No Nukes
From The Muse Concerts For A Non-Nuclear Future, Madison Square Garden 1979
No Nukes Spielzeit: 60:38 (CD 1), 55:09 (CD 2)
Medium: Do-CD
Label: Elektra Records (Warner Music), 1997 (1980)
Stil: Westcoast Rock, Folk, Soul


Review vom 14.06.2013


Steve Braun
Die Geschichte der Kernenergie ist eine Geschichte der Katastrophen. Schon den Entdeckern dieser Urgewalt war bewusst, dass sie die Büchse der Pandora geöffnet hatten. Sowohl die militärische als auch die zivile Nutzung entpuppten sich als eine wahre Geißel der Menschheit und ihren Heimatplaneten. Three Miles Island Drei Atomkatastrophen benötigte die regierende Physikerin unserer Republik und großer Teile ihrer von der Atomlobby (manche sprechen gar von einer Atommafia) durchsetzten Partei, um dies endlich einzusehen. Moment mal - drei? Fukushima, Tschernobyl? Doch da fehlt eine: Harrisburg/Pennsylvania! Im dortigen Kernkraftwerk Three Miles Island kam es am 28. März 1979 durch Bedienungsfehler der Mannschaft sowie dem Versagen von Maschinenteilen und Messinstrumenten zu einer fünfzigprozentigen Kernschmelze und einer wirklich erheblichen Freisetzung von radioaktiven Gasen in die Umwelt. Nur durch das Zusammenwirken verschiedener glücklicher Umstände konnte damals der erste Super-GAU der Menschheitsgeschichte verhindert werden.

