The Chieftains featuring Ry Cooder / San Patricio
San Patricio Spielzeit: 61:50
Medium: CD
Label: Concord (Universal), 2010
Stil: Folklore

Review vom 08.03.2010


Norbert Neugebauer
Die alten Herren sind immer wieder für eine Überraschung gut. Ohne große Vorankündigung legen uns die Grammy-Legenden The Chieftains und Ry Cooder (je sechs Awards) im Jahr 2010 erneut ein gemeinsames Album auf den Tisch. Bereits bei "Santiago" und "Long Black Vail" der Chieftains war der umtriebige Amerikaner mit an Bord. Während die Gralshüter der irischen Volkskunst das tun, was sie, wie wohl keine andere Band, am Besten können - die keltische Musik ihrer grünen Heimat im weltmusikalischen Kontext zu präsentieren, widmet sich Cooder auf "San Patricio" seinem liebsten Thema: Der profunden Erinnerung der Quellen der heutigen amerikanischen Musik und diverser Legenden des Landes. Und diesmal überquert er erneut den Rio Grande (schon bei "Chicken Skin Music" von 1976 waren die mexikanischen Mariachi-Klänge von Akkordeonist Flaco Jiminez tonangebend), um der vielfältigen Folklore des ungeliebten Nachbarstaates im Süden seine Referenz zu erweisen. Für die Chieftains ist es nach dem Platin-Album "Long Black Vail" die erste Studio-Produktion seit sechs Jahren.
Keltisches und Lateinamerikanisches - wie geht das zusammen? Erstmal historisch. "San Patricio" nannte sich ein Battalion von etwa 200 irischstämmigen Soldaten im amerikanischen Eroberungskrieg gegen das Nachbarland, das sich 1848 auf die Seite der Mexikaner schlug und von den Yankees nach mehreren Kämpfen aufgerieben wurde. Über die Beweggründe gibt es verschiedene Versionen. Paddy Molone, der vom Dubliner Trinity College einen Ehrendoktor bekam und dazu den Auftrag, die Einflüsse irischer Musik im Amerikanischen Bürgerkrieg zu erforschen, erzählt, dass seine wegen der Hungersnot ausgewanderten Landsleute schon bei der Ankunft mangels Alternativen in die Armee eintreten mussten. Dort hatten sie diverse Repressalien der oft englischen und damit anglikanischen Offiziere zu erdulden. Schließlich wechselten sie mit Gleichgesinnten zu den ebenfalls katholischen Truppen nach Mexiko, wo sie sich ein freies Leben versprachen. Er lässt offen, dass auch die Aussicht auf einen besseren Sold zur Fahnenflucht (die in Mexiko und Irland natürlich als freiheitskämpferische Verbrüderung bis heute gefeiert wird) beigetragen haben könnte. Jedenfalls habe es schon damals einen musikalischen Austausch gegeben, vermutet Ry Cooder, der sich in einem Interview mit der Publikation Der Westen auch über die Geschichtskenntnisse der Amerikaner auslässt:
»Der Durchschnittsbürger in den USA macht sich um solche Dinge keinen Kopf. Es sollte ein Bewusstsein für derartige Vorgänge vorhanden sein, ist es aber nicht. Und hat mit der Bildungsmisere in den USA zu tun. Meine Landsleute erwecken den Eindruck, als hätten sie eine Gehirnwäsche hinter sich. Sie verstehen überhaupt nicht, was um sie herum passiert.«
Der Musiker, der einerseits immer wieder gern an die Geschichte(n) der verschiedenen Einwandererkulturen seines Landes erinnert, andererseits auch musikalische Brücken schlägt, nennt die Zusammenarbeit mit den Chieftains und den vielen Gästen auf dem Album eine moderne Version der damals entstandenen Melange: »Wir erzählen eine Geschichte und zu dieser passt die irische Folklore perfekt. «
Nach den ersten ausgiebigen Hör-Runden auf dem Player stellt der Rezensent jedoch fest, dass die mexikanische zumeist dominiert. Und selbst da, wo die typisch keltischen Instrumente mitmischen (was gar nicht mal so ungewöhnlich klingt), ist das die Musik aus dem mittelamerikanischen Land. Ebenso ordnen sich die diversen Gastkünstler diesem Tenor unter. National-Ikone Lila Downs, der 90-jährige Sänger Chavela Vargas und die diversen Folkloregruppen sowieso, aber auch Linda Ronstadt.
