Till Brönner & Dieter Ilg / 10.09.2015, Pumpwerk, Wilhelmshaven
Plakat
Till Brönner & Dieter Ilg
Pumpwerk Wilhelmshaven
10. September 2015
Konzertbericht
Stil: Jazz


Artikel vom 18.09.2015


Wolfgang Giese
In diesem Jahr finden die neunundzwanzigsten Niedersächsischen Musiktage statt, und zwar vom 5. September bis zum 4. Oktober.
Mit »47.000 Quadratkilometern Niedersachsen« sind die Musiktage das flächengrößte Festival Deutschlands und in diesem Jahr findet diese Großveranstaltung unter dem Motto 'Abenteuer' statt. Abenteuer - ein Begriff aus der Zeit der Ritter, wo diese auszogen, um gegen Standesgenossen oder finstere Gestalten zu kämpfen. Auf diese Reise haben sich auch die beiden Musiker Till Brönner und Dieter Ilg, bewaffnet mit Trompete und Bass, begeben. Ob sie nun auf Standesgenossen und finstere Gestalten trafen, vermag ich nicht zu beurteilen, sich Ihnen entgegen stellte sich jedenfalls ein das Pumpwerk gut füllendes Publikum. Unter dem Begriff 'Klangexpedition' stellten die Beiden ihren Begriff von Abenteuer vor.
Till Brönner & Dieter IlgBrönner, 1971 geboren, und Ilg, Jahrgang 1961, können mittlerweile auf eine ganze Reihe musikalischer Erfahrungen zurückblicken. Und in dieser Rückschau wird man erkennen, dass der Bassist eher der typische Jazzer sein sollte, ist er doch seit 1984 als Begleiter hochkarätiger Jazzer zu verzeichnen. Den Trompeter hingegen ordne ich eher in jene Richtung ein, von denen Kritiker sagen, das sei gar kein Jazz, trotz des Namens - Smooth Jazz, diese recht erfolgreiche Verbindung von verbliebenen Jazzfragmenten mit Popmusik. Mag das meistens auch recht hochwertige Musik sein, so beinhaltet sie weitestgehend nicht das, was Jazz für mich ausmacht. Smooth Jazz plätschert in der Regel eher, als dass Hörer gefordert und mitgerissen werden. Für gestresste und geschundene Seelen mag das ein Labsal sein, gerne doch.
Till Brönner & Dieter IlgUnd so hatte ich mich bereits auf eine abenteuerliche Begegnung zweier Welten eingestellt, eine Begegnung von Jazz und Pop, und das in einer sehr ungewöhnlichen Besetzungskonstellation. Nur Bass und Trompete bzw. Flügelhorn, geht das überhaupt? In der Geschichte des Jazz ist mir aus früheren Tagen keine entsprechende Formation bekannt, aktuell gibt es jedoch zwei Beispiele aus dem letzten Jahr, einmal waren das Wadada Leo Smith und Bill Laswell ("The Stone") und dann noch Jacques Coursil und Alan Silva ("FreeJazzArt: Sessions For Bill Dixon 2014"). Während die ersten beiden Musiker eine weitflächige und dunkel und fast schon gespenstische Atmosphäre abbilden, sind es die beiden anderen, die sehr frei agieren und den Hörer schon arg fordern können, auch, weil die Musik nicht spontan zugänglich ist.
Till Brönner & Dieter IlgBei Brönner und Ilg war das anders. Jazz in diesem Sinne empfing ich aus meiner Sicht erst im zweiten Set, weil dieses sehr gut mit "The Fifth Of Beethoven" von
Ornette Coleman und "Au Privave" von Charlie Parker abgedeckt wurde. Hier geschah es dann auch, wo es mich am meisten berührte - hinsichtlich dessen, dass sich die Musik bewegte und swingte und die Musiker einander zu fordern schienen und auch am dichtesten beieinander waren. Till Brönner & Dieter IlgUnd genau das fehlte mir weitestgehend im ersten Set. Nach einer standardisiert wirkenden Einleitung mit dem einfach nur gefällig wirkenden "Will Of Nature" konnten mich auch das auf dem deutschen Volkslied basierende "Es, Es, Es und Es" (in das der Bassist geschickt "Der Mond ist aufgegangen" integrierte) oder das ebenfalls sehr gefällige und ungefährlich klingende "Nobody Else But Me" von Jerome Kern nicht vom Stuhl heben. Das vermochte dann "Peng Peng" schon eher. Hier lösten sich die beiden Musiker von Strukturen und begaben sich wirklich in Richtung des Themas 'Abenteuer'. Teilweise frei gestaltet, tasteten sich die Beiden durch das Stück, schienen sich zu belauern, und zuschlagen zu wollen, das empfand ich dann auch eher als Gegeneinander als ein Miteinander, allerdings mit daraus erwachsender positiver Reibung. Aus dem Wettstreit sah ich Ilg als Sieger hervorgehen.
Till Brönner & Dieter IlgWeitere Songs des Abends waren: "Eleanor Rigby" der Beatles, das ein sehr interessantes Arrangement erfuhr und zeigte, dass die Pilzköpfe doch gute Songs schreiben konnten, die sich für solche Interpretationen eignen. Wie auch bei einigen anderen Songs griff Brönner dann auch einmal in die Elektronik-Kiste und doppelte den Klang der Trompete oder brachte auch einmal ein wenig Wah Wah-Sound ein, wie ihn Miles Davis einst eingeführt hatte. Ganz kräftig wurde die Elektronik dann bei einem Stück genutzt, »das an der Küste geschrieben wurde«: bei "A Distant Episode", wo man dann tatsächlich den Eindruck gewinnen konnte, Walgesängen lauschen zu können, und dabei wanderte der Sound gespenstisch durch den Saal, beeindruckend, sicher, aber einfach nur schön, zur Entspannung.
Till Brönner & Dieter IlgDoch, um bei Trompetenkollegen zu bleiben, fiel es mir schwer, jemanden zu finden, den ich als Vorbild zu erkennen glaubte. Es soll ja Freddie Hubbard sein. Nun, ich habe Hubbard einst live erlebt und es mag sein, dass Teile der Spielweise in diese Richtung deuten. Doch anhand eines am Abend gespielten Stückes vermochte ich einen ganz entscheidenden Unterschied zu entdecken. Hierbei geht es um den alten Schlager "Body And Soul". Einst als Gesangsversion entstanden, ist es ein Popsong aus dem Jahr 1930. Till Brönner & Dieter IlgEs gibt eine wunderschöne Version von Freddie Hubbard aus den frühen Sechzigern, die meine Seele berührt, weil der Grundgedanke des Textes, aus Sicht einer Person geschrieben, die sich aus Kummer über eine andere Person verzehrt, die dieses nicht bemerkt, von Hubbard sehr emotional, aus der Tiefe der Seele, interpretiert wird. Eine weitere empfehlenswerte Version hierzu aus 1969 gibt es hier.

