Debbie Clarke / Manhattanhenge
Manhattanhenge Spielzeit: 52:04
Medium: CD
Label: Warner Music, 2012
Stil: Folklore Pop

Review vom 11.05.2012


Norbert Neugebauer
Wer sich beim Cover an die späte Beat-Ära und Sängerinnen wie Julie Driscoll, Sandy Shaw oder Mary Hopkin erinnert fühlt und beim Reinhören vor allem stimmliche Ähnlichkeiten mit der Letztgenannten entdeckt, der hat entweder diese Zeit noch gut in Erinnerung oder ist ein späterer Liebhaber jener goldenen Jahren, als 'Swingin' London' nicht nur modemäßig trendsetting war. Um diese Zeit begann auch die sehr erfolgreiche Produzentenkarriere von Tony Visconti, der dann für Bands/Künstler wie T Rex, David Bowie , Strawbs, Ralph McTell, Stranglers oder Thin Lizzy im Vereinigten Königreich maßgeblich mit an deren Sound schraubte. Und eben für jenes Fräulein Hopkin, deren größter Hit "Those Were The Days" 1968 wochenlang in Europa auf Nr. 1 in den Charts war und die er heiratete. Von ihr hat man schon lange nichts mehr vernommen und Viscontis große Jahre sind ebenfalls passé - auch 'Legenden' sollten wissen, wenn es Zeit ist, sich auf den Lorbeeren langzumachen. Manche wollen aber partout nicht und versuchen stattdessen mit allen Tricks, an ihre früheren Erfolge anzuknüpfen. Also was tut so ein alter Platten-Hund? Er sucht nach Künstlern, die wie früher klingen und die er in seinem Stil produzieren kann. Könnte klappen, klappt aber nicht immer.
In dem Fall, glaubt man der Selbstdarstellung, wurde er gesucht. Und zwar von Miss Clarke selber, per Email mit angehängten Proben ihres Könnens. Das furchtlose englische Mädel »auf dem Dorf in einem idyllischen Tal zur Grenze nach Wales aufgewachsen« hatte zunächst eine klassische Gesangslaufbahn eingeschlagen, dann jedoch ihre wahre Berufung als folkorientierte Popkünstlerin erkannt. Um damit auch auf einen grünen Zweig zu kommen, schien ihr die Anfrage bei Veteran Visconti im fernen New York State der rechte Weg. Die Antwort kam postwendend - »I love your voice, we should work together« und die Vermittlung an die Tochter, die in Cardiff zufällig ein Studio besitzt. Dann wurde viel geskypt, die Gesangsspuren aufgenommen und über den Teich geschickt, die Arrangements kamen 'made in Amiland' vom Maestro höchstpersönlich dazu. Das abgestimmte Resultat erhielt seinen Schliff in den Haus-Studios in London, wo Marc Bolan selig noch immer bei Vollmond auf seinem weißen Geisterschwan herumreiten soll. Schöne Geschichte.
»Das herausragende Ergebnis liegt jetzt in Form des Debüts vor, das die ungewöhnlichen Qualitäten Debbie Clarkes in der Produktion Viscontis perfekt zur Geltung kommen lässt« - können wir in den diversen medialen PR-Texten lesen. Die PR ist schon mal außergewöhnlich und ausgesprochen oppulent. Wir haben zum Besprechen zunächst kein verkaufskonformes CD-Exemplar bekommen, sondern ein spezielles Produkt, einen großformatigen auffaltbaren 'Folder' mit zwei Einschubtaschen. Die eine enthält den nummerierten und per Wasserzeichen gegen unbefugtes Kopieren gesicherten Musikträger, die andere eine DVD. Auf letzterer ist ein Video zum Eröffnungstrack, dem 'Making of' mit Interviews der beiden Protagonisten und eine kurze Story zum Werdegang der Künstlerin (auch auf der Homepage zu sehen) enthalten. Alles schön romantisch verbrämt und ohne weiteren Informationsgehalt. Extrem üppig das Werbeteil und auch noch gut illustriert. Allerdings nicht unbedingt praxistauglich. Es fehlen nicht nur Angaben zu den Musikern, sondern, was das Reviewen wesentlich mehr erschwert, eine Tracklist samt Credits. Man kann das schöne Teil auffalten und drehen wie man will, die Titelauflistung fehlt. Die findet sich zwar auf dem Datenträger selbst, aber was nützt das da, wenn man beim Hören drüber schreiben soll? So was liebt der Rezensent…
Das Album beginnt mit dem Leonhard Cohen-Song "Bird On A Wire", den das Duo zu einem starken, pulsierenden Ohrwurm mit Folkflair gemacht hat. Das hat wirklich was und hält, was vorher versprochen wurde. Pop der orchestralen Sorte, eine ausdrucksstarke Stimme, eingebettet in ein üppiges Arrangement. So war der Crossover Folkpop »with a classic touch« wohl gedacht. Die klassische Schulung lässt Debbie Clarke gekonnt und elegant durch die Partitur gleiten, ohne dass sie irgendwie nervig 'künstlerisch' aufträgt.
