Eine Piaf im Hendrix-Fieber
Einerseits mit einer introvertierten Charakteristika deklariert, andererseits 2011 als wildromantische Pop-Debütantin von den Gazetten abgefeiert, versprach die Konzertheldin des Abends doch etwas musikalisch Unkonventionelles.
Augenscheinlich nicht umsonst, gilt die mittlerweile 33 Lenze zählende Künstlerin und Tochter eines britisch-italienischen Psychotherapeuten-Ehepaares, als eine der visuellen Bühnen-Versuchungen unter den derzeitigen Platz-Chanteusen.
Mit Vamp-signalisierenden Lippen, wenig Halt versprechenden schwarzen Pumps nebst sündigem Blick aus dem wohligen Schattenreich, ihre heissgeliebte Telecaster gleichsam als Schutzschild geschultert, so beherrschte die etwas blässliche Akteurin gänzlich ihr Umfeld.
Und was für Eines. Ein historiengeplagtes und jetzt als evangelisches Jugendkulturzentrum fungierendes Monument sakraler Baukunst mitten im Herzen von Mainhattan. Es glich einer würdevollen Bestimmung, dass die einem Tee-dekadenten und wohlsituiertem Haushalt entwachsene Britin zum Abschluss ihrer deutschen Bühnenvisiten, auf den Grabeshügeln einst gutbetuchter und bedeutsamer Intellektueller, ihr von weltzugewander Düsterromantik sowie verstörend roher Virtuosität regiertes Liedgut erweckte.
Schon längst wird die für ihre gegenströmliche Passionen beachtete Anna Calvi mit Pop-Ikonen wie Adele oder PJ Harvey auf eine Stufe erhoben, belecken mittlerweile selbst alleszereißende Schmierfinken ihr bisher veröffentlichtes Oeuvre.
Beflügelt von der optimalen Raumakustik, wandelte an diesem Abend die Künstlerin samt dreiköpfiger Combo tränenschwer durch ihr melodramatisches-Stimmungsgestrüpp sowohl zartgewebter, als auch Gitarren-Exekutierter Eigen-Psychogramme.
Die stylisch scheinbar einem gelackten Modeblatt entschlüpfte 'Zarte' händelte bravourös die Bühnendramaturgie, von reduzierter Sanftheit bis zu erigierenden Gitarren-Eklats und ließ ein Mindestmass Blues Rock ins emotionale Auffangbecken tropfen.
Stand ihr Debüt noch völlig unter den Einfluss abgeschrabbelter Telecaster-Schwurbeleien sowie somnambule »zwischen Vamp und Walküre« gespensternde Gesangsausbrüche, so therapierte sie im Aktuellem "One Breath", ihre Deppressionserfahrung mit mini-cineastischen Streicherarrangements und gelittenem Gothic-Klagen.
Die mit Vorliebe in Einöden verfassten Kompositionen vermochten es auch, ihre Begehren erweckenden Widerhaken in die Köpfe des konzertverwöhnten Frankfurter Publikum zu treiben und stufenweise dessen Emphatien-erweckende Sinne aufzuzuckern.
Einst von den Geistern der elterlichen Plattensammlung okkupiert, übte sich die Violine- sowie Gitarren-Studierte nun im dynamischen Verstricken solch musikalischer Paten wie, auszugsweise Captain Beefheart, Elvis Presley, Nina Simone, Ravel, Django Reinhardt oder Jimi Hendrix.
Mit ihrer ersten Single "Jezebel" schlug sie ihren Zuhörern das gnadenlos-lasterhafte Exzerpt einer scheinbar seelenverwandten Chanson-Ikone Edith Piaf um die Ohren, welcher selbst Frankie Laines popnudelige Hit-Version ins Reich belangloser Teenie-Liedchen versenkte.
Einige symphonische Arrangements ersetzte die divenhafte Musikerin während ihres gleichermaßen fragilen und berserkerhaften Konzertreigens nur zu gern, mit Hendrix-rezeptierten Gitarren-Längen, die sich, wie bei "Love Won't Be Leaving" oder "I'll Be Your Man", in entfesselter Virtuosität sowie Verstärker-überschlagendem Aufbegehren erlösten.
Das sie bestenfalls archetypische Griffbrett-Strategien dabei mied, scheint wohl ihrem Violinen-Pauken geschuldet, ein klarer Vorteil, die selbige sowohl mit surfigen, als auch mit obertonreichen Lautmalereien, vermittelte.
Die sich in der Rolle der Unnahbaren Wohlgefallene gestaltete bisweilen ihre nahezu suggestive und bildmächtige Bühnenmesse »mit den zarten Pinselstrichen eines Debussy« oder gar eigenbrötlerischen »Klangbauten eines Olivier Messiaen«, bestärkte ihr kleines 'Orchester', insbesondere eine scheinbar vielarmige - indisches Harmonium sowie diverses Beiwerk malträtierende - Mally Harpaz des öffteren zu sakral-anschwellenden Exzessen.
Calvis, sonst eher in tiefergestimmten Registern schwelgendes Sanges-Silber, verstand es dennoch auch, Springsteens lyrisch von männlicher Selbstüberschätzung geschwollenes Cover "Fire" mit betörender und sogleich femminin-entwaffnender Elegie, Elvis' Italo-Verschmalztes "Surrender" dagegen, als kargem Bolero, ad absurdum zu führen.
Ein einziger und vom beflissenen Tontechniker meisterlich gemischter Höhepunkt, wobei dem Liebhaber des artifiziellen Spektrums sprödere Brocken wie das Effekt-Dämonisierte sowie ambitioniert-verschachtelte "Carry Me Over" oder Vox-verhallte und gleichwohl von David Lynchs filmischer-Paranoia verseuchte "Riders To The Sea", den Puls zu beschleunigen vermochten.
Anna Calvi repräsentierte an diesem wohl definitiv denkwürdigen Abend eine neue Generation selbsbestimmter und gegen Vereinnahmung des Feminismus patriotisierte Intensitätsmusikerinnen, welche ihre leidvollen Selbsterfahrungen, beim publikumsnahen Ausloten, bluesiger sowie unwirtlicher Post Rock-Grenzbereiche verarbeiten.
Der sich eher als komponierende Handwerkerin denn als trällernde Songschreiberin Verstehende gelingt es nach wie vor, den einem Gitarren-Korpus innewohnenden Hendrix-Geist sowie orchestralen Gestaltungswillen, zeitenthobene Spielräume zu eröffnen.
Das zeitweise vom verschlingenden Strudel der Ergriffenheit, jedoch auch von Enthusiasmus erfasste Auditorium wird diese sowohl erhebenden, als auch stilistisch Yin und Yang-implizierten neunzig Minuten wohl nicht mehr so schnell aus den Köpfen bekommen.
Bliebe noch anzumerken, dass der unangekündige und mit Höflichkeits-Applaus bedachte Vorplänkler, ein 26-jähriger Londoner Indie-Singer/Songwriter namens Tom Visser alias Tom The Lion mit seinem spärlich vorgetragenen und von androgynen Weltverdrossenheits-Vokals verzärtelten Folk-Pop, zwar eine merkwürdig schillernde, dennoch mehr unglückliche Figur abgab.
RockTimes bedankt sich bei Anne Riedel von FKP Scorpio Konzertproduktionen für die problemlose Akkreditierung.
Line-up:
Anna Calvi (guitars, vocals)
Mally Harpaz (harmonium, percussions, bass pedals)
Alex Thomas (drums)
Glenn Callaghan (keyboards)
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