Die Avantgarde-Band
Can galt zurecht in den Aufbruchzeiten der deutschen Rockmusik als ungewöhnlichste, kreativste und innovativste Band - die Avantgarde, die Progressive schlechthin. Auch andere Gruppen beschäftigten sich mit den oft seltsamsten Tonschöpfungsprozessen in unterschiedlichen Stilrichtungen, herauskam jedoch oft nur gut handwerkliches Format und damit letztlich das 'Krautrock'-Genre. Dagegen verfügte die Kölner Formation über eine profunde Ausbildung. 1968 gegründet, verstand sie sich nie als herkömmliche Rockband, sondern als Musikkommune, die in ihrem Studio auf Schloss Nörvenich bei Düren mit Klängen und Strukturen experimentierte.
In ihre unkonventionelle Musik floss viel aus dem bisherigen Background der Musiker ein (Bassist Holger Czukay und Keyboarder Irmin Schmidt kamen aus dem zunächst klassischen und später Neutöner-Umkreis von Karlheinz Stockhausen, Drummer Jaki Liebezeit vom Jazz und Free-Jazz, lediglich Gitarrist Michael Karoli spielte zuvor in Beatbands). Erster Sänger der Formation war der Amerikaner Malcolm Mooney, der 1970 von dem Japaner Kenji 'Damo' Suzuki abgelöst wurde. Die Auftritte hatten Experimental- und Happening-Charakter, eher was für intellektuelle Spinner als für Freaks, die unter Einwirkung diverser Drogen auf purpurnen Klangwolken friedlich absegeln wollten. Die abgefahrenen Jams waren die Grundlagen für spätere Ausarbeitungen im Studio, aus denen dann die Stücke zusammenmontiert wurden. Also genau umgekehrt, wie das sonst üblicherweise lief. Die Band produzierte ihre Veröffentlichungen selbst und hatte damit die volle Kontrolle über ihr Schaffen. Auch das war eine für das damalige Musikbusiness ziemlich revolutionäre Angelegenheit.
Soundtracks
Die so entstandenen Tracks wiesen keinen herkömmlichen Songaufbau auf, sondern eher Muster vom Schneidetisch, gepaart mit Improvisationsteilen und elektronischen Ergänzungen. Bereits auf dem 69er Debüt "Monster Movie" gab es zwei Nummern mit Überlänge ("Father Cannot Yell" - 7:01 Min. sowie You "Doo Right" - sagenhafte 20:14 Min.). Daneben standen aber auch Kurzeinspielungen wie der nur 1:40 Min. lange Titel "Deadlock". Der stammte vom zweiten Sampler-Album "Soundtracks" von 1970. Die Filmproduzenten hatten Can schnell entdeckt und sie zunächst für das Intellektuellen-Kino eingespannt. Mit der Titelmelodie "Spoon" (erstmals mit elektronischen Drums) für den Durbridge-Straßenfeger "Das Messer" verschreckte Can dann aber auch die bürgerliche Fernseh-Gemeinde zutiefst und das drei Samstage hintereinander. Mich elektrisierte sie jedoch. Der Titel mit seinem hypnotischen Beat tauchte sogar in den Discos auf. Weitere Aufträge (u.a. für einen "Tatort") folgten und etablierten die seltsame Truppe mit ihrem Monoton-Krach im öffentlichen Bewusstsein.
Psychedelisches Sperrgut mit Charts-Potential
Dann kam 1971 DER HAMMER: "Tago Mago", das wohl sperrigste Album, das bis dahin in Deutschland erschienen war. Die Doppel-LP war in fast allem anders, als die üblichen Produktionen. Allein schon die Musik einer deutschen Band bei einem internationalen Label auf zwei teuren Scheiben. Und dann noch derart abgedrehtes Psycho-Zeugs in Endlos-Schleifen mit kaum aussprechbaren Nonsens-Titeln! Maschinenhafte Rumpelbeats, kreischende Gitarren, Overdubs von Störgeräuschen und dazu ein ausgeflippter Shouter, der kreischte, stöhnte oder sich im wiederkehrenden Sing-Sang zum Rhythmus selbst aufschaukelte - das hatte nichts mit herkömmlicher Musik zu tun, nicht einmal mit den inzwischen aufgekommenen Psychedelic-Trips diverser amerikanischer und englischer Bands. Ich hatte zunächst ebenfalls meine Probleme mit diesem Werk, das niemand in meiner Umgebung auch nur länger als eine Minute mitanhören wollte...
