...Wir haben normalerweise immer alles auf Vinyl veröffentlicht!
Rick RockTimes nahm, passend zum Konzert von The Casualties in der Frankfurter Au am 21.02.2011, die Möglichkeit wahr vor ihrem alles in Grund und Boden prügelnden Gig ein Interview mit Bassist Rick zu führen.



Interview vom 17.04.2011


Marius Gindra
Die auch schon nunmehr über 20 Jahre aktive Street/Hardcore Punk-Combo The Casualties ist einfach die beste Band ihres Genres! Wahnsinnig simpel-geniale und im Stil des britischen Früh-80er-Punks gehaltene Studioscheiben wie "On The Frontline", "Under Attack" und das letzte Werk "We Are All We Have" gingen allein in den letzten sieben Jahren auf das Konto der Irokesen- und Nietenkaiser aus New York City. Dabei dürften sie auch weitaus mehr Publikum als ausschließlich Punks oder Oi!-Skins ansprechen, denn die derartige Brutalität und Härte, mit der sie in ihren Hassattacken gegen Autorität und Spießertum zu Werke gehen, ist ebenfalls nicht mehr weit von so manchen Crossover-Thrashern wie S.O.D. oder Municipal Waste entfernt.
Hier also leicht verspätet das komplette, mit einem antiquitiertem Taperekorder aufgezeichnete Gespräch:
RockTimes: OK, in der ersten Frage geht es um eure Tournee, die gerade stattfindet. In welchen Ländern seid ihr schon gewesen?
Rick: Wir kamen rüber aus New York, spielten zwei Shows in Russland, dann kamen wir zurück nach Deutschland. Wir waren in Italien, in der Schweiz, haben zwei Konzerte in Frankreich und Belgien gespielt und kamen wieder zurück nach Deutschland, wo wir jetzt sind. Ende der Woche - und deswegen sind wir schon sehr aufgeregt - spielen wir zum allerersten Mal in der Bandgeschichte in Griechenland - in Athen!
RockTimes: Sind irgendwelche aufregenden Party-Exzesse passiert, von denen Du berichten kannst?
Rick: Ich würde es nicht als 'aufregend' bezeichnen, aber es ist tatsächlich etwas Interessantes passiert: Wir spielten ein großartiges Konzert vor einer Menge an Leuten in Russland. Auf einmal kam der Sänger der Opener-Band auf die Bühne und sagte etwas ins Mikrofon. Zwischen den Songs erzählte er irgendetwas auf Russisch. Die Leute verließen auf einmal die Halle und fingen an zu weinen! Ich dachte: Scheiße! Was ist denn jetzt los? Was macht der Typ da? Ich dachte, er versuchte, das Konzert zu verhindern oder so. Als wir spielten, passierte es, dass ein paar Nazis einen jungen Punk verprügelt haben. Sie wollten ihn umbringen! Alle wollten ihm helfen, damit er das Konzert sehen kann. Und auf einmal ging das Gerücht um, dass er tot sei! Deswegen haben alle Freunde dieses Jungen geweint, die Halle verlassen, SMS geschrieben usw.. Wir wussten aber von nichts, weil sie alle nur russisch sprachen. Damit war das Konzert im Arsch… Allen ging es mies. Nachdem wir hörten, was passiert war, haben wir uns bei allen entschuldigt, weil wir uns gemein und respektlos fühlten, da wir einfach weiter gespielt hatten, obwohl ein Junge in Lebensgefahr schwebte. Aber es hat sich letztendlich herausgestellt, dass er - nachdem das Konzert zu Ende war - wieder reanimiert werden konnte! Sein Herz schlug wieder! Die Leute waren wieder glücklich. Naja, zumindest etwas glücklicher… Aber für sie waren es gute Nachrichten, dass der Junge alles überstanden hat. Nazis sind in Russland sehr gefährlich! Es ist in meinem Kopf hängen geblieben. Es war furchtbar! Ein junger Mensch gibt sein Geld dafür aus, um uns live zu sehen und eine schöne Zeit zu haben und er wird dabei lebensgefährlich verletzt! Ansonsten war die Tour aber cool und hat echt Spaß gemacht. Aber das war schon eine wichtige Sache, die zu erwähnen ist!
For The Casualties Army RockTimes: Kommen wir nun zu For The Casualties Army - der Compilation. Sie wurde nur zum Download angeboten und dann auch noch über iTunes…
Rick: Ja
RockTimes: Na ja, ich finde das etwas schade, weil ich ein großer Fan von Vinyl mit richtigen Covers, aber auch von CDs und Kassetten bin… von richtigen Medien halt, die man in den Händen halten kann!
