Klimpern für die Rente
Eric Clapton hat ein neues Studio-Soloalbum auf den Markt geworfen und entfacht prompt ein kontroverses Echo. Dabei macht der Mann doch eigentlich, laut seinen größten Kritikern, spätestens seit seinem 1974er Comeback mit "461 Ocean Boulevard" nichts anderes als biedere 08/15-Konsens-Mainstreammucke, anspruchslose Dauerberieselung für alle Supermärkte dieser Welt, aufgebrochen durch Bluesexkursionen, die die Welt angeblich nicht braucht - zumindest überwiegend.
Was also macht diesen vermeintlich stinklangweiligen Musiker so polarisierend?
Sind es die 60er-Romantiker, die auf ewig beim Namen Eric Clapton bei den Yardbirds, John Mayall, Cream und Blind Faith stehen geblieben sind, letztere freilich als gnadenlos überbewertet erachtend, sind es die Bluespuristen, die einen ständigen Ausverkauf desselben beim Namen Eric Clapton wittern, sind es die Hausfrauen und -männer dieser Welt, die penetrant Ohren- und Gemütsschmeichler wie "Wonderful Tonight" oder "Tears In Heaven" auf der Speisekarte haben wollen, sind es die Konzertgänger, die einfach den Bühnen- Eric im Studio schmerzlich vermissen, sind es all die Neider, die einem vermeintlich durchschnittlichen Gitarristen den Erfolg nicht gönnen, weil es eben zig andere Saitenartisten gäbe, die meilenweit besser wären oder sind es die Freunde gehobener Sangeskunst, die dem guten Eric es schon immer nahelegten, es mit selbigem doch bitte zu lassen?
Schon die Soziologie stellt seit jeher Monokausalitäten in Frage und somit dürften die Gründe genauso vielschichtig sein wie die Person Eric Clapton selbst. Schlicht "Clapton" nennt er sein neues Werk, wohlwissend, dass er längst zu einem Markenartikel mutiert ist.
Doch im Herbst seines Lebens schert ihn der Markt an sich nicht die Bohne. Im Grunde will er niemanden der obigen Aufzählung erreichen, nein, vielmehr spielt er Personen vor, die sein Leben in besonderer Weise geprägt haben, seiner Großmutter, seiner Mutter, einem Onkel. Es wird Musik zelebriert, die im historischen Kontext teilweise noch weiter zurückreicht, als es seine große Inspirationsquelle Robert Johnson
tut.
Und damit liefert er ein Album ab, welches nicht rockt, nicht rollt, keinen Pop, keinen Folk, keinen Soul, keinen Funk oder sonst etwas, ja, schlicht gar keinen Schmiss bietet. Stattdessen wird sich hier stilsicher, kompetent, geschmackvoll, leichtfüßig, elegant und doch eine Spur zu routiniert durch eine Art Barblues mit jazzigen und New Orleans-inspirierten Einsprengseln gezupft, geklimpert, getrötet und gecroont, allerdings in ganz großer Besetzung, die erstaunlicherweise nie überfrachtet daherkommt. Reduktion trotz großem Orchester lautet hier die Devise und der vermeintliche Gitarrengott schwingt sich dabei zu erstaunlich wenigen wie sparsamen Gitarrensoli auf, stattdessen gibt er im Rahmen seiner Möglichkeiten den (ge)reif(t)en Crooner, den Spiritus Rector im Bemühen, den genannten drei Personen eine große Freude zu bereiten und der sonstigen Öffentlichkeit eine würdig interpretierte Geschichtsstunde zu bescheren.
Dieses gelingt durchaus, auch Dank einer endlich mal angemessenen Produktion mit warmem, fast schon analogem Klang und herrlicher Transparenz. Seine Mitstreiter sind über alle Zweifel erhaben; wie sich sein 'Ziehsohn' Doyle Bramhall II
entwickelt ist sehr bemerkenswert und sein ehemaliger Hitlieferant J.J. Cale
bringt eine höchst authentische Coolness-Note ein … und doch krankt dieses Werk daran, dass es die Spannung einer abgezogenen Bananenschale versprüht. Etwas boshaft gesagt ist das Ganze ein rezeptfreier Schlaftablettenersatz ohne Nebenwirkungen und Suchtgefahr. Noch nie war der Spitzname 'Slowhand' besser auf eine Musikproduktion zu Projektzieren wie hier!