"Lullabye For The Dead" mit Moya Brennan klingt dagegen klar nach den Inseln, während Carlos Núñez mit "San Campio" und "Sailing To Mexico" bei seinen galizischen Bagpipe-Tunes bleibt. "March To Battle (Across The Rio Grande)" ist die zentrale Ballade zur Geschichte und wird mit der Banda de Gaita de Batallón, Los Cenzontles, L.A. Juvenil sowie dem vortragenden Schauspieler Liam Neeson eindrucksvoll und 'fusionmäßig' im Marschrhythmus inszeniert.
Ry Cooder? - Ist ein paar Mal mit der Gitarre herauszuhören und fügt "The Sands Of Mexico" in seinem typischen Folk-Balladen-Stil ein. Immerhin verbindet er irischen Inhalt mit mexikanischen Klängen. Weiterhin steuert er das Intro zu "Canción Mixteca" bei. Von den Chieftains als vermeintliche Hauptprotagonisten nimmt man recht wenig wahr, sie beschränkten sich auf die Gesamtkonzeption und das Mitspielen bei ihren Gästen, wie bei früheren Kollaborationen auch. Da wären weitergehende Informationen hilfreich, die leider auf dem Einlegeblättchen der zur Verfügung gestellten Promo-Version der CD fehlen.
Nein, eine wirkliche Verschmelzung ist das, entgegen den Ankündigungen, nicht geworden (abgesehen vom "Finale"), meint der Reviewer schon etwas irritiert. Der hofft noch auf die 'Spätzündung', die sich sowohl bei den Chieftains, aber vor allem bei Ry Cooder schon öfters eingestellt hat. Bislang steht er dem Folklore-Werk jedoch etwas distanziert gegenüber, das auch klanglich nicht optimal ist, aber immerhin mit seinem symbolhaften Cover im typisch religiös-mexikanischen Stil punkten kann.
Nach einem Auftakt-Konzert in Dublin, bei dem der Kalifornier mitspielte, sind die Chieftains derzeit auf einer kleinen Tour mit diversen Gästen (aber ohne Cooder) durch die USA.
"San Patricio" erscheint als normale CD und in einer 'Deluxe Version' mit zusätzlicher DVD, die ein 'Making of' und drei der als Video mitgeschnittenen Songs ("La Iguana", "Luz De Luna" und "Canción Mixteca") enthält.
Tracklist
01:La Iguana - with Lila Downs
02:La Golondrina - with Los Folkloristas
03:A la Orilla de un Palmar - with Linda Ronstadt
04:Danza de Concheros - with Los Folkloristas
05:El Chivo - with Los Cenzontles
06:San Campio - with Carlos Núñez
07:The Sands Of Mexico - with Ry Cooder
08:Sailing To Mexico - with Carlos Núñez
09:El Caballo - with Los Camperos de Valles
10:March To Battle (Across The Rio Grande) - with Banda de Gaita de Batallón, Liam Neeson, Los Cenzontles and L.A. Juvenil
11:Lullaby For The Dead - with Moya Brennan
12:Luz de Luna - with Chavela Vargas
13:Persecución de Villa - with Mariachi Santa Fe de Jesus (Chuy) Guzman
14:Canción Mixteca (Intro) - with Ry Cooder
15:Canción Mixteca - with Los Tigres Del Norte
16:Ojitos Negros - with Los Cenzontles
17:El Relampago - with Lila Downs
18:El Pájaro Cu - with La Negra Graciana
19:Finale - with Los Cenzontles, Carlos Núñez, Los Folkloristas, Banda de Gaita de Batallón and L.A. Juvenil
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