Wie soll ich diese Zeilen nur sachlich beginnen? Ehrlich gesagt ist es verdammt schwer, anfangs für solch ein Werk die passenden Worte zu finden. Ein über 65-minütiges Album, das mit der Größe und Masse eines Himalaya-Berges gleichzusetzen ist, soviel Tiefgang im erstklassigen Songwriting aufweist wie kaum ein anderer Longplayer der letzten 15 Jahre und schlichtweg die Wiedergeburt des wohl verkanntesten Genres des Heavy Metals darstellt: dem unglaublich vielfältigen Epic Metal!
Aber erst einmal sollte man für unwissende Leser noch ein wenig auf die Vorgeschichte dieser fünf oberpfälzische Musikzauberer eingehen: Im Jahre 2006 hatte ein gewisser
Manuel Trummer (Gitarre), der übrigens Mitinhaber des bei Keep It True-Gästen sehr beliebten Kleinlabels Iron Kodex ist, die Schauze von Plastik-Sounds im Metal endgültig voll und entschloss sich, seinen großen Vorbildern
Bathory in ihrer
Hammerheart-Phase,
Manilla Road,
Cirith Ungol und
Manowar (in ihren Zeiten mit
Ross The Boss, welcher auf dem "Pnakotic"-Demo einen Gastauftritt hatte) mit einer eigenen Band Tribut zu zollen.
Atlantean Kodex waren geboren!
Nach nur einem Jahr konnte bereits "The Pnakotic Demos", ein Viertracker mit einer Gesamtlänge von über 30 Minuten, ans Volk gebracht werden und die Resonanzen waren schlichtweg überragend. Es folgte eine weitere EP, "A Prophet In The Forest" (limitiert auf sagenhafte 10 (!) Stück), ein Livealbum des genialen Keep It True-Auftritts vom April 2009 ("The Annihilation Of Königshofen", Limit: 89 Exemplare) und schon wurde es endgültig Zeit für den ersten, richtigen Longplayer. Wo wir dann auch endgültig beim Thema "The Golden Bough" (Beiname: "A Study In Magic And Religion") wären!
Mittlerweile untergekommen beim italienischen Underground-Label Cruz Del Sur nahm man dieses Jahr »in the days, when the tree of May was raised in the villages of the Upper Palatinate« (Zitat des Booklets) neun Songs auf (inklusive dem kurzen Interlude "The White Goddess" und dem Outro "The Golden Bough"). Die Stücke sind, mit Ausnahme der kurzen und knackigen Uptempo-Nummer "Disciples Of The Iron Crown" (Spielzeit: 4:11 Minuten), niemals unter sechs Minuten lang, Epen von über zehn Minuten sind hier keine Seltenheit. Und gerade die sind es, die herausstechen. Ich kann mich persönlich nämlich an kein Album erinnern, das es schafft, mit einem zehnminütigen Opener (das unglaublich mitreißende "Fountain Of Nepenthe") bereits alle Lästermauler mit einem Hammerschlag verstummen zu lassen. Mein persönliches Lieblingslied auf der Scheibe ist übrigens "The Atlantean Kodex": Gleich mit einem majestätischen, erhabenen Riff, losgelassen von einer göttlichen Doppel-Leadgitarren-Front, wird der vergleichsweise kompakte Song (sieben Minuten) eröffnet. Dazu reiht sich direkt im Anschluss die hohe, sofort wiedererkennbare und klare Stimme von Markus und wenn es in den Refrain geht, hat man sowieso die perfekte Aussage zu dieser Band:
»Heed to - The Atlantean Kodex
Kneel before - Atlantean Kodex
Bow your head - Atlantean Kodex
Share the madness, the fury and the might«
Übrigens: Auch Freude von
Deep Purple werden sicherlich ein paar bekannte Melodien für sich entdecken: Beachtet mal die Harmonien am Schluss vom Elfminüter "Pilgrim". Wem da nicht sofort "Child In Time" in den Kopf schießt, der hat 40 Jahre Rockgeschichte verpasst! Doch einen Plagiatsvorwurf kann man den Oberbayern in keinster Weise machen, selten durfte ich solch ein abwechslungsreiches und innovatives, gleichzeitig aber auch traditionelles, mit einer warmen Produktion nur glänzendes Old School Metal-Album genießen. Die faszinierenden Laut-Leise-Harmonien, das ausgeklügelte Songwriting und eben die Vorliebe für handgemachte Musik: Das macht diese Band so einzigartig und einfach nur genial! Meine Prognose nach dem ca. 35. Durchlauf von "The Golden Bough" (das man, dem Inlay entnommen,
»12000 Jahren europäischer Mythologie« und
»dem Spirit des Underground Metal« gewidmet hat):
Atlantean Kodex sind die Zukunft des Heavy Metals und kurz gesagt, das Erbe, das den Spirit von
Manilla Road und Konsorten auch noch in 20 Jahren, wenn uns das Erdöl für Vinyl (welches es auch von dieser Scheibe als Doppeldecker gibt) langsam am Ausgehen ist, weitertragen wird.
Noch eine kleine Randanekdote für die Geschichts- und Kulturfans unter Euch: Das Cover ist ein Gemälde von
Arnold Böcklin, trägt den Namen "Die Toteninsel" und steht in der Nationalgalerie Berlin.
9 von 10 RockTimes-Uhren .