Da liegt sie vor mir, die so genannte Berlin-Trilogie. Schön im Schuber mit dem trefflichen Titel "Zeit! 77-79". Die zwei ersten Alben "Low" und "Heroes" (beide 1977) entstanden tatsächlich in Berlin. Dort wohnte Bowie von 1976 bis 1978 und zusammen mit Brian Eno und Tony Visconti entstand ein Triple, das sich von den bisherigen Bowie-Alben unterschied. Musikalisch erst einmal, denn es wurde experimentiert und man hört es gerade bei "Low" und "Heroes" besonders heraus, dass viel Elektronik Einzug gehalten hatte. Die dritte Platte "Lodger" (1979) wurde in der Schweiz und den Staaten aufgenommen und ging noch einen Schritt weiter, als ihre beiden Vorgänger.
Man wollte etwas anderes machen als bisher. Inspiriert von deutschen Bands wie Kraftwerk, Neu!, Cluster oder dem 'Neue Musik'-Vertreter Steve Reich schlug man mit der Trilogie neue Wege ein und Bowie verzichtete ab da an auf seine ständigen Begleiter, die allseits bekannten Alter Egos 'Ziggy Stardust', 'Major Tom' oder den 'Thin White Duke'.
"Low" bereitete mir früher 'Schwierigkeiten', denn nach geliebten Platten wie "Man of Words/Man of Music" (bzw. "Space Oddity"), "Hunky Dory", The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders From Mars und Station To Station, war "Low" fast ein Schock. Das war nicht mehr 'mein Bowie'. Gut Ding braucht Weile und wie sich ein
Musiker weiterentwickelt, passiert das auch mit dem einen oder anderen Fan.
"Low", glaubt man der Literatur, war, wie die beiden anderen Scheiben auch, nicht auf kommerziellen Erfolg ausgelegt, was aber der Single-Auskopplung "Sound And Vision" egal war, denn die erreichte hohe Chartsplatzierungen. Das instrumentale "Speed Of Life" eröffnet die Scheibe und hätte mit Gesang wahrscheinlich auch Hit-Potential gehabt. Rhythmisch schließt sich das kurze "Breaking Glas" an und mit "What In The World" folgt der der erste Track, der mir seinerzeit die Platte vermieste. Heute, dreieinhalb Dekaden später, reiht sich die Nummer durchaus hörbar in die 'Wartezeit' ein, die es braucht, um zu den Perlen des Albums zu kommen. Angenehm wird diese Zeit durch das melodische "Always Crashing In The Same Car", das perlende, fast rockige "Be My Wife" sowie das erste mit spürbarer Elektronik (aber auch mit Blues Harp) durchsetzte "A New Career In A New Town" versüßt.
Dann kommen die Stars: "Warszawa", "Art Decade", "Weeping Wall" und "Subterraneans". Wie ein Stück, verbreiten diese vier Nummern eine düstere Stimmung, wie man es nur von gelungenen Prog-Platten her kennt.
Fast klassisch zu nennenden Melodiezyklen lassen den Hörer, der das zum allerersten Mal hört, an alles Möglich denken, nur nicht daran, Musik von David Bowie im Player zu haben. Majestätisch wie ein Vieltausender erhebt sich "Warszawa" neben dem bisher Gehörten. Wenn man über 'Musik für die Sinne' sprechen möchte und Referenzen sucht, muss dieser Song unbedingt genannt werden. Bowie einmal anders, als bisher gekannt und wenn mir das damals Grund war, den Strom für die Anlage auszuschalten, so gestehe ich heute gerne, dass ich seinerzeit wohl nicht reif genug war, dieser Art von Musik etwas abzugewinnen. Geläutert kann ich nun auch die drei Folgetracks gespannt verfolgen und dem Viererblock mit seinen etwa zwanzig Minuten allerhöchste Meriten aussprechen. "Low" war aus der Distanz betrachtet, seiner Zeit mit Sicherheit weit voraus.
