Auch Schockrocker kommen in die Jahre. Als die beiden hier im Doppelpack wiederveröffentlichten Alben 2003 bzw. 2005 herauskamen, lag die Zeit, in der Alice Coopers wilde Gruselorgien auf der Bühne Maßstäbe setzten, auch schon rund 30 Jahre zurück. In den Siebzigern konnte man die Öffentlichkeit durchaus noch mit dem finalen Schlussklingeln des gesamten Schulwesens erschauern lassen. Eltern und Lehrer bekamen in jenen Tagen noch Angstwallungen, wenn ihre Kids » School's out forever, school's blown to pieces!« intonierten. Heutzutage können die damaligen Schüler mit ihren eigenen Kindern Coopers Shows gemeinsam besuchen und ihnen hinterher das pünktliche Erledigen der Hausaufgaben abfordern, ohne Revolutionsängste ausstehen zu müssen. Die rebellischen Acts von Alice Cooper sind familienkompatible Unterhaltung geworden.
Auch die Gruselszenarien on stage haben ihre verstörende Wirkung zu Zeiten von Splattermovies in der guten, alten Zeit zurückgelassen und atmen die Nostalgie früher "Frankenstein"-Filme. Dass die Auftritte des musikalischen Schockspezialisten bis heute Kultcharakter haben und die Effekte wie öffentliche Guillotinierung, Verwandlung in riesenhafte Monster, Knutschen mit Giftschlangen und Abführen in Zwangsjacke auch in Tagen, da der charismatische Sänger weit über 60 Lenze zählt, noch begeistern und die Gruseleskapaden zu keiner Minute peinlich wirken, hat zwei Gründe:
Zum einen nahm Alice sich nie sonderlich ernst - er beschwört da nicht den Teufel, sondern inszeniert eine augenzwinkernde Gänsehaut-Vorstellung mit jeder Menge Selbstironie - und zum anderen hat der Mann wirklich ein außergewöhnliches Charisma. Zudem blieb er sich künstlerisch immer treu.
Er bedient das gute, alte Hard Rock-Klischee, allerdings auf höchstem Niveau und mit einem außergewöhnlichen Gespür für grandiose Melodien und Texte. Kurzum: Der Mann ist ein Gesamtkunstwerk. Und ganz nebenbei noch ein Überlebenskünstler, denn er überstand diverse Modetrends und persönliche Krisen unbeschadet und blieb stets ein internationaler Top Act, und das bis heute.
Dennoch: Als "The Eyes Of Alice Cooper" im Jahre 2003 erschien, lag sein größter Hit "School's Out" immerhin schon 31 Jahre zurück und viele Fans hatten ein anderes Album erwartet. Auf den beiden Vorgängerwerken, u. a. dem gefeierten "Brutal Planet", waren weitaus härtere Klänge als gewohnt verewigt worden. Cooper hatte sich dabei in andere Gefilde gewagt und sich in Richtung Heavy Metal und Industrial Metal bewegt, doch mit den "Eyes" kehrte er zu seinen alten Tugenden zurück: den eingängigen Tönen melodischen Hard Rocks. So markierte diese Scheibe ein wenig ein 'Back to he roots'. Bereits der Opener "What Do You Want From Me" könnte direkt aus einem von Coopers Frühwerken entlehnt sein. Knackige Gitarren, treibender Rhythmus, der zwar nicht zum Headbangen, aber durchaus zum Mitgrooven einlädt und darüber Alices unverkennbare Stimme. Mit "Detroit City" setzt er seiner Geburtsstadt aus dem Staate Michigan ein musikalisches Denkmal und verewigt in den Lyrics gleich noch eine Menge Kollegen von David Bowie, Iggy Pop, Bob Seger, Ted Nugent über R.E.M. bis hin zu Eminem. Wer nun aber glaubt, die Band rocke sich eintönig von Riff zu Riff, hat die Rechnung ohne Alice Coopers Bandbreite gemacht. Die Scheibe ist abwechslungsreich und gut durchhörbar. Mit "Bye, Bye Baby" und "Be With You A While" zeigt sich der Schocker als gefühlvoller Balladier. Auch textlich lohnt sich das Hinhören, wenn sich der Star mal kurzerhand zum "Man Of The Year" kürt und damit eine bissige Satire auf die Medienwelt vorlegt oder in "The Song That Didn't Rhyme" mal zeigt, was ein wirklich schlechtes Lied ausmacht. Wie gesagt: sich selbst ein wenig auf die Schippe zu nehmen, war schon immer eine Stärke von Alice Cooper.