Der Schreiberling dieser Zeilen hat in seiner Vergangenheit über das allseits verrissene "August"-Album (1986) Zugang in die claptonische Welt bekommen, ein in Teilen verdammt schmissiges Pop Rock-Album, produziert im Kontext des Zeitgeistes, einen (Erst-)Zugang über das aktuelle "Clapton"-Album zu bekommen, halte ich, ganz subjektiv betrachtet, für annähernd unmöglich!
Aber genau dies ist vermutlich auch gar nicht mehr Eric Claptons Intention. Er muss sich selbst und uns nichts mehr beweisen. Schon lange nicht mehr. Er hat das große Glück, nur noch das machen zu müssen, wozu er gerade Bock hat, und das ist schlicht und ergreifend in den letzten Jahren eine umfassende Aufarbeitung seiner gesamten Vergangenheit. Mit 65 ist jetzt mehr oder weniger das offizielle Rentenalter erreicht, "Clapton" wird selbige garantiert etwas aufstocken, die Familie wird es freuen und der Rezensent wird sich, wenn seine eigene zur Nacht gebettet ist, dieses Werk mal bei gutem Rotwein und noch besseren Kopfhörern zu Gemüte führen, hoffentlich ist das Sofa bequem genug!!!
Line-up:
Eric Clapton (guitar, vocals)
Doyle Bramhall II (guitar - #1, 4, 7, 8, 10, 12, 13)
Jim Keltner (drums & percussion - #1, 4, 5, 7, 8, 10, 12, 13)
Willie Weeks (bass, upright bass - #1-5, 7-10, 12, 13, 14)
Derek Trucks (slide guitar - #2, 13)
Walt Richmond (Hammond, Wurlitzer, piano - #1-14)
JJ Cale (guitar & vocals - #3, 8, 9)
Kim Wilson (harmonica - #4, 7)
Allen Toussaint (piano - #6, 11)
Wynton Marsalis (trumpet - #5, 6, 11)
Trombone Shorty (trumpet, trombone - #6, 8, 11)
Sheryl Crow (vocals - #10)
Abe Laboriel Jr. (drums - #2, 14)
Jeremy Stacey (drums - #3, 10)
Herman Labeaux (drums - #6, 11)
Greg Leisz (pedal steel guitar - #3)
James Poyser (Hammond - #3, 8)
Paul Carrack (Hammond - #9)
Sereca Henderson (Organ - #10)
Chris Severan (upright bass - #6, 11)
Steve Riley (accordion - #8)
+ unzählige Hörner und Blasinstrumente aller Art, unzählige BackgroundsängerInnen, u.a. Nikka Costa (- #2, 10, 13) Terry Evans (- #4, 8) Arnold McCuller (- #4, 8) & Willie Green Jr. (- #4, 8) sowie das London Session Orchestra (- #3, 5, 9, 10, 14)
Tracklist |
01:Travelin' Alone - Melvin 'Lil Son' Jackson
02:Rocking Chair - Hoagy Carmichael
03:River Runs Deep - J.J. Cale
04:Judgement Day - Snooky Pryor
05:How Deep Is The Ocean - Irving Berlin
06:My Very Good Friend The Milkman - Johnny Burke/Harold Spina
07:Can't Hold Out Much Longer - Little Walter
08:That's No Way To Get Along - Robert Wilkins
09:Everything Will Be Alright - J.J. Cale
10:Diamonds Made From Rain - Doyle Bramhall II/Justin Stanley/Nikka Costa
11:When Somebody Thinks You're Wonderful - Harry Woods
12:Hard Times Blues - Lane Hardin
13:Run Back To Your Side - Eric Clapton/Doyle Bramhall II
14:Autumn Leaves - Joseph Kosma /John Mercer/Andre Prevert
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Externe Links:
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