Das war einfach nur infernalisch und animalisch, aber mit einer absolut hypnotischen Wirkung, wenn man sich darauf einließ! Das archaisch anmutende Klapp-Cover von Ulli Eichberger mit diesem Sprechblasen-Kopf, einmal in orange, einmal (spiegelverkehrt) in grün auf Vorder- und Rückseite, passte genau dazu. Dada-Musik und Dada-Malerei. Auch wenn sich wohl nur die absoluten Freaks das Album in gesamter Länge (damals mit über 73 Minuten ein Hörmarathon) mehr als einmal hintereinander antun konnten, schaffte es "Tago Mago" auf Platz 38 der deutschen Album Charts! Spitzenreiter war seinerzeit Deep Purples "Fireball" vor Wim Toelkes "Drei mal Neun"-Stars und "Non Stop Dancing 12" von James Last... .
"Tago Mago" hatte was von Gehirnwäsche. Die Aufnahmen, Soundtüfteleien und die Abmischungen entstanden erstmals im bandeigenen Inner Space Studio in Köln (das heute im rock'n'popmuseum in Gronau wiederaufgebaut ist). Aus von Czukay mitgeschnittenen Jam-Sessions, die zur Überbrückung von Technikproblemen liefen, wurden Passagen in die regulären Tracks eingesampelt, was zu dem rauen, irrwitzigen, teilweise auch bedrohlichen Sound beitrug. Überhaupt war der Bassist wohl einer der ersten Elektronik-Freaks, der auch mit Rückwärtsaufnahmen, Radioschnipseln und anderen Manipulationen Wegbereiter für die spätere Szene war. Am Ende von "Mushroom" gibt es eine gewaltige Explosion, die akustischen Druckwellen des 'Atom-Pilzes' breiten sich von den Lautsprechern furchterregend im Raum aus (und ruinieren die Nerven des angespannten Hörers endgültig). "Aumgn" wirkt wie ein Mahlstrom, der seine hilflos lauschenden Opfer in sich hineinzieht. "Paperhouse", "Mushroom" und das längste, durchgeknallteste Stück, "Halleluwah" haben ratternde, sich wiederholende und variierende Strukturen, wohingegen das expressive "Aumgn", ebenso wie "Peking O" mit Verfremdungen, Streichinstrument-Dissonanzen, wirren Vokal-Akrobatiken und Elektronik-Percussions Freistil sind. Bei "Oh Yeah" läuft die Gesangs-Spur rückwärts und "Bring Me Coffee Or Tea" ist ein im Vergleich mit dem vorher Gehörten sogar sanftes, melodisches Stück, das fast schon Ambient-Charakter hat.
Can heute
Can hatte enormen Einfluss, das hört man nicht nur immer wieder von unterschiedlichsten Musikern selbst, sondern lässt sich auch heute noch vor allem in der experimentellen, progressiven und Elektronik-Musik nachvollziehen. Der gesamte Katalog der schon lange nicht mehr aktiven Band wurde zwischenzeitlich hausintern für das eigene Label Spoon Records remastert und auf SACD wiederveröffentlicht. Sicher wird man heute dazu greifen, wenn man sich erstmals mit dem Can-Werk beschäftigt. Bei der Überarbeitung wurde wirklich erstklassige Arbeit geleistet, wodurch der spezielle Can-Sound nun erst mit der richtigen Power durch die Boxen gejagt wird. Ich bin aber ziemlich sicher, dass die Fans jener Zeit genauso gern die großen alten Scheiben hervorholen. Erst wenn das Vinyl unter der Nadel knackt und man das aufgeklappten Cover vor sich hat, kommt das wahre 'Authentik-Feeling' für das abgefahrene "Tago Mago" auf! Selbst heute wirkt das Album noch 'strange', wogegen andere 'experimentelle' Aufnahmen jener Zeit nur noch kalter Kaffee sind. Danach wurde auch die Can-Musik wesentlich kompatibler für den 'normalen' Hörgeschmack. Michael Karoli starb am 18.11.2001 an Krebs, alle anderen Bandmitglieder sind zum Zeitpunkt dieses Reviews noch musikalisch kreativ.
Line-up:
Irmin Schmidt (keyboards)
Kenji 'Damo' Suzuki (vocals)
Holger Czukay (bass)
Michael Karoli (guitar, violin, double bass)
Jaki Liebezeit (drums)
Tracklist |
Seite 1:
01:Paperhouse (7:29)
02:Mushroom (4:08)
03:Oh Yeah (7:22)
Seite 2:
Aumgn (17:22)
Seite 3:
Halleluwah (18:32)
Seite 4:
Peking O (11:35)
Bring Me Coffee Or Tea (6:47)
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