Brave / Lost In Retrospect
Lost In Retrospect Spielzeit: 69:25
Medium: CD
Label: Femme Metal Records, 2009
Stil: Melodic Metal

Review vom 18.03.2009


Boris Theobald
'Frauen an den Stahl!' So ungefähr lautet die Devise des neuen Labels Femme Metal Records, einer Ausgründung aus dem gleichnamigen Webzine mit Online-Versand. Ein Sechstel Frau pro Band langt wie im Falle von Brave schon für einen plattentechnischen Asylantrag im Hause der Stahlkocherinnen. Weil es (wen überrascht's…) der Gesangs-Job ist, prägt der weibliche Part der Band den Sound von Brave allerdings ziemlich stark.
"Lost In Retrospect" ist kein neues Studio-Album, sondern ein Schaffens-Rückblick. Mit dem zehnjährigen Bestehen der Band und dem neuen Label gab es gleich doppelten Grund für diese Werksschau. Und die 'Gefahr', dass man eines der bislang vier Alben der Band - zwei davon waren genauer gesagt EPs - schon besitzt, ist ja relativ gering, waren Brave doch bislang fast ausschließlich in ihrer US-Heimat unterwegs.
Das muss nicht so bleiben, denn die musikalischen Eindrücke, die die Band hier in rund 70 Minuten Spielzeit gewährt, können überzeugen und streckenweise richtig mitreißen. Sie spielen einen stark Melodie-betonten, auf Sängerin Michelle Loose zugeschnittenen Rock bzw. Metal mit angenehmem epischem Touch, ohne ihren Sound mit künstlichem Bombast zu überfrachten. Statt der ausschweifenden Keyboard-Dröhnung, der man sich im Low-Budget-Bereich oft nur all zu gerne hingibt, können Brave nämlich mit einem anderen Pfund wuchern: Mit Suvo Sur hat man einen Geiger an Bord!
Sur ist aber erst 2002 dazugestoßen - und so lassen sich die Schaffensphasen der Band ganz gut in grobe Abschnitte einteilen. Zunächst startete die Band noch unter dem Namen Arise From Thorns und machte überwiegend akustisch geprägte Musik. Aus dieser Frühphase der Band zwischen 1997 und 1999 stammen Stücke wie "Surrender", "To Dance By Moonlight", "Remember The Stars" und "Blue Skies".
Das sind wunderschöne Nummern mit ganz detailliert ausgetüftelten Atmosphären, bestehend aus vielseitig eingesetzter Akustik-Gitarre, Klavier, markanten Bässen und facettenreichem Schlagzeug. Manchmal kommen auch noch atmosphärische Keyboard-Streicher hinzu. Michelle Loose überzeugt mit ihrem sinnlich-zarten und doch intensiven Gesang, der auch schon Mal mehrstimmig gesetzt ist und dabei ganz besonders verzaubert.
Dabei zeigt sich aber auch, dass akustische Musik nicht unbedingt mit Schnulzen und Balladen gleichzusetzen ist. Viel zu groß sind da die anspruchsvollen Überraschungsmomente, wie zum Beispiel Rhythmus- und Tempowechsel in "To Dance By Moonlight", das lyrisch und melancholisch beginnt und dann plötzlich Fahrt aufnimmt. Noch viel weniger Ballade ist das Pop-taugliche "Blue Skies" mit seinem temporeichen, optimistischen Drive.
Mit der Umbenennung in "Brave" im Jahr 2000 kam dann auch die elektrische Gitarre verstärkt zum Einsatz. Ältestes Hörbeispiel ist "Dark Waters" von der 2001er-EP "Waist Deep In Dark Waters". Ein toller, immer noch eher ruhig gehaltener Song mit epischer Steigerung, die unter die Haut geht! Zunächst eine Akustik-Gitarre, dann zusätzlich eine elektrische clean gespielt, später verzerrt; und dazu zeigt Michelle Loose, was sie kann, vom zerbrechlich anmutenden Beginn bis zum expressiven Finale.
