Interessiert sich unter den Schreibern für RockTimes eigentlich niemand für die Kölner Mundart-Band Brings aus dem dortigen Stadtteil Ehrenfeld? Offenbar nicht! Denn wie anders ist es zu erklären, dass es bislang keinen einzigen unmittelbaren Beitrag über sie gibt. Und auch wenn man RockTimes auf den Namen Brings durchsucht, werden einem zwar '1.577 items' angezeigt. Doch die allermeisten Fundstücke beschränken sich auf das Wort 'Bring', das selbstredend in unzähligen Song- bzw. Plattentiteln vorkommt. Unter den ersten 50 Verweisen findet sich lediglich ein Beitrag von Joe Brookes über das Album b-injection von Jan Sczepanski, auf dem ein Teil der Bandmitglieder von Brings bei einem Song mitgewirkt haben und deshalb lobend erwähnt werden.
Mit der einleitend verwendeten Beschreibung 'Kölner Mundart-Band' weckt man natürlich auch nicht unbedingt das Interesse national bzw. global denkender Musik-Interessierter. Doch anders als die - wahrscheinlich bundesweit bekannteren - Bläck Fööss oder Höhner waren Brings gerade in ihrer Anfangszeit vor über zwanzig Jahren sicherlich keine Karnevals-Band, sondern versuchten ihr musikalisches Glück als richtige Rock-Band, auch wenn sie stets in Kölsch sangen. Dies brachte der Band aber immerhin Auftritte u.a. bei Rock am Ring sowie als Vorgruppe auf Tourneen von Simple Minds, Tom Petty und sogar von AC/DC ein.
Weckt das jetzt endlich Interesse? Eine Ähnlichkeit zur letztgenannter Band ergibt sich zudem u. a. daraus, dass in beiden Gruppen zwei Brüder als Frontmänner dabei sind und auch der äußerliche Auftritt durchaus ähnlich erfolgt. Und wenn der Brings-Gitarrist Harry Alfter in kurzer Hose, Jacket, Krawatte und Stiefeln über die Bühne tobt, das erinnert schon stark an Angus Young.
Zugegeben: In den letzten Jahren haben Brings ihren Stil sehr in Richtung Kölsche Karneval geändert, insbesondere nachdem sie mit dem Song "Superjeile Zick" - der musikalisch wie textlich stark an "Those Were The Days" angelehnt ist - im Jahr 2000 einen musikalischen Dauerbrenner gelandet hatten. Doch auch das Schaffen in den vergangenen zehn Jahren hat es verdient, auf RockTimes gewürdigt zu werden.
Dies gilt insbesondere für das - um mein Fazit direkt vorwegzunehmen - geniale Konzert, das die Band im Sommer 2011 aus Anlass ihres 20. Geburtstages im Kölner Rhein-Energie-Stadion vor sagenhaften 50.000 Zuschauern (manche Quellen sprechen sogar von 55.000 Zuschauern) gegeben hat. Was Brings an diesem Abend in Köln abgeliefert haben, war sicherlich keine Karnevalsveranstaltung. Jetzt liegt die Dokumentation dieses Ereignisses auf Doppel-CD und insbesondere auf DVD vor. Beide Datenträger haben ihre Berechtigung; die CD, um die Musik überall hören zu können, die DVD (natürlich), um das Konzert auch optisch nachverfolgen zu können.
Eines vorweg: Ich war unter den 50.000 Zuschauern aus terminlichen Gründen nicht dabei. Hatte ich das seinerzeit schon bedauert, gilt dies umso mehr, nachdem ich nun wahrnehmen kann, was ich damals verpasst habe: Ein wahrscheinlich einmaliges und - ich wiederhole mich nur zu gerne - einfach geniales Konzert!
Und dabei waren die Rahmenbedingungen alles andere als angenehm: Pünktlich mit Beginn des Konzerts begann es in Köln intensiv zu regnen, und der Dauerregen hielt bis zum Ende des vierstündigen Konzerts an. Stephan Brings versuchte, dies den Gästen aus der Eifel in die Schuhe zu schieben (»Sind Leute aus der Eifel hier? Das nächste Mal, wenn Ihr kommt, lasst das Wetter zu Hause « sinnigerweise im Vorspann zu "Eifel"). Aber wahrscheinlich hat die Band das Wetter selbst heraufbeschworen durch Veröffentlichung der Single "Rään" (hochdeutsch: Regen) im Jahr zuvor!