Rick: Und weißt Du was? Bei uns ist das ganz genauso! Wir haben normalerweise alles immer auf Vinyl veröffentlicht. Ich weiß gar nicht genau, warum wir uns dieses Mal anders entschieden haben… Ich will nicht, dass irgendjemand, der unsere Musik mag, denkt, dass wir jetzt mit der Zeit gehen! Wir wollen immer CDs und Platten herausbringen, Vinyl-Veröffentlichungen mit richtigen Covers usw.. Wir stehen da drauf! Aber dieses Mal war es so, dass wir uns dachten: Das ist kein offizielles Studioalbum!. Wir haben uns zwar Gedanken über diese Compilation gemacht, uns aber nicht ernsthaft damit beschäftigt. Sie war ja ausschließlich für den Fanclub bestimmt. Ich habe also keine wirklich gute Antwort darauf, warum wir es nun genau so gemacht haben - diese iTunes-Version. Aber wir werden auch wieder richtige Studioalben machen, die immer ein richtiges Cover haben und so!
RockTimes: Also lass uns das mal festhalten: Du magst natürlich Vinyl?
Rick: Ja, klar! Jorge war ein Sammler, ich bin ein Sammler, Jake ist ein Sammler, Meggers war auch einer. Meggers und Jorge haben jedoch ihre Sammlungen verkauft - aus welchen Gründen auch immer… Aber immerhin besitzen sie noch unsere eigenen Alben, hehe! Ja, wir lieben es! Wir lieben es, Platten zu sammeln, in Plattenläden zu gehen und über Musik zu diskutieren; auf jeden Fall!
RockTimes: Dann kommen wir nun zum Sound der Band: Für mich klingt es wie alter Hardcore Punk der frühen 80er; nach G.B.H., alten Exploited usw.. Welche Truppen haben euch damals hauptsächlich beeinflusst, als ihr die Band Ende der 80er/Anfang der 90er gegründet habt?
Rick: Ja, wie Du schon gesagt hast: alter britischer Punk, der zu der Zeit so gut wie tot war. Als wir mit der Band anfingen, kannte ich die Jungs bereits und wir haben versucht, musikalisch so zu klingen wie diese Bands damals…
RockTimes: So wie in der Metal-Szene…
Rick: Ja, all diese Bands fingen an auszusterben… Das war halt so. Und Jorge und die Jungs versuchten, diesen Sound nachzuspielen, weil sie diese Bands vermisst hatten. Es gab keine Bands mehr, die so klangen. Und es gab eine kleine Gruppe Punks in NYC. Also haben wir es versucht, weil wir diese Musik alle so sehr mochten.
We Are All We Have RockTimes: OK, kommen wir nun zu eurem aktuellen Album "We Are All We Have". Kannst Du uns etwas über die Aufnahmen und die Veröffentlichung erzählen, wie viele Einheiten ihr abgesetzt habt usw.?
Rick: OK, ich erzähle Dir jetzt mal was: Wir haben zwölf Songs auf dem Album. Aber die Hälfte davon war noch nicht einmal geschrieben, als wir ins Studio gingen, hehe! Ich meine, es waren nur sechs oder sieben. Wir haben also eine ganze Menge erst während der Aufnahmen geschrieben. Ob gut oder schlecht - es war mal eine andere Herangehensweise. Auf "On The Front Line" haben wir viel zu viele Songs gehabt; weit mehr als nötig! Bei "Under Attack" war es wiederum wieder anders. Dieses Mal jedoch war alles sehr spontan. Wir waren fertig. Es war ein Haufen Arbeit! Die Aufnahme-Leute meinten zu uns: »Wenn ihr das Album machen wollt, müsst ihr diesen Monat fertig werden, weil das Studio für den Rest des Jahres komplett ausgebucht ist«. Wir rasten also ins Studio und waren sehr beschäftigt. Wir sagten den Studio-Leuten, dass wir ein komplettes Album fertig hätten, obwohl wir nur sechs Songs hatten, haha! Sie wollten ihre Zeit nicht damit verschwenden, unser unfertiges Album aufzunehmen…
RockTimes: Also habt ihr die letzten sechs Songs schnell im Studio geschrieben?
Rick: Ja.
