Als im Februar dieses Jahres die CD "The Ballad Of John Henry" herauskam, dachte ich - wieso auch immer - spontan, dass hier Joe Bonamassa ein Konzeptalbum über einen der größten working-class-heroes der US-amerikanischen Geschichte entwickelt hätte. Doch ein Blick in das Track-Listing der Scheibe und insbesondere die daraus zu entnehmende Tatsache, dass Joe hier immerhin noch vier Fremdvorlagen verarbeitet hat, belehrten mich schnell eines Besseren: Lediglich der an erster Stelle stehende Titel-Track beschäftigt sich mit der Legende gleichen Namens.
Das Album wurde bereits im Review von Mike Kempf besprochen. Dabei geriet die Darstellung der äußerst unterschiedlichen Songs meiner Meinung nach etwas zu knapp. Insbesondere zu kurz kam eine Beschreibung des Titel-Tracks, der m.E. zu den besten Stücken gehört, die Bonamassa bislang komponiert hat. Dieser Song ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie man - neben dem textlichen Inhalt - mit der Komposition/Produktion eines Titels eine Geschichte geradezu filmreif erzählen kann: Die Musik vermittelt dem Hörer beinahe schon realistische Bilder im Kopf und das Gefühl, bei der erzählten Story - wenn nicht sogar mittendrin, doch dann wenigstens - dabei gewesen zu sein. Daher habe ich mich entschlossen, diesen Song in einem eigenständigen Review ausführlicher darzustellen - wohl wissend, dass die Redaktion von RockTimes derartige 'Song-Reviews' zumindest zwiespältig aufnimmt, da sie neben aktuellen CD-Reviews zu bearbeiten sind.
Der Inhalt des Stückes ist schnell erzählt: Er beschreibt die Geschichte des Arbeiters John Henry, der daran mitwirkt, dass zu Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert die Eisenbahnverbindungen quer durch den amerikanischen Kontinent vorangetrieben werden konnten. Mussten anfangs die Arbeiter unter schwerstem körperlichen Einsatz mit schweren Hämmern die Eisenbahnschwellen verlegen, wurde diese Arbeit später mehr und mehr von Dampfmaschinen übernommen. Die Kehrseite dieser 'Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch die Segnungen der industriellen Revolution' war, dass die Arbeiter, die oftmals nichts anderes gelernt hatten, zunehmend ihre Jobs verloren. John Henry - so will es die Legende - kämpfte in der Folge um den Erhalt dieser Arbeitsplätze, indem er seinem Boss einen Wettstreit anbot, in dem er gegen die Dampfmaschine antrat; John gewann diesen Wettstreit, starb jedoch unmittelbar daran völlig erschöpft aufgrund der übermenschlichen Anstrengung.
Ob diese Geschichte wahr ist oder auch nicht, die Story von John Henry wurde zum Sinnbild einer nicht mehr aufzuhaltenden Entwicklung, in der zunehmend die menschliche Arbeitskraft - auch wenn sie bessere Ergebnisse erzielte - durch Maschinen ersetzt wurde, wenn die Arbeitgeber allein auf Profitgier setzten; in der es aber auch Einzelne gab, die sich für die Rechte der Arbeiter einsetzten.
Das Thema war in der Folgezeit Vorlage für eine Vielzahl von musikalischen Bearbeitungen, von denen die - mir - bekanntesten von Pete Seeger, Woody Guthrie, Sonny Terry & Brownie McGhee, Roberta Flack, Harry Belafonte und natürlich Johnny Cash stammen. Doch die vorliegende Interpretation von Joe Bonamassa ist m.E. eine der eindrucksvollsten Versionen. Musikalisch wird sie in einem ausgesprochen modernen, doch gleichzeitig authentischen Gewand dargeboten.
Dem Thema entsprechend geht es direkt knallhart los: Drums und Bass, zudem sich ständig wiederholende harte Gitarrenriffs vermitteln unmittelbar den monotonen Rhythmus, den die Arbeiter beim kontinuierlichen Schlagen der Hämmer auf die Eisen(bahn)schwellen erzeugt haben. Bonamassa erzählt die Story aus der Sicht einer dritten Person, wohl aus der Sicht eines Kumpels bzw. Leidensgenossen von John Henry. Der wirft einleitend und wiederholend die Frage auf, wer John Henry getötet habe in diesem - von Bonamassa etwas theatralisch zu einem 'Kampf zwischen Sündern und Heiligen' hochstilisierten - Wettstreit (»Who killed John Henry - in the battle of sinners and saints«).