2002 begann dann mit dem Album "Searching For The Sun", noch ohne Violine, die richtige 'Heavy Metal-Phase' der Band. "Trapped Inside" von besagtem Longplayer ist ein echtes Juwel: zupackende Riffs, aggressive Drums, betörende Atmosphären mit einem Touch Gothic in orientalischen Skalen und das ganze mit einer komplexen Rhythmik versehen - ein erstklassiger Ohrputzer mit Tiefgang und technischem Anspruch! Auch die ruhigen Töne schlugen Brave nach wie vor gerne an, zu bestaunen u.a. bei der anrührenden Gothic-Ballade "Candle In The Dark".
Und dann kam besagter Suvo Sur zur Band und prägte fortan mit seiner elektrischen Violine den Sound von Brave entscheidend mit. Typisch dafür ist "Words" von der 2004er-EP "Passages", bei dem Gitarre und Geige vom ersten Takt an zusammenspielen und einander melodisch ergänzen. Ein formidables Songwriting macht "Words" zu einer Gänsehautnummer, die man nie mehr vergisst, wenn man sie ein Mal gehört hat.
Ein temporeicher Drive erstarrt förmlich in einem epischen, langsamen und intensiven, melancholischen Chorus, expressiv und voller Wehmut gesungen und getragen zugleich von zauberhaften Geigen-Melodien und Spannung erzeugenden Gitarren-Akkorden. Nach dem zweiten Refrain steigern sich Geige und Gitarre noch minutenlang virtuos und dramatisch zum Finale hin - großes Kino!
Beim Zehnminüter "Passages" zeigen Brave dann noch eine Vorliebe für komplexe Kompositionen. Das Stück bewegt sich sehr kurzweilig zwischen langsamem Bombast, lyrischem Antlitz und schwermetallischen Double-Bass-Passagen, wo jedoch Drums und Riffing im Mix zu sehr hinter dem Gesang zurückstecken müssen. Schade eigentlich - dennoch ein starker Longtrack, dessen lyrische Geigen-Gegenparts zur E-Gitarre zuweilen an Kansas erinnern.
Bei den Stücken vom 2008er-Album "Monuments" gehen Brave dann wesentlich straighter zur Sache, und noch einmal ein Stück härter. "Something To This", "Driven" und "Hold On" sind eingängige, melodische Metal-Songs mit markanten Gitarren-Riffs, der inzwischen für die Band charakteristischen Violine, leidenschaftlichem Gesang und zunehmend auch Effekten, die dem Ganzen einen modernen Einschlag geben.
Während die Musik von Brave in ihren ruhigeren Momenten etwas von Edenbridge mit Sängerin Sabine Edelsbacher hat, erinnern die kompakten, harten und düster angehauchten Nummern jüngeren Datums an Lacuna Coil. Um ein Haar könnte man Brave im Radio spielen - weit von Silbermond sind sie musikalisch auch nicht weg, aber dann wohl doch eine Nummer zu heavy; Gitarrensoli gibt's auch… und immerzu streuen sie auch rhythmische Leckerlis ein und vermeiden damit gekonnt jene stupide Geradlinigkeit, die es wohl zum groß-kommerziellen Erfolg braucht (nach eigener Auffassung sind Brave sogar eine Prog-Band!).
Hoffentlich reicht es für klein-kommerzielle Lichtblicke im Metal-Bereich - verdient hätten sie es!
Line-up:
Michelle Loose (vocals, keyboard)
Scott Loose (guitar)
Matt Kozar (guitar)
Trevor Schrotz (drums)
Ben Kelly (bass)
Suvo Sur (violin, keyboard)
Tracklist
01:Something To This (4:48)
02:Driven (3:35)
03:Hold On (4:26)
04:Words (6:06)
05:Before Nightfall (4:34)
06:Trapped Inside (4:42)
07:Candle In The Dark (4:51)
08:Dark Waters (3:52)
09:To Dream Again (2:28)
10:Surrender (5:53)
11:To Dance By Moonlight (4:49)
12:Remember The Stars (4:37)
13:Blue Skies (4:47)
14:Passages (9:57)
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