Arizona. Ich bin in Arizona. Es sind mindestens 40 Grad im Schatten und die
Luft ist trocken und staubig. In diesem 55-Häuser-Kaff habe ich es mir
heute am kühlsten Plätzchen das zu finden war, der Veranda des einzigen
Salons im Umkreis von 38 Meilen, bequem gemacht. Den Stechfliegen geht es
heute prächtig und die servierten Biere werden automatisch vom Barkeeper
mit Eiswürfeln gefüllt.
Irgendwann an diesem zeitlosen Nachmittag höre ich die ersten
Gitarrenklänge zäh wie Nebelschwaden von der Bühne des Salons auf die
Veranda gekrochen kommen. Oh nein, nicht schon wieder diese Bande. Die
machen das jeden Tag!! Nicht, dass sich hier irgendjemand dafür
interessieren würde. Ihre einzige Entschuldigung ist, dass es ja sonst
nichts zu tun gibt. Also gut, schließlich hab' ich mir das noch nie
angehört. Mit einem Seufzer setze ich meine vom Nichtstun müden Knochen in
Bewegung und schlurfe in den Barroom. Außer dem Barkeeper ist niemand da,
außer Stan, der zwar immer jede Menge zu erzählen hat, mich aufgrund
seines Sprachfehlers aber ständig nur mit dunklen Ahnungen zurücklässt,
worum es eigentlich geht. Nein, zu anstrengend und heiß heute, ich such'
mir 'nen anderen Tisch.
Oh nein, da sitzt auch noch Dave, der sich wie meistens bereits zum
Frühstück hier eingefunden hat und sich deshalb schon in bedrohlicher
Schieflage befindet. Konversation zwecklos. Ich mache mich also mit dem
Gedanken vertraut, meine Aufmerksamkeit heute mal einzig und allein der Band
widmen zu können.
Die legt mit dem "T-Bone Shuffle" los und hat mich, zu meiner Verblüffung,
spätestens beim zweiten Song "Nowhere To Run" total an der Angel. Mann, das
groovt und swingt ja wie die Hölle. Wer zum Teufel sind diese Knaben
eigentlich? "Keine Ahnung" lallt mir Dave von halblinks zu. Aaahm, ja, hab'
ich mir gedacht, Dave. Je länger die Jungs spielen, desto mehr ziehen sie
mich in ihren Bann und desto mehr will ich es wissen.
CUT! SCHNITT!! Aus der Traum. Ich finde mich in meinem Wohnzimmer im kalten
und verschneiten Norden wieder und suche nach der DVD-Hülle, die aber
leider außer den Songtiteln so gut wie nichts hergibt. J.J.Cale ist der
Mann an der atemberaubenden Gitarre, der so singt, als hätte man ihn ca.
fünf Minuten vorher aus dem Tiefschlaf geweckt und der deshalb etwas, sagen
wir mal 'grantig', wirkt. Seine Gitarre kann er aber wohl im Schlaf spielen,
denn die spritzt nur so vor Elan, Feeling und Einzigartigkeit.
Dazu haben wir Leon Russell, abwechselnd am Piano und Keyboard, oder bei
einem Song auch mal an den Drums (hoppla, nicht unbedingt SEIN Instrument),
bei dem man mal wieder, wie eigentlich immer, nicht so genau weiß, ob seine
letzte 'Medikamenten-Zufuhr' diesmal einen Tick zu viel für ihn war, oder
ob er doch einfach nur ZU cool für diese Welt ist. Einfluss auf sein
facettenreiches Spiel hat dies jedoch nicht. Im Gegenteil! Und wenn Leon bei
"I'm Goin' Down" oder "Corina, Corina" den Gesang übernimmt, bekommt man
erst mal eine Idee, was die Musik von J.J. Cale alles hätte reißen können,
wenn er sich entschieden hätte, einen 'richtigen' Sänger die Vocals
übernehmen zu lassen. Aber ich glaube, das war nie gewollt. Im Prinzip hat
er aus seiner Unfähigkeit zu singen eine Kunst gemacht, bzw. so seinen
ureigenen Stil geprägt. "Take It Or Leave It" ist der unausgesprochene
Satz, der auf seiner Stirn geschrieben steht. Und er kann es sich aufgrund
seines phänomenalen Gitarrenspiels auch leisten.