Anschließend lässt Bonamassa offenbar denselben Kumpel erzählen, welche Konsequenzen er aus dem Tod John Henrys' zieht. Begleitet lediglich von einer Dobro-Gitarre erklärt er, dass er keinen Bock mehr hat, unter diesen Bedingungen zu arbeiten, die John Henry zu seinem Einsatz veranlasst haben; er will vielmehr in sein weit entferntes Zuhause abhauen. Insbesondere ist er die Fußfesseln an seinen Beinen leid. Zur Untermalung dieser Situation lässt Bonamassa zwischendurch Kettengerassel ertönen; ein wahrlich bemerkenswerter Einfall des Komponisten/Produzenten des Songs. Ein Schauer läuft mir in diesem Moment jedes Mal den Rücken hinunter; ist dieses Gerassel doch ein Zeichen dafür, dass viele dieser Arbeiter, wenn nicht noch als Sklaven, dann zumindest als Strafgefangene bei solchen Arbeiten eingesetzt waren und durch Ketten um die Fußgelenke herum an einer Flucht gehindert werden sollten.
Der rein akustische Mittelteil des Liedes, in dem Bonamassa den Wettstreit zwischen Mensch und Maschine beschreibt, wird eingeleitet durch den intensiven, fast schon ins Orchestrale anmutenden Einsatz von Streichern. Während Bonamassa anderen Tracks der CD durch den ebenfalls für Bluesrock-Songs nicht unbedingt üblichen Einsatz von Bläsern einen besonderen Charakter verleiht, geschieht dies vorliegend mittels dieser mehrfach wiederkehrenden 'Streichel-Einheiten'; mit ihnen gelingt es Bonamassa aufs Vortrefflichste, auf die Dramatik dieses scheinbar ungleichen Kampfes hinzuarbeiten. Zunächst beschreiben wiederum die Drums das monotone Hämmern John Henrys'. Parallel dazu ertönt ein Pfeifen, das den Einsatz der Dampfmaschine ankündigt. Während die Drums stur weiterarbeiten, inszeniert Bonamassa auf seiner Gitarre das quietschende Arbeiten der Dampfmaschine.
Weiterhin bleibt das Hämmern John Henrys' zu hören - deutlich vernimmt man den scheppernden Klang, wenn Eisen auf Eisen trifft - begleitet nun wiederum von der Dobro und einem sich steigernden Kettengerassel sowie dem erneut vorgetragenen Wunsch des Arbeiters, sich aus dem Staube zu machen. Die anschließend zum wiederholten Male vorgetragene Frage, wer denn John Henry getötet hat, beantwortet der Kumpel abschließend selbst, indem er offenbar einsieht, dass sein eigenes Verhalten, mit dem er John Henry keinerlei Unterstützung hat zukommen lassen, (zumindest mit-) verantwortlich ist für den Tod des Protagonisten.
Als die CD Anfang des Jahres erschienen war, hatte ich sie unmittelbar auf meinen mp3-Player überspielt, um sie mir beim Joggen 'zu Gemüte zu führen'. Der Zufall wollte es, dass der Titeltrack beim nächsten ausgiebigen Lauf just in dem Moment einsetzte, als ich mich auf den abschließenden längeren Anstieg begab. Das monotone 'Hämmern' und die Aussage des Songs - dass man, wenn man ein Ziel vor Augen hat, geradezu übermenschliche Kräfte entwickeln kann - verhalfen mir, diese letzte Anstrengung zu meistern - zum Glück nicht mit demselben Ergebnis wie seinerzeit für John Henry!
Nicht zuletzt aber deshalb gehört des Stück zu meinen absoluten Lieblingstiteln von Joe Bonamassa und begleitet mich seitdem regelmäßig. Er ist einfach - textlich wie insbesondere auch musikalisch - ein toller Song, bei dem ich allerdings - sorry, Mike - ein 'wohliges Gefühl' an keiner Stelle empfinden kann.
Line-up:
Joe Bonamassa (lead guitar, vocals)
Blondie Chaplin (rhythm guitar)
Carmine Rojas (bass)
Rick Melick (keyboards, backing vocals)
Bogie Bowles (drums)
Anton Fig (drums)
Lee Thornburg (brass arrangements)
David Woodford (saxes)
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