Nach langer Abstinenz war ich am Donnerstag wieder in der schönsten Stadt der Welt zu Gast. Mein Weg führte mich erneut ins Lido nach Kreuzberg, eine sehr gemütliche Location, die ich bereits schon einmal im Rahmen meines Mona-Konzertes kennenlernen durfte.
Dieses Mal erwartete ich gespannt den Auftritt der Londoner Indie Rock-Band The Boxer Rebellion, ein Erlebnis, das ich bereits seit mehreren Jahren herbeigesehnt hatte. Die Jungs um Frontman Nathan Nicholson waren bereits vor zwei Jahren in Berlin zugegen. Damals verhinderten jedoch persönliche Begebenheiten meine Anwesenheit, weshalb ich mich nun umso mehr freute, sie endlich live erleben zu können.
Erst mal an der Bar versorgt, ging es dann auch zeitnah mit der Vorband los, die aufgrund sehr überzeugender Qualität hier nicht unerwähnt bleiben soll. Christof nannte sich der junge Mann mit dem wirren Lockenkopf, der mit nichts Geringerem als seiner angenehmen, rauen Stimme und einer Gitarre brillierte. Begleitet wurde er von seinen zwei Bandkollegen Andrew Smith und Edwin Ireland, die zu meinem Erstaunen die musikalische Darbietung ausschließlich mit einer weiteren Gitarre, einem Kontrabass sowie einem Cello unterstützten. Wieder einmal bewies sich für mich, dass wahres Talent aus dem Inneren kommt und im Äußeren nicht zwangsläufig umfangreiches Equipment benötigt. Es war eine ruhige, sanft melancholische Atmosphäre, die da von der Bühne in den Raum gestrahlt wurde und zwangsläufig sah ich mich vor meinem geistigen Auge mit einer Flasche Jack Daniels im Kreise meiner besten Freunde an einem Lagerfeuer in Irland sitzen und mit verträumtem Gesichtsausdruck in die lodernden Flammen starren. Zurück in der Realität stellte ich fest, dass dieser bemerkenswerte Sänger mit einer perfektionierten Klarheit die Töne traf, wie ich es bisher selten erlebt hatte. Er verstand es, den Zuhörer mit der schlichten Eleganz seiner Musik auf eine persönliche musikalische Reise mitzunehmen. Ganz großes Kompliment an dieser Stelle, ich hoffe, dass wir noch viel von ihm hören werden!
Nach einer kurzen Umbaupause betraten dann auch sogleich die vier Männer des Boxer-'Aufstandes' die Bühne und begannen ihren Auftritt mit dem Song "Step Out Of The Car" des Albums "The Cold Still" (2011) und das Rocken ging los. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht stand ich vor der kleinen Bühne und beobachtete meine Helden des Abends. Bereits zu Beginn fiel mir auf, dass die Truppe eine Energie ausstrahlte, die ich so nicht erwartet hatte. Ich weiß nicht, wie es anderen Fans der Band geht, aber ich hatte - bedingt durch die melodisch, leicht melancholisch angehauchte Musik - eine zurückhaltende Band vermutet, die wenig mit dem Publikum agiert, eher selbstversunken in ihre musikalische Welt abtaucht und dabei die umstehenden Leute vergisst.
Das fand ich definitiv nicht vor. Vielmehr strahlte allein Frontman Nathan Nicholson eine mitreißende, beschwingte Energie aus, die mich sprichwörtlich direkt in ihren Bann zog. Auch hatte er eine sehr sympathische Bescheidenheit an sich, die immer dann besonders zum Tragen kam, wenn er sich nach einem Song bei seinen Zuhörern bedankte. Er wurde mir noch sympathischer, als er sich während des Singens zu uns ins Publikum gesellte und ich ihn quasi hautnah vor Augen hatte. Ich stellte fest, dass das persönliche Auftreten der Band perfekt mit ihrer Musik harmonierte und eine Art Gegenpol zum melancholischen Touch dieser bildete, was mir sehr gut gefiel.
