Wer hat im Zoo den Käfig offen gelassen? Ausgebrochen sind drei wilde Tiere, die im Fritzclub des Postbahnhofs Unterschlupf vor ihren Jägern gesucht haben. Zufällig lagen dort ein paar Instrumente herum und prompt haben The Brew ihren animalischen Trieben freien Lauf gelassen. Von Menschen aus England sind wir Resteuropäer ja schon einiges gewohnt. Ich denke dabei an Partys und Saufgelage auf den bekannten Urlaubsinseln im Mittelmeer. Ebenso wie verschiedene Musiker nur durch Exzesse auf sich aufmerksam machen, oder durch rüpelhaftes Benehmen auf den Bühnen. Dass man aber auch völlig die Sau rauslassen kann, ohne dabei unangenehm aufzufallen, haben The Brew im Postbahnhof bewiesen. Nachdem sich die Band vor einiger Zeit bereits ein Stelldichein in Berlin gegeben hatte, und dieser vorherige Gig damals als Geheimtipp gehandelt wurde, war die Nachfrage in diesem Jahr deutlich größer. Zu Konzertbeginn ist dann der Laden auch brechend voll. Rechtzeitiges Erscheinen sichert bekanntlich die besten Plätze und somit kann die RockTimes-Crew aus Berlin im Zentrum des Geschehens - mitten vor der Bühne - dem kommenden Schauspiel beiwohnen. Verletzungen können dabei nicht ganz ausgeschlossen werden.
Als Supporter dieses tierischen Abends steht eine Dreierformation namens Kamchatka auf der Bühne, die rein äußerlich der Heavy Metal-Fraktion zugeordnet werden kann. Lange Haare bis zum Arsch, abgerissene Klamotten und Minimalausstattung deuten darauf hin, dass es in den nächsten Minuten etwas lauter werden könnte. Ein kurzer Blick auf die Setlist sagt mir, dass sieben Songs im erträglichen Rahmen liegen und ohne großes Gerede legen die Herren aus Schweden pünktlich um 20.00 Uhr dann auch los. Angekündigt als heavy Blues Rock-Band hauen Roger, Toby und Thomas auch gleich richtig rein, und zu meiner Überraschung auch mit einer angenehmen Power, die nicht nur mich staunen lässt. Die Jungs können was, ohne Zweifel. Sänger und Bassist Roger kommt zwar stimmlich etwas verhalten rüber, zurückzuführen ist dieses aber auf den mangelhaften Sound.
Thomas, der Mann an der Gitarre, beherrscht das Teil in unglaublicher Präzision und angetrieben durch seine schönen Soli spielen sich die Skandinavier in einen wahren Rausch hinein. Die Songs werden immer länger und besser, und nach spätestens zwanzig Minuten hat die Band das Publikum auf ihrer Seite. Szenenapplaus und lautstarke 'Zugabe'-Rufe bestätigen die Qualität der Musik und der Protagonisten, doch leider müssen die Jungs nach 45 Minuten ihre Koffer packen und die Bühne für den Hauptact The Brew frei machen.
Eine Viertelstunde später rennt ein kleiner, aufgedrehter Wirbelwind auf die Bühne, springt wie ein Känguru über die Bretter, reißt an den Gitarrensaiten und kriegt sich dabei kaum noch ein. Jason Barwick ist der Name dieser animalischen Menschengestalt und in seinem Anhang findet sich ein ebenso junger und agiler Typ hinter dem Schlagzeug ein, dessen großer Auftritt noch kommen sollte. Flankiert werden die zwei von Tim Smith am Bass, Vater von Drummer Kurtis und vermutlich der Aufpasser der beiden. Für mich wäre es gänzlich unvorstellbar, mit meinem Vater auf der Bühne zu stehen und beizuwohnen, wie sich ein normaler Mensch im gesetzten Alter innerhalb von Sekunden zur Wildsau verwandelt. Der Alte beackert den Bass wie eine Furie und gibt sich dabei in den abartigsten Posen. Währenddessen rennt Jason unermüdlich von links nach rechts, singt zwischendurch mal ein paar Zeilen und spielt auf seinem abgewichsten Brett - wie alle Gitarrenhelden der Musikgeschichte - gleichzeitig. Die arme Stratocaster kann einem Leid tun, scheint sie doch seit Barwicks Geburt zu ihm zu gehören, und die Spuren auf dem Gerät deuten darauf hin, dass sie schon so manche Schlacht im Buddelkasten gewonnen hat. Alle drei Musiker gönnen sich keine Sekunde Pause und stehen nach dem dritten Song im eigenen Saft. Die unangenehme Angewohnheit von Jason, sich nach jedem Song wie ein nasser Hund zu schütteln, sorgt dafür, dass die Zuschauer bis in die 5. Reihe an seinen Schweißausbrüchen teilhaben dürfen.
