Herbst, das bedeutet neuer Wein im Glas und Maronen auf dem Teller, bunte Blätter an den Bäumen und tristes Licht im Zimmer. Aber auch in den Zimmern kann Buntes Einzug halten, dann nämlich, wenn man die Birth Control History DVD im Briefkasten vorfindet, sich erst mal am psychedelisch-farbigen Cover erfreut und einen Blick auf den Inhalt wirft. Hierbei handelt es sich im Übrigen um die erste DVD der Band überhaupt.
Herzstück ist das Konzert vom 19.10.1996 im Rendsburger 'Bullentempel', allerdings gibt es auch Material auf der DVD, das historisch weit wertvoller ist - doch nun erst mal zur Live Show.
Eröffnet wird diese mit dem Power-Stück "The Work Is Done" - der Nummer, der Nossi jedesmal gekonnte Zungenakrobatik verpasst, während Peter Engelhardt (Gitarre) und der am 20. Mai 1999 verstorbene Bassist Horst Stachelhaus zeigen, was den Hörer im Verlauf des folgenden Konzertes erwartet, zwei Saitenmänner auf der Bühne die nur eines wollen, und das mit aller Gewalt: nach Vorne treiben und die Zuschauer schwindelig spielen. Auch Keyboarder Xaver "Fischfinger" Fischer stimmt schon mal mit einem kurzen Solo ein.
Nossi trägt Eulen nach Athen als er vor "Call Me" dem Publikum mitteilt, dass Birth Control auf der Bühne stehen. Irre Gitarrensoli von Peter, geile Bassläufe von Horst lassen den Titel als 1A-Hardrock Gewitter in den Saal donnern.
Zum Abkühlen gerade recht ist das distinguierte Intro zu "Trial Trip". Nossi's unverkennbares Timbre in der Stimme 'schwebt' über dem Geschehen. Gefühlvolle Gitarrensoli schleichen sich, neben äußerst präzisen Bassläufen, dazu und dann gipfelt der Track in einer wahren Gitarrenorgie, gespielt von einem entfesselten Peter Engelhardt, den ich gerne als Gitarrenderwisch bezeichne. Treibender, stampfender Hard Rock auch bei "Back From Hell" - die BC-Maschine läuft rund!
Toll, dass für die DVD ein Konzert gewählt wurde, auf welchem Horst Stachelhaus noch mit an Bord war und wir sein superstarkes Bass-Solo in "The Sperminator's Lost Battle" erleben dürfen. Der Rest der Truppe bleibt passiv und lediglich das Schlagzeug mengt sich irgendwann nach Minuten dezent dazu. Beim Staunen über Horst's Fähigkeiten fiel mir ein, dass ich zwei Message LP's im Regal habe - von dieser Formation kam Horst zusammen mit Manni von Bohr einst zu Birth Control.
Zeit, die alten Schwarzrillen mal wieder aufzulegen.
Der Folgetrack ist die passende Nummer, um Grundsätzliches zu klären: Ist BC Krautrock?
"I Set My Mind On Vacation" ist wieder eines dieser harten Stücke. Hard Rock at it's best sozusagen und wenn Xaver seinen Läufen am Keyboard frönt, werde ich an allerfeinsten Deep Purple Output erinnert. Hard Rock ist wohl die treffende stilistische Beschreibung der Musik, zumal Krautrock überwiegend eine Ära deutscher Musik beschreibt. Es gilt also Beides und man kann ja auch von Hard(Kraut)-Rock reden.
Mit leicht schleppendem Rhythmus 'rollt' "Jungle City" in die Ohren des Betrachters und Peter Engelhardt brilliert erneut an den sechs Saiten. Für mich ist er einer der besten Gitarristen der Rockwelt. Gleich beim nächsten Song "Valley Of Darkness" beweist er mir dies erneut: er verschmilzt fast mit seinem Instrument. Auch Horst glänzt am Bass bei diesem spannungsgeladenen, und von einer Keyboardsequenz eingeleitetem Stück.
Mit den Worten "Der Sperminator ist nur durch ein Schlagzeugsolo zu bekämpfen, und das wird der Nossi euch jetzt vorführen" kündigt Horst "The Sperminator Strikes Back" an. Logisch, Nossi 'kämpft' und gewinnt und wer ihn schon mal live gesehen hat weiß, dass er bei dieser Nummer den Platz hinter der Schießbude verlässt und auf dem Weg zur Schlagzeugvorderseite auf allem rumtrommelt was gerade am Wegesrand steht. Das Keyboard, ja sogar der Bühnenboden wird als Drumstick-Ziel benutzt. Ist das Schlagzeug erreicht, klettert er auf die Bassdrum und bespielt das Instrumentarium aus dieser Position heraus. Es ist immer wieder ein besonderes Vergnügen, diesen Szenen beizuwohnen.