Auch auf "Heroes" gibt es Musik, die dem 'großen Track' und Namensgeber der Platte den Rang abläuft. Es handelt sich dabei auch wieder um einen Block ("Sense Of Doubt", "Moss Garden" und "Neuköln"), der nun aber durch Minimal-Musik den inspirativen Bezug zu Steve Reich herstellt. Spannend und mit asiatischen Momenten angereichert, weiß man nicht so genau, wo man diese drei Stücke am besten aufgehoben wähnen soll. In meinem Kopf streiten sich alte Sience-Fiction-Filme mit solchen des Endzeit-Genres. Anders, so total anders, präsentiert sich David Bowie musikalisch und man kann nun durchaus seiner Musik selbst ein Alter Ego attestieren. Der eine Teil ist der, der seit früher Jugend begeistert. Die Sachen, die nach außen hin so mitrissen und noch -reißen und auf der anderen Seite die experimentellen Pendants, die ein Kopfkino anregen, welches eine ungeheure Wirkung freisetzt. Ein einsam quäkendes Saxofon ist da durchaus in der Lage, mehr zu bewirken, als ein klassisches Rock-Line-up. Zwei Welten - und jede, zu passender Zeit gehört, vermag die Größe und die Bedeutung dieses Musikers zu dokumentieren.
""Heroes"" ist natürlich der bereits erwähnte 'große Track'. Wer kennt ihn nicht? Spätestens seit der Verfilmung (1981) ist die Geschichte der Christiane Felscherinow in Deutschland bekannt. Das biografische Buch "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" lag 1978 auf vielen Nachttischen der Jugendlichen und ich bin sicher, dass jede Menge Dorf-Kiffer vor einer Drogenkarriere gerettet wurden, weil sie durch das Erlebte der Christiane F. im Großstadtsumpf der Berliner Drogenszene extrem angewidert waren und vorsichtig wurden. Christiane nahm ihr erstes Heroin während eines Bowie-Konzertes und wie das Leben so spielt, finden sich viele Stücke Bowies Berlin-Trilogie auf dem Soundtrack zum Film "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo".
Das Stück ""Heroes""selbst hat mit dem Buch nichts zu tun, sondern handelt von einem Paar im Schatten der Berliner Mauer. Es rankt sich eine Geschichte um das Paar, bei denen die Namen Tony Visconti, Antonia Maass (sie übersetzte und sang später die deutsche Version ""Helden"") und "Mary Hopkin" ( Tonys Frau) fallen. Die Anführungszeichen sind übrigens Teil des Titelnamens und sollen dem romantischen Stück eine gewisse ironische Komponente mitgeben.
"Lodger" ist anders. Ob das daran liegt, dass nun Montreux und New York City die Produktionsstätten sind, vermag ich nicht zu sagen. Orientalisch, wie der Namen bereits vermuten lässt, kommt echtes Morgenland-Feeling auf, wenn das tänzelnde "Yassassain (Turkish For: Long Live)" aus den Lautsprechern schaukelt. Wenn es auch überhaupt nicht nach Bowie klingt, ist es eine starke Nummer. Die afrikanische Komponente bei "African Night Flight" tut das noch weniger und überhaupt ist "Lodger" für mich ziemlich der Außenseiter der Berliner-Phase. Zum Teil flotter mit mehr Rockanteilen. In Teilen eingängiger, aber auch wieder nicht, über Strecken doch sehr schräg. Vor allem fehlt mir hier das, was manche experimentell nennen und dann natürlich die starken Instrumentalparts. Songs wie "D.J", "Look Back in Anger", "Boys Keep Swinging" und "Repetition" sind fast schon zu normal, als dass ich sie groß erwähnen möchte. So gesehen fällt dieses Album wirklich aus der Reihe, aber weniger des experimentiellen Charakters wegen, sondern weil die großen