Mit "The Scarecrow" hat Tobias Sammet die ersten beiden (exzellenten) Alben nicht einfach fortgesetzt, sondern sein Projekt Avantasia umgekrempelt und aufpoliert, musikalisch wie inhaltlich. Das Konzept hat nichts mehr mit dem ursprünglichen, historisch-angehauchten Fantasy-Märchen zu tun. Avantasia (wohlgemerkt ohne einen Zusatz "Part III") - "The Scarecrow" handelt als Faust-Adaption von einem Einzelgänger, dem die 'normale' Welt einen psychischen Knacks attestiert und dessen unerfüllten Sehnsüchte nicht nur von guten, sondern auch von zwielichtigen bis bösen Gestalten erhört werden. Diese Rollen werden von hervorragend passenden Gastsängern ausgefüllt: Alice Cooper, Oliver Hartmann und vor allem 'Mephisto' Jorn Lande stehen mehr oder weniger auf der dunklen Seite, Bob Catley als 'good spirit', Michael Kiske und Amanda Somerville stehen für das Gute und Schöne, teils Unerreichbare.
Los geht es aber mit Roy Khan, der in die Rolle eines Psychiaters passt wie die 'Faust' (no pun intended...) aufs Auge. Und musikalisch ist der Opener "Twisted Mind" eine 'Faust'-dicke (ups...) Überraschung: tonnenschwere Mid-Tempo-Riffs, spannend-mysteriöse, effektbeladene Strophen, und im Refrain brachiale Chöre wie aus hundert Kehlen - ein eindrucksvolles Markenzeichen bei fast allen Songs. Kein Up-Tempo-Brecher also.
Als allerfeinste Speed-Hymnen erweisen sich später aber die beiden Sammet/ Lande-Duette "Another Angel Down" und "Devil In The Belfry" sowie das stark Helloween-lastige "Shelter Form The Rain", bei dessen Affenzahn-Refrain ausgerechnet Michael Kiske die Lead Vocals übernimmt und Kai Hansen die Gitarrenarbeit - glücklich machende Nostalgie.
Höhepunkt des Albums ist der 11:11 Minuten lange Titelsong "The Scarecrow", der wiederum kaum etwas mit früheren Avantasia-Alben gemein hat. Eine mysteriös anmutende Keyboardmelodie und mittelalterlich wirkende Trommeln schüren gleich die Neugier. In zunächst getrennten Sammet- und Lande-Passagen baut sich über lange, aber niemals langweilige Strecken bedächtig Spannung auf von balladenhaftem Beginn bis zum bombastischen Chorus. Es folgen ein großes Break - ein fantastisches Solo und ein überragender zweiter Teil, bei dem Jorn Lande so aggressiv zur Sache geht, dass man sich an den jungen Ronnie James Dio erinnert fühlt. Sehr gelungen sind auch "The Toy Master", dessen schaurig-düstere Atmosphären einem Alice Cooper wie auf den Leib geschneidert sind, und der superdynamische, melodische Heavy-Rocker I "Don't Believe In Your Love".
Darüber hinaus gibt es einige ruhige Töne auf dem Album. "What Kind Of Love" ist anfangs zarte, später schwere Melancholie mit Somerville und Sammet, "Cry Just A Little" ein Magnum-beeinflusster Song mit viel Pathos für Catley/ Sammet. "Carry Me Over" und "Lost In Space" sind zwei klassische Metal-Powerballaden - gute Ohrwürmer, aber ohne jede Ecken und Kanten. Die Songs sind für sich alleine streitbar, runden das Gesamtalbum aber gut ab. So ist beim Durchhören der 64 Minuten von seichten und kraftvollen Balladen über dramatische Mid-Tempo-Dampfwalzen und Hochgeschwindigkeitspräzision bis zum Epischen alles am Start. Diese Bandbreite macht "The Scarecrow" sehr stark und unabhängig von seinen Avantasia-Vorgängern. Über die Songwriting-Qualitäten Sammets muss man keine Worte verlieren, ebenso wenig über die Klasse der beteiligten Instrumentalisten Eric Singer, Kai Hansen, Henjo Richter und Rudolf Schenker. Und für den perfekten, vielschichtigen Bombast-Metal-Sound mit detailreicher Orchestrierung sorgten dieses Mal mit den Produzenten Sascha Paeth und Miro (u.a. Kamelot, Rhapsody...) wahre Meister ihres Fachs.
Auf der Bonus-DVD spricht Tobias Sammet Song für Song über Story und musikalische Umsetzung, über Avantasia ganz allgemein und lässt ein paar heitere Anekdoten vom Stapel, wie die vom unfreiwilligen, schneebedingten Umweg auf der Reise zum Video-Dreh nach Belgrad. Die dank Bluebox-Technik und Schauspielern professionell wirkenden Clips von "Carry Me Over" und "Lost In Space" mitsamt Making-of sind gleich dabei. Die alternativen Versionen von "I Don't Believe In Your Love" und "The Toy Master"
singt Sammet im Alleingang ohne Gaststars.
Tracklist |
CD:
01:Twisted Mind
02:The Scarecrow
03:Shelter From The Rain
04:Carry Me Over
05:What Kind Of Love
06:Another Angel Down
07:The Toy Master
08:Devil In The Belfry
09:Cry Just A Little
10:I Don't Believe In Your Love
11:Lost In Space
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DVD:
Lost In Space (Video Clip)
Carry Me Over (Video Clip)
Making Of "Lost In Space"
Making Of "Carry Me Over"
Avantasia - Electronic Press Kit
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