Zweifelsohne befinden wir uns mittendrin, im sogenannten demographischen Wandel, Kultur-Konsumenten überaltern, und das Nachrücken drangvoller Generationen gerät ins Stocken. Vielleicht ist selbiges ein Grund dafür, dass einerseits seligmachende klassische Musikformate, andererseits breitbeiniges Showgehabe Rock-beflissener Unruheständler und deren teils abgehalfterte Alterswerke eine wahre Renaissance feiern. Das Musikgeschäft verlangt so nach neuen Verkaufsstrategien, ist die von einer teuflischen Vernetzung und Geiz ist Geil-Mentalität besessene Jugend kaum profitabel, müssen halt die in der Rentenhängematte schaukelnden Endverbraucher an die Konsum-Melkmaschine. Bekannterweise bestätigen aber Ausnahmen die Regel, existiert auf diesem Planeten noch eine Handvoll Künstler, welche mit ihrem musikalisch unnarzistischen Gusto und von Hochbegabung geprägter Exzentrik einem Fast-Food-TV- und Smartphone-genährten sowie altersweisen Publikum gleichermaßen einen feuchten Schritt und Besitzzwang bescheren.
Eine rätselhafte Pop-Schamanin, welche mit ihrem bisherigen musikalischen Oeuvre, randvoll mit Lebensdramatik und wirren Antagonismen, mittlerweile ehrerbietungswürdigende Kniefälle einer generationsübergreifenden Fanschar für sich beansprucht, zählt wohl unbestritten zu diesem erlauchten Kreis. Myra Ellen Amos alias, die zur Frömmigkeit verhaftete Tochter eines Methodistenpfarrers und mit musikalischer Begabung beleckte Wundergöre aus North Carolina pilgerte auf ihrem bisherigen Lebenspfad sowohl durch blühende Auen als auch glutversenkte Steppen. Sie malträtierte als aufmüpfige Konservatoriums-Ausbrecherin nächtens die Pianotasten eines verruchten und vom unkeuschen Gewerbe belebten Etablissements, durchlitt das Martyrium menschgemachter Erniedringung, und eine auf Lustobjekt-Niveau herabwürdigende Pop-Maschinerie.
Mit starrköpfiger Verweigerung und einer eigenkomponierten Abrechnung mit dem Männer-Patriarchat erklomm die listige Domina ihres opulenten Bösendorfer Flügels den Olymp aller kapriziösen Kunstlied-Sirenen. Seit nun mittlerweile zwei Dekaden schwingt die scheinbar Magie-gezierte Schöne mit der warnfarbenen Haarpracht furchtlos das flammende Schwert
des Moral-entblößenden und nach leidvoller Tiefe schreienden Liedverses. Die berufene Feministin beherrscht ihr Metier, ob als schnurrendes oder fauchendes Raubkätzchen, als frivole Bordellherrin, breitbeinig oder züchtig zwischen dem Tasteninventar. Mit derartiger Bühnenpräsenz generierte sie weltweite Anbeter.
Über all die Jahre erspürte die widerborstige, stets sich selbst verzehrende Revolutionärin ihren unabdingbaren Kurs zwischen fruchtbunten sowie Seelen-demaskierenden Pop-Liedchen und kryptisch sinnlichen Tonschöpfungen, von Kritikern hofiert oder missverstanden, zurück zu den musikalischen Geistern der Kindheit. Inspiriert von den immergrünen und zerklüfteten Landschaftskulissen einer Prime Time-Schmonzette, in der Abgeschiedenheit der Englischen Grafschaft Cornwall, erfand sich die gereifte Künstlerin völlig neu und beschwichtigte mit einem nach Schubert'scher Manier selbstverfassten Liederzyklus die Dämonen ihrer gestrengen Lehrmeister. Nacht der Jäger ist eine Sammlung kühner und emanzipierter Adaptionen E-musikalischer Blaupausen, alsgleich eine esoterisch aufgeweichte, mit ausschließlich akustischem Kammerinstrumentarium produzierte Obduktion einer verglimmenden Liebesbeziehung.
Mit der sodann Klassik Echo-bedachten Meisterleistung mag die Verehrerin von vorchristlichen Ritualen und heidnischen Kulten nun endlich die Rezeptur für ihre schicksalhafte Prädestination gefunden zu haben.
Gewiss, es scheint so, als fände ihre schonungslose Passion im neuesten Auftragswerk ihrer deutschen Plattenfirma die endgültige Erlösung und begrübe einen Teil belangloser Pop-Vermächtnisse unter wogenden Streichern und dem Fegefeuer entflohenem Gebläse. Auf "Gold Dust" bei YouTube betreibt die ungleich mehr in Harmonie badende Exzentrikerin keine Orchester-dramatisierte Nabelschau, sondern eine konsequente Neuerfindung der labyrinthischen und von einer seltsamen Verletzbarkeit zeugenden Qualitäten ihres bis dato schöpferischen Oeuvres. Das von ihr handverlesene Songmaterial entwickelt dank des suggestiven Minimalismus auf dem Flügel samt der von Erhabenheit getragenen
Breitwand-Orchestrierung ein mit allen musikeklektischen Taufwassern aufgebrühtes Aroma. Hierbei geht es der Femme Fatale mitnichten um das bloße ornamentale Ausschäumen sentimentaler Kunstliederchen, sondern um eine bisher als fatal abgegoltene Ehe zwischen populärer und klassischer Musik, sowie deren durchaus verführerischen Dialog zu legitimieren.
Anstatt bewährte Oldies in ein aufgebügeltes Gewand zu stecken, glittert güldener Staub zwischen ihren Bösendorfer-Tasten, wird vermeintlich Vergessenes zweifellos ehrgeizig und mit einer gehörigen Portion Verve freigesetzt. Kein Zeugnis von Midlife Crisis, vielmehr ein erwachsenes und versöhnliches zuhause ankommen ist die klare Botschaft und wiederholte Offenbarung einer auratischen Künstlerin, welche sich am Ende möglichst ein Dasein als »dreigesichtige Göttin von Geburt, Liebe und Tod« erträumen möchte. Resümierend und angesichts mehrheitlicher Lobpreisungen möchte man sich nicht des Gefühls erwehren, Wunsch und Glaube hätten sich verbrüdert und die Wahlengländerin befände sich auf dem diamantenen Weg
Line-up:
Tori Amos (Bösendorfer, vocals)
The Metropole Orkest Hilversum
Conducted by Jules Buckley
John Philip Shenale (arrangements)
Tracklist |
01:Flavor
02:Yes, Anastasia
03:Jackie's Strength
04:Cloud On My Tongue
05:Precious Things
06:Gold Dust
07:Star Of Wonder
08:Winter
09:Flying Dutchman
10:Programmable Soda
11:Snow Cherries From France
12:Marianne
13:Silent All These Years
14:Girl Disappearing
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