RockTimes: So unter dem Motto: 'Oh, wir haben nicht viel Zeit. Lasst uns schnell sechs Songs schreiben'?
Rick: Nein, wir haben nicht einfach irgendetwas aufgenommen, nur um fertig zu werden. Wir haben es so gemacht: Wir haben uns einen Tag Auszeit genommen. Wir haben erst einmal die sechs Songs aufgenommen, die ohnehin schon fertig waren. Und irgendwann nachts ist das Studio-Personal nach Hause gegangen und wir haben zu der Zeit im Studio gewohnt. Es ist ein öffentliches Gebäude. Als die Studio-Leute nach Hause gegangen sind, sind Jake und ich in den Hauptraum gegangen und haben Songs geschrieben. Es war also nicht so, dass wir einfach jeden Scheiß aufgenommen haben und uns das total egal war! Aber wir wussten, dass wir spät dran waren. Also sind wir in die Bar gegangen, haben uns die Kante gegeben und sind um vier, fünf, sechs Uhr morgens zurück ins Studio gegangen. Als die Studio-Leute dann vormittags zurück kamen, haben wir weiter die Songs aufgenommen, die dazu gekommen sind und die bereits fertig waren. Und das klappte eigentlich sogar ganz gut, hehe!
RockTimes: Seid ihr eigentlich noch mit Side One Dummy Records zufrieden?
Rick: Ich denke, dass unser nächstes Album nicht mehr auf Side One Dummy Records erscheinen wird. Mir scheint, sie interessieren sich nicht mehr für The Casualties! Wir haben nichts gegen sie und sie nichts gegen uns. Aber es ist so wie mit einer Freundin: Du bist zunächst verliebt und nach Jahren langweilt Dich nur noch alles. Dir ist alles egal, ihr geht nicht mehr essen usw.. Ich glaube, so geht es SODR heute mit uns. Als wir dort neu waren, haben sie überall Werbung für uns gemacht, Flyer verteilt und jedem von uns erzählt. Und heute - viele Jahre später - haben wir ein Interview mit ihnen gelesen und wir wurden noch nicht einmal darin erwähnt! Für uns ist es also an der Zeit, etwas Neues zu finden. Das ist nicht schlimm! Sie haben uns nichts getan! Aber ein neues Label für uns wäre glaube ich mal ganz gut.
Die Hards RockTimes: Kommen wir kurz zu eurem Album "Die Hards" von 2001. Darauf war ein Song mit dem Titel "Made in NYC". So hieß später ja auch das Livealbum. Wenn ich den Text höre, muss ich immer an die Ramones denken! Handelt es sich dabei an einen bewussten Tribut an die Ramones?
Rick: Ja, das haben wir uns dabei gedacht, genau!
RockTimes: Ich als Metal-Fan würde ich noch gerne wissen, wie es dazu kommt, dass viele NYC-Metal-Bands mehr in Richtung Thrash gehen, wie z. B. Carnivore mit Pete Steele.
Rick: Ja, er ist ja leider gestorben.
RockTimes: Ja, letztes Jahr! Oder Bands wie Anthrax und Konsorten!
Rick: Oh ja! Ich liebe Anthrax! Ich bin ein großer Anthrax-Fan!
RockTimes: Was denkst Du den über diesen Eastcoast Thrash wie beispielsweise Overkill usw.?
Rick: Ich mag eine ganze Menge dieser Bands! Ich hörte sehr viel Metal, bevor ich zum Punk kam! Ich sage das jetzt nicht nur so! Ich höre immer noch Metal wie M.O.D., S.O.D. usw. Ihr Album "Speak English Or Die!" ist so geil! Anthrax waren eine meiner ersten Lieblingsbands, als ich mit Metal anfing. Boah, Scheiße: Da waren so viele Bands! Ich mag aber die Eastcoast-Mucke lieber als alles andere. Egal ob Punk oder Metal oder sonst etwas: Es rockt einfach alles mehr.
RockTimes: Ich finde auch, dass Thrash-Bands aus New York mehr Punk-Einflüsse aufweisen als an der Westküste - z. B. Slayer oder andere Bands wie Metallica, Exodus und auch Forbidden… All diese Bay Area-Bands von der Westküste sind viel melodischer. New Yorker Bands scheinen ganz andere Einflüsse zu haben…
Rick: Ja, ich denke, an der Westküste ist alles sehr viel lockerer. Alle sind dort cool und entspannt. In New York ist alles viel dichter, mehr Verkehr usw.; Es ist näher an der Realität! Ich finde, sie kommen eher auf den Punkt.