Aufgenommen wurde diese Session in einem (Fernseh-?) Studio ohne Publikum.
Das macht die ganze Angelegenheit aber eher noch intimer und es wird
zwischen den Songs auch gerne mal das ein oder andere Späßchen gemacht.
'Steril' ist ein Begriff, den diese Jungs mit Sicherheit noch nie im Leben
gehört haben. Der Begriff 'Americana' hat mir zwar vorher noch nie was
gesagt, ist aber der erste, der mir beim staunenden Betrachten dieser DVD
einfällt. Dargeboten wird eine geniale Mischung aus Rock, Blues,
Rock'n'Roll, Country und Bluegrass. Vielleicht ist es hier auch angepasst,
die Schublade 'Desert Rock' zu strapazieren. Die Klassiker bzw. Hits fehlen
natürlich nicht. Dennoch ist es fast unmöglich, einen oder mehrere Songs
herauszuheben, da jeder einzelne eine einzigartige Magie versprüht.
Und für Dave spielt es sowieso keine Rolle mehr, da er mittlerweile
kopfüber im bestellten, aber nicht angerührten, Steak liegt, die
Stechfliegen um seinen aufgedunsenen Kopf kreisen und seine
Old-Grandad-Flasche fast leer ist.
Und ich bin auch schon lange wieder in Arizona , in diesem 55-Häuser-Kaff,
und frage mich, ob die Jungs von Lynyrd Skynyrd oder Eric Clapton (die sich
mit J.J.Cale Songs wie "Call Me The Breeze" und "I Got The Same Old Blues
Again" bzw. "Cocaine" und "After Midnight" ein kleines Vermögen verdient
haben) jemals in diesem Nest haltgemacht haben.
Die Show ist vorbei und jetzt kommt Stan, wild gestikulierend und mit einem
alkoholgeschwängerten Gang, der das Ausmaß seines Sprachfehlers sogar noch
übertrifft, auf mich zugetaumelt und will mir wahrscheinlich genau die 37
Geschichten erzählen, die er im Laufe des Tages dem Barkeeper, der
mittlerweile in einem apathischen Zustand vor sich hindämmert, zugemutet
hat. Schwing' die Hufe Markus, höchste Zeit das Etablissement zu wechseln!!
Klar ist auf jeden Fall, dass ich morgen wieder komme, denn diese Bande
spielt hier jeden Tag. Schließlich gibt es ja sonst nichts zu tun.
Sound:5.1 Dolby/Digital, 5.1 DTS/Dolby by stereo
Kein Ländercode
Spielzeit: ca. 80 Min, Medium: DVD, classicpicturesus, 2002 (1979)
1:T-Bone Shuffle 2:Nowhere To Go 3:Cocaine 4:Ten Easy
Lessons 5:Sensitive Kind 6:Hands Off Her 7:Lou-Easy-Ann 8:Going
Down 9:Corina, Corina 10:Roll On 11:No Sweat 12:Crazy Mama 13:
Fate Of A Fool 14:Boilin' Pot 15:After Midnight 16:T-Bone Shuffle 17:T-Bone Shuffle Backwards 18:Same Ole Blues 19:Don't Cry Sister 20:Set Your Soul Free (Tell Me Who You Are) 21:24 Hours A Day
Bonus Tracks: 22:Call Me The Breeze 23:Ever Lovin' Woman 24:Katy
Cool Lady 25:Lies 26:Don't Wait
Markus Kerren, 03.02.2006
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