Nossi's Drummer-Qualitäten sind wohl unbestritten und daher ist er seit Anfang Oktober dieses Jahres auch als Dozent für Drums und Percussion an der BB-Music-School in Hennef tätig.
Keine Show ohne "Gamma Ray". Was soll man dazu noch schreiben? Etwa 25 Minuten gibt es diesen Klassiker und wie auf jedem Konzert dem ich bisher beiwohnte, sieht man das Publikum dabei tanzen und abrocken. Nossi drischt auf die Felle bei diesem Titel mit wohl einem der bekanntesten Drum-Solo. Auch Peter, Horst und Xaver schnappen sich verschiedene Percussionteile und jammen mit.
Die Choreografie lässt den Bass langsam 'anrollen', Peter beschert wieder atemberaubende Soli und liefert sich dann mit Xaver ein Duell. Absolut passend fällt da die Keyboardmarke ins Auge: 'Kurzweil' nämlich.
Das Saiten-Tasten-'Zwiegespräch' wird durch grummelnde Drum- und Bass-Begleitung untermalt, bis ein psychedelisches Intermezzo "Gamma Ray" tempomäßig fast bis zum Stillstand runterfährt. Nochmal ein Aufbäumen und Schluss. Die Nummer ist aus und die Musiker beenden ein Konzert der Spitzenklasse, schütteln Hände im Publikum und verbeugen sich. Zugaberufe (was sonst?) und dann unterstreicht der "Preacher Man" nochmals die Klasse eines jeden einzelnen Musikers.
Dieser Gig an sich sollte als Kaufargument schon absolut ausreichen, aber es ist noch weitaus mehr auf der DVD enthalten, z.B. die gesamte Band-Diskografie - alle LP's und Singles sind gelistet.
Daneben gibt es einen kurzen Film von Dokumentarfilmer Werner Penzel mit dem Titel "Vagabunden Karawane 78-79 / Musikalische Begegnung auf dem Weg nach Indien".
Nächstes Goodie ist ein Gespräch mit Bernd 'Nossi' Noske, immer wieder aufgelockert durch dokumentarische Filmsequenzen. Wir erfahren, wie "Gamma Ray" entstanden ist, bzw. wie dieses Lied zu seiner Spiellänge kam und warum Nossi dabei keine Drumsticks sondern Rumbakugeln einsetzt.
Wie sehr er außerdem mit Birth Control verwurzelt ist, bringt er im Interview ganz klar auf den Punkt:
Birth Control bin ich. Es gibt einfach nichts anderes für mich.
Die Bonustracks tauchen ganz tief in die Vergangenheit ein. Wir sehen alle TV-Auftritte vom Beat Club (1971) bis Rock Pop (1981) und weitere Specials. So etwa die wohl älteste Filmaufnahme der Band in dem Ingrid Steeger Film "Ich, ein Groupie - Das Mädchen mit dem Einwegticket". Das war 1970 und einen Ausschnitt gibt es im ersten Bonustrack, der Birth Control mit der Nummer "No Drugs" neben Frau Steeger zeigt.
Leute, diese DVD gehört ins Regal! Der Gig an sich, ich sagte es schon....
Aber die historischen Filme, das Interview und außerdem noch 16 Seiten Booklet, mit Informationen über die Band von der 'Geburt' bis ins Heute sind schon etwas ganz Besonderes. Das Booklet kann man getrost als Bandbiografie bezeichnen und wer nun nicht kauft - dem ist wahrlich nicht mehr zu helfen.
'Aviator Entertainment' hat, auch mit Unterstützung des in Sachen Rock unermüdlichen Wallbreakers, hervorragende Arbeit geleistet. Über Bild, Aufmachung und Ton gibt es nichts zu meckern, im Gegenteil.
Ein Zitat aus dem Booklet möchte ich noch gerne erwähnen, weil es genau den Punkt trifft:
Birth Control hat turbulente Zeiten überstanden, nie aufgegeben und ist heute mehr denn je einer der besten Live-Acts Deutschlands.
Like Nothing Ever Changed
(Birth Control: aus Alsatian 2003
Spielzeit: ca. 165 Min., Medium: DVD, Aviator Entertainment, 2005
Konzert: (ca. 90 Min.)
1:The Work Is Done 2:Call Me 3:Trial Trip 4:Back From Hell 5:The Sperminator's Lost Battle 6:I Set My Mind On Vacation 7:Jungle City 8:Valley Of Darkness 9:The Sperminator Strikes Back 10:Gamma Ray
Encore: Preacher Man
Bonus Tracks (ca. 32 Min.):
1:No Drugs 2:The Work Is Done 3: Skateboard Sue 4:We All Thought We Knew You 5:Last Survivor 6:Pick On Me 6: Gamma Ray '90
Ulli Heiser, 21.10.2005
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