On The Front Line RockTimes: Für mich haben eure Alben einen großen Thrash Metal-Einschlag. Das thrashigste ist wohl "On The Front Line"!
Rick: OK, da stimme ich Dir zu, obwohl auf "We Are All We Have" die Texte etwas Metal-lastiger sind. Wir mögen das Zeug halt. Manchmal kommen Kiddies zum Punk; und hören auch wirklich nur Punk - sonst nichts! Ich kann das nicht nachvollziehen, weil wir viele Musikrichtungen mögen, weißt Du? Natürlich ist Punk für mich das Größte! Aber wie ich schon sagte: Wir fingen alle erst mit Metal an, bevor wir zum Punk gekommen sind.
RockTimes: Welches ist Dein Lieblings-Album von den Casualties
Rick: Ich höre mir unsere eigenen Alben kaum an, hehe! Das kann ich wirklich nicht beantworten… Ich mag sie natürlich alle, hehe! Vielleicht "Under Attack"! Im Moment aber eher das neueste Album, weil alles noch frisch klingt.
RockTimes: Wie sieht es Business-technisch bei euch aus? Könnt ihr von eurer Musik leben? Wie ist die geschäftliche Seite des Punks denn so?
Rick: Wir haben keine richtigen Jobs. Wir machen nur das hier! Wir können das aber auch nur machen, weil wir ständig mit der Band unterwegs sind. Wir sind immer unterwegs. Wir verdienen unser Geld auf Tour. Wir bekommen nur sehr wenig Geld von unserem Label… Aber eigentlich reicht es uns zum Leben. Wir kennen viele Leute, die keine CDs mehr kaufen. Jeder hat seinen Computer… Ich habe kein Problem damit, wenn Leute am PC Musik austauschen und sie sich dann anhören! Sie finden es so gut, wie es ist. Und wir bekommen Geld durch das Touren, T-Shirt-Verkäufe, Gagen von den Clubs usw.. Und all das Geld wird direkt in Reisekosten, Sprit und Flugtickets gesteckt. Wir machen alles genauso, wie wir wollen! Wir können das ganze Jahr über weitere Shows buchen. Weißt Du, wir haben keine schicken Sportwagen. Wir sind bescheiden, haben alle unsere kleine Wohnung, ein durchschnittliches Leben, einen durchschnittlichen Job. Aber es ist ein schönes Leben! Ich erzähle Dir mal was: Eine Menge Leute sagen uns: 'Oh, ihr seid kein Punk, weil ihr mit der Musik Geld verdient!'. Und ich sage ihnen: 'Fuck you!'. Letztens musste ich mir auch wieder von jemandem anhören, ich solle arbeiten gehen und Steuern zahlen. Aber das habe ich mein ganzes Leben lang nicht gemacht! Ich denke, wir sind sogar sehr Punk-mäßig drauf, wenn wir in Punk-Schuppen spielen, mit Punks reden und Szene-Leute treffen, die uns nicht vorschreiben, was wir zu tun haben usw.! Ich mag diesen Lebensstil wirklich sehr!
RockTimes: Nochmal kurz zurück zur Musik: Welche sind Deine zehn Lieblingsalben aller Zeiten?
Rick: Boah, Hölle! Ich habe mindestens 3000 oder 4000, haha! Spontan würde ich sagen: das selbstbetitelte Album der Bad Brains. Was noch? Ich nehme diese Frage sehr ernst, hehe! Alte Metallica! Ich mag die ersten vier Alben so sehr, dass sie für mich wie eins sind! Ich mag Sepultura wirklich sehr, sehr, sehr gerne! Nicht so sehr "Schizophrenia", aber die mittlere Phase der Band: "Arise" und "Beneath The Remains". Aber im Gegensatz dazu mag ich z. B. auch
The Stray Cats (Rockabilly) sehr gerne. Na ja, ich mag halt verschiedene Arten von Rock'n'Roll!
RockTimes: OK, die letzten Worte gehören Dir!
Rick: Wir werden im Juli 2011 wieder in Europa sein. Wir spielen auf dem Force Attack-Festival, auf dem With Full Force-Festival; viele Festivals und Konzerte im Juli! Lest es einfach auf unserer Internetseite nach und kommt zu unseren Shows! Danke!
Vielen Dank an Chrisi Brack von Weird World Promotion für das Organisieren des Interviews! Übersetzt von Daniel Müller.
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