Oh, welch nette Aufgabe erschließt sich hier dem geneigten Rezensenten:
Eine DVD aus dem Jahre 1986, wo ein Konzert eines gewissen Eric Clapton beim traditionsreichen Montreux Jazz Festival erstmals dokumentiert wird, sieht mensch einmal von einem bereits vor knapp 20 Jahren erschienenden Bootleg-Dreierpack ab. Am 09. Juli besagten Jahres war EC noch als 'Special Guest' für Otis Rush aufgetreten, einen Tag später stand er bereits in eigener Sache auf der Bühne und präsentierte seinerseits 'Special Guests' in seiner Band, allen voran sein damaliger Produzent und Buddy Phil Collins, des weiteren die US-Amerikanische 'Modernisierungsfraktion' Nathan East und Greg Phillinganes. Alle vier hatten gerade das Album "August" eingespielt. Dieses ist nun wiederum mehr oder weniger das Lieblingsobjekt aller Bewahrer der wahren claptonischen Werte.
Wurde schon vehement dem ebenfalls von Phil Collins produzierten "Behind The Sun" (1985) ein vermeintlich belangloser popmusikalischer Frevel attestiert, so war mit "August" das Ende der Fahnenstange jeglicher musikalischer Toleranzgrenzen erreicht - die Altfans wandten sich angeblich mit Grausen ab, dafür gab's plötzlich wieder jede Menge Jungfans. Entsprechend sahen und sehen auch gerne die Einschätzungen der damaligen Live-Darbietungen aus.
Tatsächlich befand sich Eric Clapton Mitte der 80er an einem Scheideweg, die letzten Jahre hatten wenig Erfolgreiches hervorgebracht, die Alkoholsucht forderte endgültig ihren (auch gesundheitlichen) Tribut. So kämpfte er zu dieser Zeit darum, trocken zu werden und zu bleiben, und gleichzeitig galt es, die kommerzielle Erfolglosigkeit zu überwinden. Entsprechend groß war auch der Druck der Plattenfirma. Hier einen Produzenten namens Phil Collins ins Spiel zu bringen, machte aus damaliger Sicht absolut Sinn, denn alles, was der Genesis-Trommler und -Krakeler zu der Zeit anfasste, wurde umgehend zu Gold (bzw. Platin). Zusätzlich wurden Nathan East aus der L.A.-Session-Szene und Greg Phillinganes aquiriert, der schon beim Michael Jackson Kassenknüller "Thriller" mitgewirkt hatte.
Sorgte bereits Claptons Auftritt beim Band Aid-Spektakel für ein deutliches Lebens- und Ausrufezeichen, so erspielte er sich bei den folgenden Touraktivitäten ein in Teilen durchaus neues und zahlreiches Publikum.
Dieses ist auch bei der mir vorliegenden DVD zugegen und ich rufe mir fast zwangsläufig ins Gedächtnis, dass der Band Aid-Auftritt Claptons und die viel diskutierte "August"-Scheibe ebenfalls für mich der Startschuss waren, sich wesentlich eingehender mit diesem Musiker zu beschäftigen. Das Vinyl lief sich damals auf meinem Plattenspieler wund und gerade das außerordentlich melodiöse, flüssige wie prägnante Gitarrenspiel Claptons hatte es mir angetan. Aber auch die flotten, leicht konsumierbaren, rhythmisch sehr gefälligen Songs wussten zu gefallen. Sie nutzten sich komischerweise gar nicht ab, klangen frisch und auf der Höhe der Zeit. Der damaligen Zeit wohlgemerkt. Wer wollte es dem Künstler verübeln?
Was schert mich denn dieses Gejaule um irgendwelche indiskutablen Effektgeräte, unsäglichen Keyboardkleister und einen angeblich nervigen Schlagwerker Collins, der zu allem Überfluss auch noch die Produktion versaut haben soll. Vollkommender Quark, damals hat dieses Produkt so gut gepasst, wie Claptons maßgeschneiderte Armani-Klamotten.
