Jene Bands, von denen man nicht all zu oft Neues hört, gehören oft zu den interessantesten Kandidaten überhaupt. Atmosfear ist so ein Fall, der Fünfer aus Hamburg, der mit "Zenith" gerade mal das dritte Album in 13 Jahren rausbringt - ein Studiowerk mit einer geheimnisvollen Anziehungskraft, was mich zu der Überlegung anregt, was überhaupt die Attraktivität von Progressive Metal ausmacht. Jener der Marke Atmosfear zeichnet sich nicht durch atemberaubende technische Akrobatik aus, auch nicht durch Bombast und Dramatik, nicht durch einen avantgardistischen Stilmix, nicht durch einen außergewöhnlichen Einzelkönner im instrumentalen oder vokalen Bereich, und nicht durch extrovertiertes oder in irgendeiner Form weltbewegendes Songwriting. Kurzum: Atmosfear sind nicht spektakulär. Und trotzdem kann man sich ihrer Bannwirkung nicht entziehen.
Schon allein der Name der Band ist sehr aussagekräftig. Es sind die Atmosphären, die bei dieser Musik bestechen, von den Intros über die Strophen bis hin zu den Refrains - ernste und nachdenkliche, auch geheimnisvolle Atmosphären, knisternd spannende, melancholische und aufwühlende, teils dem Bandnamen entsprechend beängstigende, schaurig-intensive Stimmungen. Selbst die Instrumentalstrecken halten diese emotionale Bannwirkung aufrecht, sei es bei den Soli in Keyboard und Gitarre oder bei der ein oder anderen rhythmischen Spielerei. Und sogar hier ist man weit davon entfernt, eine Darbietung des eigenen Könnens oder der mannigfaltigen Möglichkeiten musikalischer Machenschaften messbar zu machen. Nein, nein... selten darf man einer Prog-Kapelle lauschen, die derart songdienlich agiert und partout nicht von ihrem musikalischen Plan abdriftet. Sei es in transparent strukturierten, verhältnismäßig 'kurzen' Stücken wie "Loss Of Hope" mit klarer Strophen- und Refrain-Struktur oder in (genial) verschachtelten Longtracks wie "Generations", "Scum Of Society" oder dem superlangen "Spiral Of Pain".
Das sind tiefgehende Epen, die sich prächtig entwickeln. Auffallend ist, dass man sich ganz bewusst lange Zeit lässt, um hypnotische Auren mit spannungsgeladenen Gesangs-Hooklines zu entwickeln oder äußerst kurzweilige Instrumentalstrecken mit unendlichen Wechseln Schritt für Schritt auszubreiten. Im Instrumentalbereich wird niemals overplayed oder künstlich dramatisiert, weder durch fragmentierte Frickeleien ohne sinnvolle Songanbindung, noch durch übertriebenen Einsatz von Synthesizern, die ja gemeinhin für ihren Drang bekannt sind, klangliche Lücken ohne Rücksicht auf Überfrachtung auszufüllen. Statt dessen ist es die intelligente Detailarbeit, mit der sich die Stücke Takt für Takt nach vorn entwickeln. Trotz zahlloser Wechsel von Rhythmen, Riff-Techniken und Härtegraden wirkt das Songwriting niemals bruchstückhaft, sondern erstaunlich kohärent.
Der rote Faden geht nie verloren; bei jedem Prog-Feuerwerk, das (vor allem in den langen Stücken) mit Coolness, Herz und Hirn abgebrannt wird, gibt es stets ein musikalisches Element, das den Hörer zur nächsten Stufe mitnimmt und konstant bleibt, sei es der Rhythmus, das Tempo oder das Riffing. Wie auf dem Seziertisch ist diese Kunst des unaufgeregten und zugleich dennoch überraschungsintensiven Atmosfear'schen Durchkomponierens beim Instrumentalstück "Reawakening" zu bestaunen. Selten habe ich einem Instrumental mit solcher Gier gelauscht, von den ersten zarten Klavier- und Clean Gitarren-Klängen bis zum zunehmend komplizierteren und dichteren Finale. In jeder Sekunde, so spürt man, könnte die Stimmung in der Musik 1.000 Wendungen nehmen; jederzeit könnte sich "Reawakening" gar als Intro eines großen Epos entpuppen und plötzlich Gesang einsetzen, so zielstrebig wirkt die Struktur des Stücks. Symptomatisch für das komplette Album: Die Musik lässt einen nicht los - selbst in den Breaks knistert es förmlich weiter und man verliert nicht das Verlangen danach zu wissen, wie es weitergeht.
Im Vokalbereich ist Oliver Wulff ein charismatischer Vertreter seiner Zunft, der im mittleren Höhenbereich mit Abstechern nach oben einfühlsam und kraftvoll agiert - Auch er ist für die ein oder andere Überraschung gut: Bei "Generations" wandelt sich sein Gesang plötzlich in Angst machende Growls, und in "Scum Of Society" agiert er streckenweise mit druckvollem Sprechgesang. Er ist kein Screamer vor dem Herrn, kein Sänger der alten Metal-Schule, sondern genau der richtige Akteur, um die kontemplativen bis drängenden, über weite Strecken eher düster gehaltenden Atmosphären glaubhaft und hingebungsvoll zu interpretieren.
Atmosfear erfüllen mit "Zenith" hohe Prog-Ansprüche was Ideenreichtum, Komplexität und technische Umsetzung angeht. Und die emotionale Bannkraft, die sie kreieren, lässt einen in Gedanken versinken und nimmt einen mit durch schaurig-schöne Klanglandschaften. Angesprochen werden unter anderem Hörer von Prog Metal-Bands wie Vanden Plas oder Poverty's No Crime und Liebhaber des düster eingefärbten Progs à la Evergrey oder Darkwater. Und manche mystisch angehauchten Atmosphären wie zu Beginn von "Generations" oder "Spiral Of Pain" sowie die transparente Detailarbeit in weniger schwermetallischen Passagen lassen sogar Gedanken an Neo Prog-Bands wie Arena oder IQ zu. Damit ergeben sich überdies interessante Gegensätze zu den ebenfalls vorhandenen Passagen mit Dampfwalzen-Riffing im Stile von Dream Theaters Brechstangen-Machwerk "Train Of Thought". Unter diesen Gesichtspunkten passen Atmosfear in keine Schublade vollends hinein; und das macht sie nur noch interessanter. Bärenstarkes Teil!
Line-up:
Oliver Wulff (vocals)
Boris Stepanow (guitar)
Stephan Kruse (keyboard)
Burkhart Heberle (bass)
Tim Schnabel (drums)
Tracklist |
01:Beginning (1:11)
02:Loss Of Hope (7:53)
03:Generations (12:10)
04:Reawakening (7:27)
05:Scum Of Society (12:58)
06:Spiral Of Pain (23:36)
I. Fall
II. Joseph's Theme
III. Elisa's Theme
IV. Fatal Reunion
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