Till Brönner & Dieter IlgUnd genau diesen Ansatz vermochte Brönner meines Erachtens nicht umzusetzen. Selbst die Melodie des Songs wirkte nüchtern, sachlich und unterkühlt und ließ mich vermuten, dass dieser Jazz im Kopf entsteht und weniger aus der Seele sprießt. Diese hieraus abzuleitende Leidenschaft beschränkte sich auf das unzweifelhaft technisch brillante Spiel und die damit verbundene Virtuosität. Leidenschaft - das verknüpft Verzweiflung, Zerrissenheit, aber auch Freude, Jubel... alles Eigenschaften, die so manch anderen Jazzmusiker auszeichnen/auszeichneten, dadurch, dass dieses durch das jeweilige Instrument an die Oberfläche gefördert wurde und dann auch direkt auf den Hörer einwirkt. Leidenschaft also, die nicht aus dem Kopf, sondern aus dem Bauch kommt, nicht von der Universität, sondern von der Straße. Und so vernahm ich außerdem auch keine dem Jazz grundsätzlich innewohnende Spur von Blues. Mitunter engagierter in dieser Hinsicht war unzweifelhaft Ilg, der neben seiner ungeheuren Virtuosität jede Menge Einfallsreichtum und emotionalen Ausdruck in seinen diversen Solobeiträgen einbrachte. Ja, hier war sie, diese fesselnde Lebendigkeit!
Till Brönner & Dieter IlgLateinamerikanisches Feeling durchströmte dann jedoch den Raum, als der Trompeter in Anlehnung an seine Zeit in Brasilien zum Gesangsmikrofon und zur Handperkussion griff und ein laszives "Café Com Pão" von João Donato hauchte. Nach guten zwei Stunden Konzert kehrten die Musiker zur Zugabe zurück mit einer stimmigen Version eines der Stücke » des größten Jazzmusikers aller Zeiten, der aus Deutschland stammt«, Johann Sebastian Bach, mit "Air On A G-String".

Insgesamt war es sicher ein schöner Abend mit Musik auf hohem Niveau, doch wurde letztlich erneut der Wunsch in mir laut, hoffentlich bald einmal wieder eine richtig packende Jazz-Veranstaltung erleben zu dürfen.

Im Übrigen geht mein Dank an Helmut Bär vom Pumpwerk-Team für die problemlose Akkreditierung.
Line-up:
Till Brönner (trumpet, flugelhorn, vocals, percussion)
Dieter Ilg (upright bass)


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