Zugegeben, New Country gehört nicht zu dem Feld der Popularmusik, welches ich bislang besonders intensiv beackert hätte. Neben drei-vier CDs von
Travis Tritt befindet sich noch jeweils eine CD von
Montgomery Gentry,
Blackhawk und
Dwight Yoakam in meiner Sammlung. Dafür kenne ich fast alles von Südstaaten-Institutionen wie der
Marshall Tucker Band und der
Charlie Daniels Band (
CDB), deren Musik stark countryfiziert ist und war. Damit wären auch schon in medias res.
Denn der 45-jährige
Billy Ray Cyrus - zu Beginn der 90er Jahre einer der ganz großen Stars in Nashville - ist mindestens zum gleichen Teil ein Southern- Boogie-Rocker wie ein Country-Sänger, wie die Kollegen
Tritt, Montgomery und
Gentry. Der gute
Billy Ray ist mit
ZZ Top und
Lynyrd Skynyrd aufgewachsen, die er im Midtempo-Boogie-Stampfer "I Want My Mullet Back" hochleben lässt.
Ja, richtig gelesen, liebe Rock-Freunde, Midtempo-Boogie-Stampfer mit dampfenden Gitarren auf einem Country-Album, dazu noch Blasinstrumente und Piano! In die gleiche Kerbe schlagen "Lonely Wins" und "Ole What's Her Name", die durch das routinierte Spiel der Session-Gitarristen - die im Schnitt auf jeder zweiten Scheibe aus Nashville zu hören sind -
Brent Mason und
Pat Buchanan aufgepeppt werden.
Wäre das nicht schon herzerwärmend genug für einen Southern-Rock-Fan, wird uns mit "Freebird Fell" ein wunderbares Tribut an den 1977 tödlich verunglückten
Ronnie Van Zant in Form einer grandiosen (Power-) Ballade präsentiert, die mit seinem Pathos an "Brickyard Road" von
Johnny Van Zant oder weit entfernt an "Reflections" der
CDB erinnert. Nur mit dem Unterschied, dass
Johnny der Bruder von
Ronnie ist und
Charlie Daniels ein Freund des
Skynyrd-Frontmanns war, während
Cyrus' Song eine Hommage aus der Perspektive eines Fans ist. Das Interessante am Ganzen ist, dass mit
Artimus Pyle und
Ed King zwei ehemalige Mitglieder der Südstaaten-Legende am Songwriting beteiligt waren. Letzterer trat sogar kürzlich bei einem der Konzerte von
Cyrus auf. Haben sie vielleicht zufällig "Sweet Home Alabama" intoniert?
Eine weitere Huldigung erfahren einige Ikonen des Country, u.a.
Johnny Cash,
Waylon Jennings, Merle Haggard, Minnie Pearl. Als Gastsänger fungieren zwei weitere Legenden des Genres,
Loretta Lynn und
George Jones. Der Titel des Songs: "Country Music Has The Blues"! Die Frage soll aber erlaubt sein, ob nicht seit Ende 80er/Anfang der 90er Jahre (Stichwort: New Country)
Cyrus und Kollegen- der Rest des Nashville-Business mal ausgeklammert - selbst das Grab dieser bodenständigen Musik schaufeln, in dem sie massenweise Pop-Songs in Plastik-Produktion veröffentlichen?
Nun, diese Scheibe kommt erfreulicherweise weitgehend ohne Plastik-Produktion aus, dafür bietet sie aber umso mehr Pop-Songs, die z.T. durch die Instrumentierung noch eine Country-Fassade erhalten. Die bröckelt auch stark -
Cyrus zollt der Hit-Fabrik 'Cashville' Tribut, aber gewaltig. "Country Music Has The Blues" - auf den Punkt gebracht!
Mit dem herzzereißenden, etwas anderen Tribut ("Hey Daddy") an seinen im Februar verstorbenen Vater, wird man etwas versöhnt. Käme nicht schon wieder mit "Stand" eine unerträgliche Mainstream-Pop-Nummer! Dafür gibt es mit dem akustischen "A Pain In The Gas" einen großartigen Song als Abschluss einer Platte, die einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt: Etwa die Hälfte Pop-Schnulzen, vier rockige Stücke und höchstens vier Tracks, die nach eingehender Prüfung wirklich die Bezeichnung Country verdienen. Die Southern-Fans können aufgrund von "Freebird Fell" zugreifen, alle anderen sollten zunächst in die Scheibe reinhören - sonst könnte es passieren, dass nicht nur Country Music, sondern auch der liebe RT-Leser allzu schnell den Blues bekommt!