Aber leider nimmt der formidable Eindruck von Song zu Song ab. "Lay Down" geht auch noch ab und hat eine schöne Hookline. Aber dann kommt der Schmalz und zwar ganz dick - "Love Me Somebody". "Brave Little Bird" ist da eine kleine Ausnahme, ein einfacheres Pop-Liedchen ohne den großen Bombast, das zeigt, wie es gehen könnte, wenn es schon so aufgezuckert sein soll. Auch das spätere, flotte "Let The Bells Ring Out" mit seinem Country-Touch gehört zu den besseren. Klasse hat zweifelsohne die Stones-Nummer "Saint Of Me" - ein souliges Pop-Opus im Stil der Spätsechziger - "Ode to Billy Joe",Son Of A Preacher Man oder "MacArthur Park" lassen grüßen. Halbwegs einverstanden wird Autorin Janis Ian mit der psychedelisch-folkigen "Society's Child"-Version sein, das dürfte auch für Del Amitri und "Nothing Ever Happens" zutreffen. Aber das war's dann auch bei viel gutem Willen. Die schlimmsten Nummern sind die pappig-melancholischen Schnulzen-Cover "I Pity The Poor Immigrant" und "Dear Landlord"; aus den puristischen Vorlagen des Singer/Songwriter-Denkmals haben Clarke/Visconti übelsten Folklore-Kitsch gemacht. "I Believe in Love" und "To Me You Are Work Of Art" sind vom gleichen Kaliber. Der Rest ist sentimentaler Mädchen-Pop der gängigen Art.
Zwar bleibt die klassisch ausgebildete Stimme in diesem Zuckerbäckerland stets souverän und behauptet sich geschmeidig in ihrer Plüschverbrämung, aber die Stücke sind hoffnungslos überarrangiert - Chöre, Streicherarrangements, Instrumente, Firlefanz ohne Ende. Debbie Clarke hat ein Riesentalent als Sängerin, ihr einziger hier selbst verfasster Titel "Brave Little Bird" lässt auch auf eine gute Songschreiberin hoffen, aber die Zusammenarbeit mit dem 'großen' Tony Visconti hat leider nicht zu dem erhofften Ergebnis geführt. Zumindest nicht bei diesem Debüt. Der versprochene Folkpop wird größtenteils vom Arrangeursbombast erdrückt. Schade drum. Mädel, such Dir einen anderen 'Gönner', jedoch keinen mehr vom Rentnerclub 'Those were the days'! Aber auch so, Folks - hört euch dieses Mädel an!
Tracklist
01:Bird On A Wire (3:58)
02:Lay Down (3:56)
03:Love Me Somebody (3:31)
04:Brave Little Bird (3:06)
05:I Believe In Love (3:31)
06:I Pity The Poor Immigrant (3:37)
07:Let The Bells Ring Out (3:40)
08:Dear Landlord (3:27/
09:Saint Of Me (4:12)
10:Society's Child (3:19)
11:Nothing Ever Happens (4:07)
12:To Me You Are A Work Of Art (3:40)
13:The Music Boat (3:53)
14:Love Keeps Growing
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