Kopfkino-Parallelen fehlen. Da ist es fast interessanter, zu erwähnen, dass "Red Money" leicht an "Fame" und "D.J." schwach an "TVC 15" denken lässt. "Lodger" ist das schwächste Glied der Dreiher-Reihe und wenn es auch zu Bowies starken Scheiben gezählt wird, will ich das für meinen Geschmack nicht gelten lassen. "Low" dagegen hat längst das frühere Schattendasein verloren und "Heroes" zählt eh zu meinen Bowie-Klassikern. Vielleicht braucht es (noch mehr) Zeit, bis auch "Lodger" den passenden Schlüssel für die Tür in meinem Kopf findet,
1978, also passend zur 'Berliner Zeit' tourte Bowie durch die Staaten und dankenswerterweise hat man diese Doppel-CD der Berliner-Trilogie beigelegt. "Stage" ist Bowies zweites Live-Album und auf Vinyl seit vielen Jahren immer mal wieder auf meinem Plattenteller präsent. Richtige Live-Atmosphäre kommt leider selten auf, da direkt aus der Buchse aufgenommen wurde. Allerdings ist dadurch (vielleicht) die Klangqualität sehr gut. Weiterhin stimmt die Reihenfolge auf Platte nicht mit der damaligen Show überein. Neben Stücken von "Low" und "Heroes" finden sich auch welche aus "Station To Station" sowie "The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders From Mars". Hut ab, dass mit "Warszawa", "Art Decade" und "Sens Of Doubt" drei Vertreter der 'etwas anderen Art' mit dabei sind, die live dargeboten mit Sicherheit ein besonderes Erlebnis vermittelt haben. Bowie und seine Mitstreiter (darunter Adrian Belew [ Zappa] und Simon House [ Hawkwind]) sind absolute Profis. Mit Sicherheit auch ein Grund, wieso "Stage" höchst professionell (klingt besser als steril) gespielt daher kommt.
"Fame", "Five Years", "Soul Love", "Star", "Ziggy Stardust", "Station To Station", "Stay" und "TVC 15"... muss man dazu was sagen? Das sind allesamt Zungenschnalzer. Es ist absolut irre, achteinhalb Minuten "Station To Station" mit verschärfter Lautstärke zu hören, ja regelrecht zu goutieren. "Stage" muss man im Regal stehen haben und wer das noch nicht hat und außerdem die Berlin-Phase Bowies gerne im Paket daneben stellen möchte, hat mit "Zeit! 77-79" nun die Gelegenheit.
Tracklist |
Low:
01:Speed Of Life
02:Breaking Glas
03:What In The World
04:Sound And Vision
05:Always Crashing In The Same Car
06:Be My Wife
07:A New Career In A New Town
08:Warszawa
09:Art Decade
10:Weeping Wall
11:Subterraneans
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Heroes:
01:Beauty And The Beast
02:Joe The Lion
03:"Heroes"
04:Sons Of The Silent Age
05:Blackout
06:V-2 Schneider
07:Sense Of Doubt
08:Moss Garden
09:Neuköln
10:The Secret Life Of Arabia
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Lodger:
01:Fantastic Voyage
02:African Night Flight
03:Move On
04:Yassassin (Turkish For: Long Live)
05:Red Sails
06:D.J.
07:Look Back In Anger
08:Boys Keep Swinging
09:Repetition
10:Red Money
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Stage - CD1:
01:Warszawa
02:"Heroes"
03:What In The World
04:Be My Wife
05:Blackout
06:Sense Of Doubt
07:Speed Of Life
08:Breaking Glas
09:Beauty And The Beats
10:Fame
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Stage - CD2:
01:Five Yeras
02:Soul Love
03:Star
04:Hang On To Yourself
05:Ziggy Stardust
06:Art Decade
07:Alabama Song
08:Station To Station
09:Stay
10:TVC 15
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Externe Links:
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