Und das Wetter blieb keine Randerscheinung. Doch trotz dieses Sauwetters (auch dies wird durch die Bilder eindrucksvoll wiedergegeben) war die Stimmung auch unter den Zuschauern, die immer wieder von den Kameras eingefangen wird, ausschließlich fröhlich und ausgelassen; dies zeigt, welche Begeisterung die Band unter ihren Fans auszulösen vermag. Und die Band ließ ihre Fans auch nicht allein im Regen stehen: die Bühne war so platziert, dass sie nicht vollständig vor Regen geschützt war. Und den sinnhaften Einsteiger "Willkumme in Kölle" spielten Brings sogar unter völlig freiem Himmel auf einer kleinen Bühne am Ende eines längeren Auslegers mitten im Stadion. Und auch im weiteren Verlauf des Konzerts wurde dieser Bühnenteil immer wieder betreten.
Von Anfang an hatte die Band ihre Fans im Griff, später zeitweise verstärkt durch 'großes Gebläse' oder aber einen fantastischen 'Kirchenchor' bei "Halleluja". Zudem gibt es einige Gastauftritte wie den des eingangs bereits genannten Jan Sczepanski an einer wunderschönen Bluesharp bei "Kölle" - man kennt sich halt im Kölsche Klüngel! Die Stimmung war besser - und zwar durchgängig - als bei jedem Spiel des FC. Brings spielten alle ihre Hits, und mit "Su lang mer noch am Lääve sin", "Superjeile Zick", "Nur nicht aus Liebe weinen" sowie "Poppe kaate danze" waren alle Klassiker, die möglicherweise auch über Köln hinaus bekannt sein dürften, dabei, von den Bläck Fööss -Evergreens "En unserem Veedel" und "Drink doch eine met" ganz zu schweigen. Die letztgenannten Titel wurden - fast schon selbstverständlich - unter Mitwirkung des Ex-Bläck Fööss-Sängers Tommy Engel präsentiert; sein Sohn ist wiederum Mitglied von Brings. Und spätestens bei dem leider nur kurzen "Harry's Solo" (auf der CD nicht enthalten), einem "Instrumental", sowie "Harry's Animation" wird nochmals die Rockmusiker-Vergangenheit (sogar mit Nähe zum Blues) deutlich.
Bevor ich jetzt vollends ins Schwärmen gerate - und insbesondere um das Review nicht allzu sehr ausufern zu lassen - nehme ich davon Abstand, die Titel im Einzelnen vorzustellen. Nur einen Song möchte ich besonders hervorheben:
"Bis ans Meer", das ist für mich - so wie er hier dargeboten wurde - der "Übertitel" schlechthin! Anfangs mit Gitarren-Riffs wie von Pink Floyd, eingeblendeten 'Streichel'-Einheiten, wird hier eine Rock-Ballade geradezu zelebriert. Dass zu diesem Zeitpunkt das Konzert bereits gut drei Stunden andauert, sieht man lediglich an den klatschnassen Haaren der Musiker (soweit sie welche auf dem Kopf haben!). Kraftvoll, zugleich aber von einer begnadeten Intensität belgeitet, wird der Song vorgetragen, das Publikum wird regelmäßig zum Mitsingen eingebunden, und spätestens als Harry Alfter wieder einmal durch den strömenden Regen (im Scheinwerferlicht sieht der Bindfaden-Regen wie ein Vorhang aus!) den Bühnenausleger abläuft und wie in Trance das Griffbrett seiner Gitarre rauf- und runternudelt, um anschließend gemeinsam mit Stephan Brings auf dem Bühnenboden knieend dem Publikum zu huldigen ( AC/DC lassen wieder einmal grüßen!), wird die Darbietung zur Inszenierung. Und wenn man denkt, der Titel ist (leider schon) zu Ende, bedankt sich Peter Brings beim Publikum für den schönsten Geburtstag, den das Publikum der Band bereitet hätte. Und man nimmt ihm eine echte Rührung ab, wenn er - Tränen in den Augen - sich zu verabschieden scheint mit den Worten »ich muss jetzt mal ein bisschen heulen«. Doch der Song ist immer noch nicht zu Ende: Noch einmal ein kurzes, jedoch äußerst eindringliches Reprise, bevor es nach über 16 Minuten (!) zu einem wirklich rockigen, von Pyrotechnik begleiteten Finale kommt. »Was für ein Fest! « ist der berechtigte Kommentar des Brings-Frontmannes. Gänsehaut pur!
Dass das Konzert danach immer noch nicht zu Ende ist, sei an dieser Stelle nur noch am Rande erwähnt, auch wenn "Heimjon" natürlich ein toller Schlusssong ist. »Wir wollen nicht aufhören, wenn es am schönsten ist«, heißt es darin. Ich könnte noch stundenlang zuhören und insbesondere zuschauen! Mit einem Abspann endet dann der Hauptfilm der DVD endgültig.
