Lindsey Buckingham / Seeds We Sow
Seeds We Sow Spielzeit: 41:49
Medium: CD
Label: Eagle Records, 2011
Stil: Pop/Rock


Review vom 30.09.2011


Grit-Marina Müller
Hier lang!... Geht nicht. Hm. Aber da?!... Auch nicht. Mist! Was mach' ich denn jetzt!? Verflucht. Ich weiß es nicht! Stille. Rücken zur Wand. Herz rast... Oder doch noch??... Zu spät. Schritte. Näher. Deutlicher. Schneller... Die Tür bricht auf. Atemlos. Eisiger Blick. Klack... nüchtern, unbarmherzig, endgültig fällt das Schloss. Der trostlose Klang kalten Stahls schmerzt, erstarrt meine Handgelenke, kettet mich an mein Schicksal... Tief friert seine Miene. Unterirdisch ruht seine Stimme... Star-Inspector Buckingham erklärt meine Rechte. Mein Anwalt... ist im Urlaub, am anderen Ende der Welt...
"Seeds We Sow" ist eine mustergültige Verhaftung, brillant in der Planung, akkurat in der Vorbereitung, skrupellos in der Ausführung. Sie setzt auf den gnadenlosen Überraschungsmoment. Den liefert der atemberaubende Titeltrack des neuen Albums von Lindsey Buckingham. "Die Saat, die wir säen" zwingt unerbittlich in die Knie, packt im Genick, beißt sich fest. Leise, fast lautlos beginnend, und in sich gleichsam erschreckend steigernder Intensität interpretiert der moderne Philosoph der zweiten Fleetwood Mac-Generation die Metaphysik des ewig reflektierenden »everything was wrong, but everything was right...«.
Lindsey Buckingham ist das, was man ein Unikat nennt. Der ungemein attraktive Kalifornier von alterslosem Gentleman-Jahrgang, mit dem stets seltsam anziehenden manischen Gesichtsausdruck serviert der geneigten Öffentlichkeit seit mehreren Jahrzehnten und Formationen seinen unvergleichlichen, höchst eigenwilligen Entwurf des populären Rock. Unbestrittenes Charakteristikum dieser Extravaganz ist Buckinghams Gitarrenspiel, das der wahrscheinlich verkannteste Saiten-Spezialist der Weltszene einmal mehr ins Zentrum seines neuen Werks stellt.
Der grandios zelebrierten grundfesten Erschütterung des virtuosen Openers "Seeds We Sow" folgt die wahrhaft alarmierende Momentaufnahme "In Our Own Time". Seine 'eigene Zeit' weiß der Gitarrero aus der Bay Area leidenschaftlich zu nutzen und zieht alle Register in fiebrigem Hochgeschwindigkeitsrausch. Was Buckingham hier mit ungeheurer Diffiziliät und brachialer Präzision in die Saiten schneidet, dürfte das Blut nur so spritzen lassen. - Spekulationen, die durch kürzliche RT-Untersuchungen noch untermauert werden. Über die Gesetze der Anatomie spielend hinweg erteilt dieser Fanatiker Lektionen, die das Rocklehrbuch grundlegend neu schreiben müssen.
"Stars Are Crazy" versetzt der Meister der passionierten Obsession in die perfekte Dramaturgie unendlich zu analysierender emotionaler Achterbahnen im schwindelerregenden Roller Coaster liebender und brechender Herzen... Stevie?.. who knows... Und wieder arbeitet Kriminalist Buckingham nach dem unglaublichen Verfahren seiner fesselnden, eingangs erwähnten Methoden.
Regeln?, stilistische Vorschriften? interessieren den Outlaw herzlich wenig. "Rock Away Blind" verfährt er auf seinem eigenst okkupierten, rauen trendresistenten Kreativ-Gelände rock-pop-folkloristitischer Sperrgebiete und veredelt erneut mit der unverwechselbar expressiven Kantigkeit und Schärfe seiner sensationellen, fast schon illegalen Fingerfertigkeiten.
Fasziniert wie kopfschüttelnd nimmt man die aggressive Macht-Demonstration von "One Take" zur Kenntnis, anhand derer Lindsey Buckingham seinen Begriff des Rock'n'Roll definiert. Ein klinisch reiner Noisemaker, furios inszeniert.. das wutentbrannte Plädoyer eines Wahnsinnigen drischt in die massig anwachsenden bürgerlichen Legionen mediokrer Unerträglichkeit...
»I'm just another madman looking for another fall And I've got to make a killing cause the journey of a billion always starts with something small I'm just another madman I turn it off I turn it on And I won't be denied no I won't be satisfied till the middle class is gone...«
"Gone Too Far" führt zu "End Of Time"... löscht das Feuer, lichtet die Rauchschwaden auf dem Schlachtfeld menschlicher Unzulänglichkeiten, um Fleetwood Mac in melodiöser, zeitloser klangästhetischer Eleganz und Einzigartigkeit die Ehre zu erweisen. Ja, so sieht's aus. Der spröde Anarcho aus dem Bilderbuch schreibt gigantischen, hypnotischen Stadion-Pop, feuert Rock, hat er Bock, und knallt die Schubladen zu... ist exzellenter Storyteller, kompromissloser Romantiker, Genialist, Extremist, anti aus Prinzip, erhebt lässigste Arroganz zur Klasse, bestechende Unverkennbarkeit zum nonchalanten Trademark und macht auch sonst, was er will.
Denn das große WOW kommt... erraten - am Ende! "She Smiled Sweetly"...haucht Lindsey Buckingham den Jagger/Richards-Klassiker in eindrücklicher Souveränität, wiederum spitzensaitiger Erhabenheit und dem absolut authentischen Spinechill sentimentaler Verklärtheit durch das feine Labyrinth fassungsloser Gehörgänge. Tja... Kunst kommt von Können. Aber nicht nur das. Dieser Mann geht jeden Song bis zum Abgrund, und dann zum Teufel - springt er!
Chapeau, Mr. Buckingham.
And high five to Andre!
Tracklist
01:Seeds We Sow
02:In Our Own Time
03:Illumination
04:That's The Way That Love Goes
05:Stars Are Crazy
06:When She Comes Down
07:Rock Away Blind
08:One Take
09:Gone Too Far
10:End Of Time
11:She Smiled Sweetly
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