Und jetzt lässt sich mit "Live At Montreux 1986", kurz vor der Veröffentlichung von "August" stattfindend, wunderbar und exemplarisch in Bild und Ton nachvollziehen, wie hervorragend und stimmig diese für ECs Verhältnisse sehr kleine Band auf der Bühne für Spiellaune, Dynamik, Energie, Esprit, Virtuosität und Kompaktheit gesorgt hat. Hier wirkt aus meiner Sicht nichts angestaubt, außer dem für heutige Ohren befremdlichen Sound. Er lässt sich mit geschlossenen Augen und ohne jede Information zu 100 % den Achtzigern zuordnen und erfüllt somit nicht den Tatbestand der Zeitlosigkeit. Aber ich gehe jede Wette ein, hätte EC damals vom Instrumentarium/von der Produktion her zeitlos geklungen, ihm wäre die Keule des Ewiggestrigen und Stillstandsmusikers entgegen geschleudert worden.
Stattdessen entpuppen sich gerade die beiden erstmals seit Cream-Tagen wieder dargebotenen "Crossroads" und "White Room" als wenig ereignisreiche Langweiler. Sie passen irgendwie nicht in den ansonsten so flüssigen und frischen Gesamtkontext.
EC selbst sieht nicht wirklich frisch aus, zu deutlich haben sich die Spuren des jahrzehntelangen Drogenmissbrauchs im Gesicht festgesetzt - und das mit lediglich 41 Jahren. Aber er versprüht Freude und Engagement, nicht immer selbstverständlich im Schaffen dieses Mannes. Rein optisch könnten alle vier problemlos bei Miami Vice auftreten, auch musikalisch ließe sich einiges in die einstige Kultserie einbauen, von der heutzutage sogar die Wiederholungen frühzeitig aus dem Programm genommen werden. Vielleicht eine Parallele zum "August"-Album, damals hip und heute nur noch peinlich, seltsam.
Wir bekommen insgesamt vier Stücke vom 'Albuma non grata' geboten, ein fünfter, der gespielt wurde ("Run"), fehlt unverständlicherweise.
Mit "I Wanna Make Love To You" gibt es gar eine Rarität. Angekündigt als Bestandteil des neuesten Albums fehlte die Nummer auf selbigem und fand sich lediglich auf einer 12"-Single als zweite B-Seite von "Behind The Mask" (1987) wieder. Tja, soweit zum Erfolgsdruck und der Einflussnahme des Künstlers auf die Veröffentlichungspolitik seines Labels. Im Prinzip allerdings völlig unverständlich, denn dieser gefühlvolle Song vom Hitschreiber Jerry Williams kann durchaus überzeugen und hat klassisches Hitpotential.
"Behind The Mask" ist dagegen ein Track von Greg Phillinganes, den dieser ursprünglich für Michael Jacksons "Thriller"-Album geschrieben hatte, um ihn schließlich auf seinem zweiten Soloalbum "Pulse" (1984) unterzubringen. In Montreux ist dieses Stück ein Leadgesangsspotlight für den quirligen Tastenvirtuosen und sorgt mit einer schmissigen Tanzeinlage (zusammen mit Nathan East) für belustigtes Schmunzeln.
Richtig gelungen ist dann der nahtlose Übergang zum Klassiker "Badge", den ich selten derart mitreißend gehört habe. Auch solche 'Kamellen' wie "Let It Rain" oder "Layla" (interessante und deutlich veränderte zweite Hälfte des Klassikers) kommen richtig strahlend, funkelnd und vor allem kompakt rüber, der Gitarrensound mag dabei Geschmackssache sein, für mich hat EC zu der Zeit erst so richtig seinen definitiv nicht nachzuahmenden 'Ton' gefunden/entwickelt, der heute in seiner entschlackten Form ein wahrer Klassiker ist.
Weitere Highlights sind das fantastische "Same Old Blues" von "Behind The Sun", wo Greg Phillinganes und Nathan East jeweils brillieren dürfen, wobei letzterer den Beitrag dafür leistet, auch auf einem Jazz-Festival dabei sein zu dürfen, "In The Air Tonight" als Spotlight für den ansonsten mannschaftsdienlich agierenden Phil Collins (meines Erachtens nach wie vor die Nummer von Collins überhaupt) und ein herzerweichendes "Holy Mother".