Puren Rock zaubert das Trio Infernale auf die Bühne, und da vor kurzem die neueste Scheibe The Third Floor in die Plattenläden kam, wird das ganze Album in voller Länge rauf und runter gespielt. Gespickt von Auszügen der vorangegangenen Tonträger, liefert die Band eine extrem mitreißende Show und den totalen Hörgenuss. Effekte, wie man sie nur aus der guten alten Zeit kennt und natürlich liebt, hat der kleine Wirbelwind an der Gitarre ebenfalls am Start. Deutlich zu erkennen sind auch seine Vorbilder, z.B. wenn er die Windmühle von Pete Townshend über die Fender zieht, oder während der Zugabe in Erinnerung an Jimi Hendrix hinter dem Kopf spielt. Ebenfalls geprägt von Led Zeppelin greift er zur klassischen Gibson Les Paul und schwingt mit einem Geigenbogen über die Saiten, um in Manier von Jimmy Page zu spielen. Ständig vorne am Bühnenrand agierend, muss ich aufpassen, von ihm nicht aufgespießt zu werden, oder während seiner Gefühlsausbrüche nicht eins mit dem Fender-Neck vor die Birne zu bekommen. Manchmal ist das dermaßen knapp, dass ich freiwillig einen Schritt zurückweiche. Dafür komme ich aber in den unglaublichen Genuss, viele Soli aus dreissig Zentimeter Abstand und genau in meiner Augenhöhe bewundern zu dürfen. Ja, ich gebe zu, ich möchte ihm am liebsten vor Freude über diese geile Show in die Saiten greifen. Viele Stücke an diesem Abend werden ins Unendliche ausgedehnt und so sind Werke um die zehn Minuten die Normalität. Lediglich eine kurze Pause gönnen sich die beiden Rampensäue, um Kurtis an den Drums seine Solo-Einlage zu gönnen. Schlagzeugsoli können manchmal langweilig und nervend sein, und wenn ich das als Drummer sage, dann wird schon etwas Wahres dran sein. Nicht so bei Smith Junior. Der ist ein ebensolcher Ausnahmemusiker wie sein junger Kollege und drischt die Felle wie das Tier aus der 'Muppet Show'. Viele Drummer wären bei dieser Aktion bereits nach wenigen Minuten klinisch tot gewesen, Kurtis Smith bringt es auf fast zwanzig davon. Unbeabsichtigt oder nicht, verliert er kurz vor Ende die Sticks und spielt ganz locker den Rest mit bloßen Händen weiter. Dabei sehr schön von der Hintergrundbeleuchtung angestrahlt, ist es eine Augenweide, ihn zu beobachten und tosender Applaus ist ihm gewiss. Klasse Leistung, dazu ohne jeglichen Schweißspritzer in die Fan-Reihen.
Den Höhepunkt der zweistündigen Show bildet der Zugabenblock, bei dem die 'Wilde Horde' noch einmal alles gibt. Der Alte posiert noch verrückter und Jason holt aus der Fender noch einmal alles heraus, was geht. Als zum Schluss "Little Wing" angestimmt wird, mag niemand im Saal nach Hause gehen, so ergreifend ist die Stimmung bei diesem Klassiker, und so perfekt spielen ihn The Brew.
Line-up Kamchatka:
Thomas (vocals, guitar)
Roger (vocals, bass)
Toby (drums)
Line-up The Brew:
Jason Barwick (vocals, guitar)
Tim Smith (bass)
Kurtis Smith (drums)
Setlist |
Kamchatka:
Perfect
Seed
Astrobulls
Daddy Says
TV-Blues
The Same
Sing A Long Song
The Brew:
Six Dead
Sirens Of War
Every Gig Has A Neighbour
Let It Back
Reached The Sky
Ode To Eugene
Master And Puppeteer
The Third Floor
Imogen Molly
KAM
Bow?
Drumsolo
Piper Of Greed
A Million Dead Stars
Little Wing
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