Zwei Jahre später legte der Gruselrocker mit nahezu unveränderter Backing Band eine neue Scheibe vor: "Dirty Diamonds". Manchen alten Fans mag sie zu soft sein, aber spätestens beim zweiten Hinhören wird man merken, wie ausgereift diese CD wirklich ist. Stilistisch geht Cooper hier noch einen Schritt weiter - mit "The Saga Of Jesse Jane" legt er eine höchst bizarre Country-Ballade vor, die selbst einem Johnny Cash gut zu Gesicht stünde. Und schon allein die Story dieser Glanznummer ist ein Kabinettstückchen in Sachen Ironie und Humor: Der Held düst im Hochzeitskleid seiner Schwester durch die Lande. Als ein paar Rednecks in einem Diner ihn blöd anmachen, zieht der transsexuelle Pistolero mal eben seinen Colt aus dem Wonderbra und nietet die Spötter kurzerhand um. Nun sitzt er im Knast und heult sich sein Leid aus den Augen. Gleichzeitig würde er aber gerne manch Mitgefangene ehelichen …denn man hat ihn tatsächlich in einem Frauenknast eingebuchtet.
Es verwundert ja kaum, dass ein Künstler mit so vielen Masken und Gesichtern wie Alice Cooper sich immer wieder Themen widmet, die sich mit der Diskrepanz zwischen Schein und Sein auseinandersetzen. So auch in "Perfect": Da ist dieses Mädel, das im schummrigen Ambiente der Night Clubs und Dance Halls einfach perfekt aussieht - aber das unbarmherzige Tageslicht offenbart dann eben auch die Schönheitsfehler. Musikalisch wird das so richtig schön laid back rübergebracht - aber keine Bange: Die Scheibe ist trotz aller Stilvielfalt nicht arm an richtigem Losgeh-Rock. "Run Down The Devil" ist diesbezüglich ein echter Anspieltipp. Mit "Your Own Worst Enemy" verarbeitet Alice Cooper die Tiefs, die man im Leben durchlaufen kann und wobei man zum eigenen Feind mutiert. Klar: Der Mann weiß, wovon er singt - hätte doch um ein Haar der Alkohol seine Kreativität und Karriere mehr als nur einmal ruiniert. Aber, wie schon erwähnt: Alice Cooper ist ein Stehaufmännchen. Selbst, wenn er auf der Bühne im wahrsten Sinne des Wortes manchmal etwas kopflos wirkt, ist der Altrocker nach wie vor ein echtes Live-Erlebnis. Im Gegensatz zu so mancher anderen Rampensau im Rockbusiness schafft er es aber auch, immer wieder überzeugende Scheiben vorzulegen, die seine Qualitäten durchaus gut konservieren. Insofern ist die Wiederveröffentlichung dieser beiden Alben definitiv zu begrüßen. Sie enthalten zwar keinen Single-Knaller, sind aber wunderbar geschlossene Werke, die man gerne und immer wieder komplett anhört. Und das ist doch viel mehr wert als der x-te Radio-Hit, oder?
Line-up:
Alice Cooper (vocals, harmonica)
Eric Dover (guitar)
Yan Roxie (guitar)
Chuck Garric (bass)
Eric Singer (drums)
Wayne Kramer (guitar)
Teddy Andreadis (keyboards, accordian, percussion)
Scott Gilman (saxophone, clarinet and more instruments)
Calico Cooper-Thereman (backing Vocals)
Damon Johnson (guitar)
Tommy Clufetos (drums)
Zibit (rap on "Stand")
Tracklist |
The Eyes Of Alice Cooper:
01:What Do You Want From Me? (3:24)
02:Between High School & Old School (3:01)
03:Man Of The Year (2:51)
04:Novocaine (3:07)
05:Bye Bye, Baby (3:27)
06:Be With You Awhile (4:17)
07:Detroit City (3:58)
08:Spirits Rebellious (3:35)
09:This House Is Haunted (3:30)
10:Love Should Never Feel Like This (3:32)
11:The Song That Didn't Rhyme (3:17)
12:I'm So Angry (3:36)
13:Backyard Brawl (2:37)
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Dirty Diamonds:
01:Woman Of Mass Distraction (4:00)
02:Perfect (3:30)
03:You Make Me Wanna (3:31)
04:Dirty Diamonds (4:03)
05:The Saga Of Jesse Jane (4:16)
06:Sunset Babies (All Got Rabies) (3:28)
07:Pretty Ballerina (3:02)
08:Run Down The Devil (3:29)
09:Steal That Car (3:17)
10:Six Hours 83:25)
11:Your Own Worst Enemy 82:15)
12:Zombie Dance 84:23)
13:Stand (4:05) [Bonus Track]
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Externe Links:
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