Vermutlich wären die beiden Stücke der Zugabe in Verbund mit Robert Cray ("Ramblin' On My Mind" und "Have You Ever Loved A Woman") ein weiteres Festessen, speziell für die Liebhaber des bluesigen Clapton, allein, sie fehlen auf dieser DVD. Unfassbar, hatten die Kameraleute ihr Equipment bereits eingepackt? Da es auf der Disc keinerlei Bonusmaterial gibt, ist dieser Teil des Konzerts wohl leider für die Nachwelt für immer verschlossen.
Ansonsten haben die Kameraleute, Ton- und sonstige Techniker allerdings einen guten Job gemacht. Das Bild ist standardgemäß, die Kameraführung angenehm unhektisch, das wesentliche Treiben auf der Bühne wird eingefangen, teilweise in schönen Detail- und Nahaufnahmen, aber auch das Publikum wird entgegen mancher im Internet zu lesender Beschreibung nicht vergessen. Die Umschnitte sind zwar vorhanden, aber noch nicht MTV-verseucht. So wird die ganze Atmosphäre ziemlich authentisch vermittelt.
Der Ton kommt knackig präzise (PCM Stereo) und wenn ich im Deutschen Clapton-Forum
lese, dass der Sound auf einer »fetten Anlage sehr leise, etwas flach mit wenig Dynamik« käme und am »Mackie-Mixer an der Klangregelung geschraubt« wird, »und es nicht so recht besser wurde« ( Pickslow), dann empfehle ich als alter Zweikanalfreak einen vernünftigen Amp ohne Klang- oder Balanceregler, einen CD-Player oberhalb der Güteklasse 'ich habe alle am Markt befindlichen Ausstattungsmerkmale', eine sorgsame Aufstellung der Technik und vor allem Kabel und Netzleiste, die nicht im Baumarkt oder den Geiz-ist-geil-Märkten zu finden sind. Die Belohnung ist ein feiner, detailreicher, relativ trockener Sound, der dem Live-Erlebnis beim Abspielen dieser DVD recht nahe kommt
Fazit:
Ich wäre damals gerne dabei gewesen. Wer behauptet, einen Gig von EC gesehen und damit quasi bereits alles erlebt zu haben, was der Künstler hergibt, hat irgendetwas nicht verstanden.
Die DVD ist ein schönes und wertvolles Dokument einer bestimmten und nicht unwichtigen Phase in der Laufbahn eines außergewöhnlichen Gitarristen und Musikers, der Zeit seines Lebens ein ständiges Auf und Ab erlebte, menschlich wie künstlerisch. So gibt es bis heute wohl kein einziges Soloalbum von ihm, welches ohne Ausnahme restlos begeistern könnte. Auch seine Konzerte garantieren keine 120 Minuten außerirdischen Vergnügens. Aber dieses hier gehört garantiert zu seinen ereignisreicheren.
Und es bietet einen wesentlich umfangreicheren Einblick in das Tourschaffen jener Zeit, als die ebenfalls erhältliche DVD "Eric Clapton & Friends - Live 1986" (aufgenommen am 15.07. im NEC Birmingham), die lediglich neun Songs offeriert, wobei "Run" der einzige ist, der auf "Live At Montreux 1986" aus welchen Gründen auch immer nicht vertreten ist. Genau dies, im Verbund mit dem Fehlen der beiden Zugaben mit Robert Cray, ist eigentlich der einzige Kritikpunkt, den sich diese Veröffentlichung gefallen lassen muss.
Line-up:
Eric Clapton (guitars/lead vocals)
Greg Phillinganes (keyboards/vocals)
Nathan East (bass/background vocals)
Phil Collins (drums/vocals)
Tracklist |
01:Crossroads
02:White Room
03:I Shot The Sheriff
04:I Wanna Make Love To You
05:Miss You
06:Same Old Blues
07:Tearing Us Apart
08:Holy Mother
09:Behind The Mask
10:Badge
11:Let It Rain
12:In The Air Tonight
13:Cocaine
14:Layla
15:Sunshine Of Your Love
16:Further On Up The Road
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Externe Links:
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