Wenige Tage nach der Havarie gründeten Bonnie Raitt, Graham Nash, Jackson Browne und John Hall (Hall & Oates) MUSE, die Musicians United For Safe Energy, und starteten eine Kampagne gegen die Atomenergie und für eine regenerative Zukunft. Wie das immer so ist, nimmt mit zunehmender zeitlicher Distanz zum Ereignis die Betroffenheit ab, aber dieses Bündnis ist bis in heutige Tage sehr rührig und organisiert regelmäßig landesweit Benefizkonzerte. Angesichts der Reaktoren, die bspw. im auf den sogenannten Big Bang (ein Megaerdbeben) wartenden Kalifornien auf 'heißem Gelände' stehen, steht zu befürchten, dass die Arbeit von MUSE keineswegs beendet ist.
Jackson Browne Als vorläufiger Höhepunkt der Harrisburg-Kampagne fand am 23. September 1979 vor fast 200.000 Menschen im New Yorker Madison Square Garden ein viel beachtetes Megakonzert statt, das wirklich in zweierlei Hinsicht bemerkenswert war. Zum einen durch die Crème de la Crème nordamerikanischer Superstars, die sich quasi die Klinke in die Hand gaben. Zum anderen durch bunte All-Star-Konstellationen und der Tatsache, dass Jackson Brownes und James Taylors Bands - gespickt mit Größen wie Danny Kortschmar, Waddy Wachtel, Leland Sklar oder David Sanborn - nahezu alle Solokünstler begleiteten. Das führte zu wirklich außergewöhnlichen Tondokumenten und das Triple-Vinyl "No Nukes" darf von daher mit Fug und Recht als einer DER Klassiker der Musikhistorie bezeichnet werden. Ein leider vergessener Klassiker... denn die 1997er Neuauflage auf Doppel-CD, liebevoll dem Vinyl-Artwork nachempfunden, fand nur mäßige Beachtung und den 1980 erschienenen Konzertfilm gibt es nach wie vor (mittlerweile mega-rar und relativ teuer) nur auf VHS-Cassette.
Die Doobie Brothers, im Folgenden einer der musikalischen Stützpfeiler des Abends eröffnen mit "Dependin' On You", dem damals aktuellen Hit aus dem Erfolgsalbum "Minute By Minute", den Reigen der 27 Songs. Sicherlich kein Glanzstück der Karriere, aber immerhin von Pat Simmons gesungen und live mit wesentlich mehr Energie als in der Studioversion vorgetragen. Für die ersten Highlights ist folglich Bonnie Raitt mit ihrem (ersten) Chartbreaker "Runaway" und der zauberhaften John Prine-Nummer "Angel From Montgomery" zuständig. Einer der Überhämmer folgt mit John Halls Anti-AKW-Hymne "Power", bei der nicht nur der Künstler selbst mit den Doobies die Stimmung anheizt, sondern auch ein illustrer All-Star-Chor für den guten Ton im Hintergrund sorgt.
James Taylor, Carly Simon Der nächste Block auf "No Nukes" wird von James Taylor, Graham Nash und Jackson Browne geprägt - vier Titel, bei denen sich die gesamte Körperbehaarung des Hörers auf 'Hab Acht' ("The Crow On The Cradle"!!!) stellt, und die allesamt zu den stärksten Aufnahmen dieses Samplers zählen. Das Zusammenspiel der Doobies mit Nicolette Larson bei "Lotta Love", einem hübschen R&B-Stampfer, weckt Erinnerungen an diese tolle Chanteuse, die leider nie die verdiente internationale Beachtung erwerben konnte, bevor sie 1997 - viel zu jung - den Kampf gegen eine tückische Krebserkrankung verlor. Zu
Ry Cooder, einem der am höchsten angesehen Musiker weltweit, muss man nicht mehr viele Worte verlieren. Seine Interpretation von Presleys "Little Sister" ist ebenso eigenwillig wie gut, was vor allem am Reggae-inspirierten Gitarrenspiel eines David Lindley liegen mag.
Eine allererste Begegnung mit Gil Scott-Heron gab es für mich mit dem unglaublich intensiven
"We Almost Lost Detroit" hier auf diesem Sampler - eine musikalische Liebe, die mich weit über den viel zu frühen Tod des Ausnahmepoeten hinaus begleiten sollte. Auch der Singer/Songwriter Jesse Colin Young, leider ebenfalls vom gnadenlosen Musicbizz aussortiert, war mir bis damals unbekannt. Das lässig groovende "Get Together" bringt - nomen est omen - wieder eine muntere All-Star-Truppe auf die Bühne des Madison Square Gardens.
Crosby, Stills & Nash Raydio und Chaka Khan bringen mal cremigen (Raydio), mal feurigen (Khan) Funk ins Spiel, bevor James Taylor und seine Muse Carly Simon - mal andächtig, mal mitreißend - so richtig Stimmung in die Hütte bringen. Poco und Tom Petty samt Heartbreakers sorgen mit "Heart Of The Night" bzw. "Cry To Me" für erstes Country- bzw. Blues-Feeling auf dieser Langrille, bevor dann der Boss und Jackson Browne ihr vielbejubeltes "Stay" zu Gehör bringen. Leider wird David Lindleys atemberaubendes Falsett diesmal von Rosemary Butler ersetzt. Herr 'Springstein' schiebt dann noch ein höllisches Medley ("Devil With The Blue Dress"/"Good Gully/Miss Molly"/"Jenny Take A Ride") nach und bereitet damit den 'heimlichen' Headlinern Crosby, Stills & Nash Bühne wie Publikum stimmungsgerecht vor. Das abschließende "Takin' It To The Street" bringt dann noch mal alle an diesem denkwürdigen Abend beteiligten Künstler auf die Bühne zurück, mit dem Versprechen die Energie dieses Konzertes mit dem Publikum gemeinsam auf die Straße zu tragen...
WAA Wackersdorf Dieses Ereignis wurde von der deutschen Aktivistenszene nicht nur interessiert verfolgt. Nein, mit Hochspannung wartete man seinerzeit ungeduldig auf die Veröffentlichung. Zudem inspirierte es die Szene zu Veranstaltungen ähnlicher Art, wenn man nur mal an die Anti-WAAhnsinns-Festivals und die vielen kleinen phantasievollen Umsonst-und-Draußen-Festivals in den Achtzigern denken mag.
Die Triple-LP mit unzähligen Fotos und einem fantastischen Booklet, das u. a. Statements der Musiker zur Kernenergie enthält, war ein echter Hingucker. Schade, dass dieses Album in Vergessenheit geriet und das Konzert noch immer nicht auf DVD/Blu-ray erhältlich ist.
Abschließend bleibt noch meine Empfehlung, sich diesen Sampler - falls dies nicht längst geschehen ist - auf Vinyl zuzulegen. Auch wenn man sich bei der CD-Edition viel Mühe gegeben hat, ist der Sound besser und das Booklet kommt in Originalgröße natürlich ungleich besser zur Geltung!
Tracklist
CD 1:
01:The Doobie Brothers - Dependin' On You
02:Bonnie Raitt - Runaway
03:Bonnie Raitt - Angel From Montgomery
04:John Hall - Plutonium Is Forever
05:Doobie Brothers/John Hall/James Taylor - Power
06:James Taylor/Carly Simon/Graham Nash - The Times they Are A-Changin'
07:Graham Nash - Cathedral
08:Jackson Browne/Graham Nash - The Crow On The Cradle
09:Jackson Browne - Before The Deluge
10:Nicolette Larson/Doobie Brothers - Lotta Love
11:Ry Cooder - Little Sister
12:Sweet Honey In The Rock - A Woman
13:Gil Scott-Heron - We Almost Lst Detroit
14:Jesse Colin Young - Get Together
CD 2:
01:Raydio - You Can't Change That
02:Chaka Khan - Once You Get Started
03:James Taylor - Captain Jim's Drunken Dream
04:James Taylor - Honey Don't Leave L.A.
05:James Taylor/Carly Simon - Honey Don't Leave L.A.
06:Poco - Heart Of The Night
07:Tom Petty And The Heartbreakers - Cry To Me
08:Bruce Springsteen/Jackson Browne - Stay
09:Bruce Springsteen - Devil With The Blue Dress Medley
10:Crosby, Stills & Nash - You Don't Have To Cry
11:Crosby, Stills & Nash - Long Time Gone
12:Crosby, Stills & Nash - Teach Your Children
13:Doobie Brothers/James Taylor - Takin' It To The Street
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