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Calibro 35 / Traditori Di Tutti
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Calibro 35 ist schon ein ziemlich abgedreht-verrücktes Projekt. Enrico Gabrielli, Luca Cavina und Massimo Martelotta, die zu den besten Musikern der italienischen Indie-Szene gerechnet werden dürfen, begannen vor einigen Jahren mit Soundtracks zu Filmen und orientieren sich nun mit Calibro 35 an dem, was italienischen Spielfilmen der sechziger und siebziger Jahre kompositorisch unterlegt wurde. In ihrem Heimatland sind sie damit recht erfolgreich und zu Lieblingen der Kritikerzunft avanciert.
Für ihre neueste Veröffentlichung haben sie einem sehr bekannten Buch des bedeutenden italienischen Krimiautors Giorgio Scerbanenco, "Traditori Di Tutti" (engl. Titel: "Betrayers Of All"), quasi einen 'Soundtrack' verpasst. Der Roman erschien 1966 in der sog. Duca-Lamberti-Reihe, in der ein Privatdetektiv und ehemaliger Arzt der Mailänder Kriminalpolizei bei der Lösung kniffliger Fälle behilflich ist.
Wenn man diesen Plot in den zeitlichen Kontext setzt, kann einem spontan der Name Edgar Wallace in den Sinn kommen... und tatsächlich: Beim aufmerksamen Hören der Instrumentalmusik von "Traditori Di Tutti", glaubt man sich tatsächlich in einen Wallace-Spielfilm der damaligen Zeit hineinversetzt. Ich denke da bspw. an solche Klopper wie "Der Frosch mit dem Brusthaartoupet", "Die Mieze mit der Reitpeitsche" oder "Der Arsch mit Ohren" - hahaha, jetzt aber den Scherz mal ganz schnell beiseite! Nee, kommt - ihr wisst schon, was ich meine: Diese abgrundtief trashigen Filme samt ultramieser Untermalung mit psychopathischem 'Schizo-Jazz' - beides derart Scheiße, dass es heute schon wieder purer Kult ist. Die Stücke des Konzeptalbums "Traditori Di Tutti" sind derart konsequent 'retro', dass sie von den Originalen aus den Sechzigern kaum zu unterscheiden sind. Das fällt schon bei der Wahl der Instrumente auf: Schmalbrüstig verstärkte Wurlitzers, effektbeladen hackende Hohner Clavinets und zittrig-wimmernde Farfisas bestimmen den Keyboardsektor - gekrönt von einer Philips Philicorda. Aus welchem Museum wurde denn dieses antike Stück ausgegraben? Was mit diesem Urvater der Heimorgel bei "Mescaline 6" und "Vendetta" gezaubert wird, erinnert an den seligen Hanns Dieter Hüsch, einem bekennenden Philicorda-Veteranen.
Ansonsten decken die Kompositionen nahezu das gesamte Spektrum der damaligen Zeit ab: ganz viel psychedelischer Pop ("Giulia Mon Amour", Mescaline 6"), abgedrehter 'Psycho-Jazz' ("One Hundred Guests"), etwas softer vom Jazz geküsstes Zeug ("Two Pills In The Pocket", "Miss Livia Ussaro"), grooviger Funk ("Stainless Steel", You Filthy Bastards!") sowie eine ganze Menge (teilweise nur ansatzweise eingestreut) bläsergeschwängerter Soul ("Traitors"). Laszive weibliche »uuuuhs« und »aaaahs« gibt es bei "Miss Livia Ussaro" als Sahnehäubchen. Hier sieht man förmlich, wie sich das blonde Bond-Girl auf der Designer-Sitzgelegenheit hinter dem Nierentisch räkelt - bereit (aber sowas von bereit!) für die starke Schulter des großen Helden. Ganz stark wird's, wenn eine ganz dicke Ladung Ray Manzarek samt seinen Doors bei "Butcher's Bride" serviert wird - rotzfrech und völlig schamfrei.
Ohne Frage war mein Stirnrunzeln erstmal groß, als sich Calibro 35s Neue ein paar Minuten gedreht hatte: Was soll denn DER Kappes [saarl. für Kohl]??? Aber das hat sich dann schnell gedreht - das Ding ist echt originell!
Logisch, "Traditori Di Tutti" kann man nicht immer und schon gar nicht zweimal hintereinander hören, aber wenn, dann verbreitet sich bei diesem psychedelischen Pop, mit allen Facetten der Sechziger garniert, umgehend gute Laune. Natürlich bedient die Band damit eine recht winzige Nische, aber auch die wird ihre Liebhaber finden - ganz sicher.
Line-up:
Enrico Gabrielli (keyboards, dulcitone, flute, sax, vocals) Massimo Martellotta (guitar, Philips Philicorda, Farfisa Foyer, horn arrangements) Luca Cavina (bass) Fabio Rondanini (drums, percussion) Additional Musicians: Paolo Rainieri (trumpet) Francesco Butti (trombone) Serena Altavilla (vocals - #6,11)
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