Durchaus erwähnenswert, weil bemerkenswert war auch noch der Gastauftritt der Tanzgruppe Kölner Luftflotte (ganz sicher keine Tanzmariechen-Truppe im traditionellen Sinne!), die sich ebenfalls von dem schlechten Wetter nicht abhalten ließ, ihre teilweise recht waghalsige Choreographie in leicht makabren Skelett-Kostümen bei "Rabenschwarze Nacht" zu präsentieren, Chapeau! Weniger erwähnenswert, der Vollständigkeit aber geschuldet, sei der Hinweis, dass bei "Nur nicht aus Liebe weinen" Nina Hagen mitsang. Ich hätte sie, die sich in erster Linie nur selbst inszeniert, nicht vermisst, aber die Band hatte offenbar ihren Spaß. Es sei ihr gegönnt, sie hat es verdient!
CD und DVD sind vom Tracklisting nicht völlig identisch, sowohl was die Auswahl der Titel als auch deren Reihenfolge betrifft, auch wenn eine weit überwiegende Übereinstimmung besteht. Warum hier Schnitte vorgenommen wurden, kann ich mir nicht erklären. So enthält das CD-Album zusätzlich noch Tommy Engels Liebeserklärung an Köln, "Du bes Kölle"; hier war möglicherweise die relativ schlechte Klangqualität der Aufnahme (oder aber doch Platzmangel) ausschlaggebend gewesen. Erstaunlich ist jedenfalls, welch eine Menge Musik die Band auf die DVD gepresst hat. Eine Laufzeit von über 180 Minuten für eine DVD sieht man jedenfalls nicht alle Tage! Daraus möglicherweise resultierende Qualitätseinbußen habe ich jedenfalls nicht festgestellt. Auch die beiden CDs sind beinah randvoll. Noch mehr Musik erhält man übrigens, wenn man die CDs als mp3-Download bei amazon bezieht: Hier werden - angabegemäß für Disc 2 - weitere vier Stücke, die auch auf der DVD dabei sind, mitgeliefert, so dass sich deren Laufzeit sogar auf über 95 Minuten verlängert! Allerdings: Warum man diese Stücke nach dem tollen 'Rausschmeißer' "Heimjon" platzieren musste (auf der DVD werden sie bereits früher präsentiert), erschließt sich mir nicht wirklich; das Ende wäre ansonsten eindeutig besser gewesen! Aber man kann - bzw. sollte - die Reihenfolge für den eigenen Media-Player ja selber ändern!
Schön ist auch das Bonus-Material der DVD: Die Vorbereitungen am Tag des Konzerts mit Interview-Schnipseln, aus denen deutlich wird, dass Brings in der Regel nicht vor einem derart großen Publikum auftreten und daher mit Nervosität an die Sache herangehen. Doch mit Betreten des vollbesetzten Stadions war davon nichts mehr zu spüren.
Fazit: Für Kölsche und Assoziierte im Umkreis des Domes ist diese Dokumentation m. E. ein absolutes Muss! Für alle anderen ist insbesondere die DVD zu empfehlen als Beleg dafür, dass auch aus dem Rheinland tolle Musik kommt, die bei einem derartig enthusiastischen Publikum - an dieser Stelle zum letzten Mal gesagt - einfach genial (um nicht ein anderes Wort mit g..l zu verwenden) rüberkommt.
Line-up:
Peter Brings (Gesang, Gitarre)
Stephan Brings (Bass, Gesang)
Harry Alfter (Gitarren)
Christian Blüm (Schlagzeug)
Kai Engel (Keyboard, Akkordeon, Gesang)
| Tracklist |
01:Intro
02:Willkumme in Kölle (4:31)
03:Nix is verjesse (4:15)
04:Kölle (7:04)
05:Eifel (6:16)
06:Scheissegal (4:18)
07:Katharina (4:42)
08:Su lang mer noch am Lääve sin (5:29)
09:Wäm jehürt die Stadt (4:49)
10:Loss dich falle (5:00)
11:Wiesse Ling (7:26)
12:Mer trecke op d'r Mond (5:48)
13:Man müsste noch mal 20 sein (7:14)
14:Harry's Solo
15:Bazille (5:12)
16:Superjeilezick (7:24)
17:En unserem Veedel (3:05)
18:Drink doch eine met (5:16(
19:Riesenkamell (3:33)
20:Wir wollen niemals auseinandergehen (5:06)
21:Harrys Animation (2:40)
22:Mama (5:52)
23:Nur nicht aus Liebe weinen (5:39)
24:Dat is geil (5:07)
25:Rabenschwarzenacht (8:08)
26:Halleluja (8:07)
27:Poppe kaate danze (6:44)
28:Rään (5:30)
29:Bis ans Meer (16:27)
30:Heimjon (8:14)
31:Abspann
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