Das Publikum im ausverkauften Lido feierte die Briten, den Australier und den Amerikaner (wir reden hier schließlich von einer multikulturellen Künstlervereinigung) von Anfang an frenetisch, was die Jungs zu Höchstleistungen anspornte. Da ich - wie eingangs erwähnt - schon einmal das Lido besucht hatte, konnte ich den direkten Vergleich ziehen und bemerkte, dass hier Band und Publikum zu einer nicht selbstverständlichen Symbiose verschmolzen und der Hauptteil der Zuhörer offensichtlich aus Menschen bestand, die - ähnlich wie ich - schon lange auf diese Gelegenheit gewartet hatten. Das machte den Abend für mich zu einer wirklichen Besonderheit und lies mein Fan-Herz im Takt zu Nathans Bühnensprüngen hüpfen.
Die Jungs gaben ihr Bestes und spielten 18 Stücke - eine bunte Mischung aus ihren bisherigen Veröffentlichungen. Hierbei stand natürlich die aktuelle Scheibe "Promises", die am 17. Mai 2013 erschienen ist und bisher meinen diesjährigen Album-Favoriten darstellt (trotz neuer Volbeat-Scheibe und das will etwas heißen!) in den Vordergrund. Insgeheim hoffte ich auf die Darbietung meiner persönlichen Favoriten "New York" sowie "You Belong To Me", zwei wunderschöne Balladen, in denen Mr. Nicholson jeden Ton perfekt auskleidet und der Zuhörer, wenn er - wie ich - eine sensible Seele ist, sich schon mal das ein oder andere Tränchen herausquetscht.
Ich sollte nicht enttäuscht werden. Nach den rockenden Nummern, "Semi-Automatic" (Union, 2010), "Take Me Back" vom neuen Album sowie "The Runner" (The Cold Still, 2011), die das Publikum zum Tanzen und Nathan zum wiederholt fröhlichen Auf- und Ab-Hüpfen animierten (ich würde ihn als ruhiges Energiebündel beschreiben), folgte mein erster musikalischer Liebling. Der Amerikaner bewies eindrucksvoll, dass er zu den Sängern gehört, die auch live auf der Bühne jeden Ton, sei er auch noch so hoch, treffen und somit einer Ballade den ihr gebührenden Klang verleihen. Ich lächelte sehr zufrieden in mich hinein und genoss im Anschluss daran Klassiker wie "Spitting Fire", "Keep Moving" und "Watermelon".
Heimlich hoffte ich noch auf "If You Run", durch das ich die Band damals für mich entdeckt hatte. Dies geschah im Zuge eines Films mit Drew Barrymore und spiegelte haargenau das wider, was Nathan letztes Jahr im Interview mit dem Dallas Observer sinngemäß sagte, als er seine Musik beschreiben sollte: The Boxer Rebellion sei eine Band, deren Musik sich hervorragend für Soundtracks eigne, weil sie sich episch und melodisch in diese Rolle einfügen würde. Besser könnte ich es auch nicht beschreiben.
Meine versteckte Hoffnung erfüllte sich leider nicht, was jedoch meiner Stimmung keinen Abbruch tat. Nach einer lautstark bejubelten Zugabe verabschiedeten sich die Jungs von der Bühne und erklärten freimütig, dass sie sogleich am Merchandise-Stand zu finden seien. Ich stieß einen leisen Fluch aus. Das hatte ich nicht erwartet - eine Band zum Anfassen und ich musste los. Aus Zeitgründen konnte ich mich nicht am Stand einfinden, was ich äußerst bedauerte.
Mit einem letzten verstohlenen Blick in Richtung Band trat ich daher meinen Weg durch die Nacht an. Beim nächsten Mal würde ich vorbereitet sein und mich mit einem Edding und einer adäquaten Autogramm-Vorlage bewaffnen. Trotz dieses unerwarteten 'Schocks' war schließlich für mich ein wunderbarer Konzertabend in meiner Lieblingsstadt zu Ende gegangen und mein Herz konnte ein weiteres großartiges musikalisches Erlebnis sein Eigen nennen.
Setlist The Boxer Rebellion:
Step Out Of The Car
Semi-Automatic
Take Me Back
The Runner
New York
Evacuate
Spitting Fire
We've Got This Place Surrounded
Diamonds
Flashing Red Light Means Go
No Harm
You Belong To Me
Keep Moving
Fragile
Watermelon
Always
Both Sides Are Even
The Gospel Of Goro Adachi
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