrock-Schamanen, um die musealen Klanggemälde so authentisch wie möglich zu konservieren. Astras schillernde Kompositions-Palette bietet sowohl pompöse Gitarrenklagemauern und peitschende Rhythmen, wie in "The Rising Of The Black Sun", als auch Mellotron-durchtränkte Räucherstäbchen-Orgien beim Titelsong, die auch schon mal mit endlos zähen Riffs auf wattiertem Untergrund überladen wirken.
Die mäandernd wohltemperierten, wenn auch stellenweise etwas dünnen Gesangspartien der Multiinstrumentalisten Richard Vaughan und Conor Riley bilden den Baldachin über das geisterhafte Klanggerüst aus marmornen Tastenkathedralen und arabesken Flötenschnörkeln, welche als zäh fließende Lavamasse durch endlos zerklüftete Schluchten zur Freiheit streben, stattdessen schließlich aber als aufbrausender Sturzbach vom Orkus verschlungen werden.
Ständig wie ein Mantra und mit hypnotischer Repetition ziehen die kosmischen früh-floydianischen Suiten ihren Cthulhu'schen Bannkreis um des Hörers Sinne, exhumieren ihren Stockhausen'schen Klangkörper bis ins kleinste Detail, nähren dieses bisweilen unter teuflischem Vergnügen mit Gitarrist Brian Ellis' kaugummiartigen Endlos-Schleifen und Canterbury'schem Bläsergeschmetter, um dramaturgisch überfüttert als fossile Prog-Symphonie zu versuppen.
Die Kalifornier schaffen mit ihren konstruierten Kompositionen monumentale Ewigkeiten - eine musikalische Größe, welche sich nicht in Zeit und Raum definieren lässt.
Trotz unterschiedlicher Stimmungen der meist überlangen Arrangements wirkt "The Weirding" als ein Gesamtkunstwerk und äußerst homogen deklamiert, wobei die überaus empfindsame bzw. gedämpfte Rhythmussektion mit Schlagzeuger David Hurley und Bassist Stuart Sclater die hörbar klassisch ausschweifenden Klangsegmente formvollendet abzurunden vermag.
Das monumentale Herzstück "Ouroboros" formiert hierbei wohl als Prototyp für ein instrumentales Feuerwerk an stilistischer Vielfalt und sicheren Wechsel zwischen zarten Passagen und auch deliziös in Schwindel erregende Spitzen musizierender Avantgarde. Fakt ist: Wäre dieses veritable Gesellenstück in den Siebzigern geschmiedet worden, befände sich dieses mit Sicherheit heute unter der versammelten Riege begnadeter Genreklassiker, so aber wird es wohl im Dunstkreis epochaler Gegenwartsalben verrauchen.
Nichtsdestotrotz ist das Debüt der vom Mentor Lee Dorian geförderten Kalifornier eine formvollendete Überraschung, und für den Rezensenten ein bisheriger Höhepunkt des Jahres, auch wenn man angesichts des etwas vereimerten Klangbildes Abstriche vermerken muss.
Die Sternen-Combo ist zwar depressiven Gemütern unter den Konsumenten mit Vorsicht zu empfehlen, sorgt aber im Abgang für ein zufriedenes Kopfgefühl, und nimmt uns die Angst vor Cthulhus unheimlichen Vermächtnissen.
Line-up:
Richard Vaughan (guitar, mellotron, echoplex, vocals)
Conor Riley (mellotron, arp odyssey, organ, guitar, vocals)
Stuart Sclater (bass)
David Hurley (drums, percussion, flute, various noisemakers)
Brian Ellis (guitar, moog, vocals)
Tracklist
01:The Rising Of The Black Sun
02:The Weirding
03:Silent Sleep
04:The River Under
05:Ouroboros
06:Broken Glass
07:The Dawning Of Orphiucus
08:Beyond To Slight The Maze
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