Vom unwiderstehlichen Charme des Unperfekten
Es gibt Sänger, die über das gewisse Etwas verfügen, was kein Gesangsunterricht dieser Welt vermitteln kann. Allein wir in Deutschland haben drei davon - alle mit millionenfach verkauften Scheiben dekoriert und in einer Zeit groß geworden, als es auf dieses berüchtigte 'Etwas' noch ankam. Würden diese Drei (deren Namen ich hier sicherlich nicht zu nennen brauche) sich heutzutage in irgendeiner, von irgendeinem Suppenkasper moderierten Casting-Show als hoffungsfroher Nachwuchs präsentieren, sie würden von diesen Hütern des schlechten Geschmacks mit Hohn und Spott davongejagd, anschließend noch medial genüsslich geteert und gefedert werden!
Unser Chappo wäre auch so ein Kandidat gewesen... Kein Zweiter hat derart schön so manchen Ton nicht getroffen und niemand hat sich daran gestört, weil man ihm währenddessen ganz tief in Herz und Seele blicken konnte. Sein brüchig-raues Timbre, in Verbindung mit diesem charismatischen Vibrato, war vielleicht nicht schön im herkömmlichen Sinne, aber grundehrlich und zutiefst glaubwürdig. Ja, früher hat man noch auf so etwas Konservativ-Althergebrachtes wie 'Glaubwürdigkeit' geachtet - heutzutage wird ebendiese viel zu oft für ein paar Minuten Airplay verhökert, bevor man von der Zuhälterschaft des Bizz' wieder ausgespuckt wird...
Eine bemerkenswerte Liebesbeziehung
Roger Chapman und seine deutschen Fans - das ist eine uralte Liebe, die nicht einen Hauch von Rost angesetzt hat. Warum? Das ist wohl eines dieser unerklärlichen Mysterien der Rockhistorie. Family war sicherlich hierzulande nur ein (wenn auch heißer) Insidertipp - die Streetwalkers floppten ebenso gnadenlos wie auf den anderen wichtigen Musikmärkten. Trotzdem bescherte Chapmans erstes Soloalbum, "Chappo", mehr als nur einen Achtungserfolg. Und wo nahm er seine erste DVD auf? Natürlich beim Hamburger Rockpalast, wo eigentlich sonst? Fast bezeichnend, dass keiner seiner eigenen Songs, sondern ausgerechnet eine Kooperation mit Mike Oldfield in unseren Breiten zu einem Riesenhit wurde. "Shadow On The Wall" ging sprichwörtlich durch die Decke - Groß und Klein, Hinz und Kunz pfiffen 1983 - dem Jahr, in dem die Welt am jähen Abgrund ( Able Archer) stand - dieses Lied begeistert mit. Und obwohl Chappo nie wieder einen vergleichbaren Erfolg nachlegen konnte, hielten ihm seine deutschen Fans bis heute die Treue - auch wenn es, wie zu Family-Zeiten, nun wieder eher die Insider sind...
Des Kaisers neue Kleider?
Was Roger Chapman nun bewogen haben mag, sein 2007er Album "One More Time For Peace" noch einmal neu einzuspielen? In des Kaisers neuen Kleidern - nämlich nackt - steht er garantiert nicht da. Nicht nur, dass er drei frische Songs nachgelegt hat: Die alten, also die von 2007, haben nach wie vor Relevanz.... und das nicht nur, weil 'Frieden' derzeit so nötig wie lange nicht mehr ist! Diese Titel werden nun mit "Peaceology" noch einmal wirklich herzergreifend neu dargeboten. Von der 2007er Truppe sind erneut Chappos alte Buddies, Steve Simpson und Jim Cregan, sowie Micky Moody dabei - nun ergänzt um den alten 'Shortlister' Geoff Whitehorn. Zwei Organisten, Ian Gibbons und Roger Cotton, sowie zwei Pianisten, Max Middleton und Paul Hersh, setzen die weiteren wichtigen Akzente.
Ein beachtliches Alterswerk
Chappo muss keiner Menschenseele mehr etwas beweisen! Entsprechend abgeklärt und cool kann er mit einem der neuen Songs, "The 7th Floor ! Teach Me How It Walks", in "Peaceology" einsteigen. Ein entspannter Rootsrocker, der bemerkenswert 'amerikanisch' klingt. Überhaupt: Mehr als einmal schielt Chappo hier über den großen Teich. Flirrend-leichter Country Rock, wie in "All Too Soon" ( Simpson kratzt eine unwiderstehliche Fiddle) oder im Titelsong, und souliger Gospel, in (vor allem) "Oh Brother, Take Me Now" oder "Heading Back To Storyville", schleichen sich in den sonst so für Chapman typischen britischen R&B. Hinterm Horizont geht's eben weiter....
"EZ Train" entpuppt sich als rumpeliger Jamrocker, ein wenig nach Maultier-Art, und überzeugt ebenso wie der dritte neue Song, die stimmungsgeladene Pianoballade "The Only Rose". Die von einem herrlich knurrigen Bass getriebene, leider von etwas zu süßlichen Streichern untermalte Ballade "Hell Of A Lullaby" hat hervorragende Anlagen, reicht aber nicht ganz an mein Highlight, den eindringlichen Antikriegssong "Naked Hearts", heran.
Allerdings reißt der Spannungsbogen für meinen Geschmack mit dem zu geschmeidigen "Sweet Bird" und dem etwas wirren "Devil Gotta Son" zweimal empfindlich ab. Der stimmungsvolle Abschluss mit Englands wohl populärstem patriotischen Lied, "Jerusalem", versöhnt aber grandios über eventuelle, rein subjektiv empfundene Misstöne.
Alles andere als ein Grabstein!
Auch wenn das Cover ein wenig einem solchen ähnelt und der Frieden derzeit sprichwörtlich zu Grabe getragen wird: "Peaceology" präsentiert einen im vollen Saft stehenden 72-jährigen Shouter, der nichts von seinem Charisma eingebüßt hat. Die drei neuen Songs überzeugen allesamt und machen Lust auf ein neues Album von Chappo. Eine feine Weihnachtsüberraschung!
Line-up:
Roger Chapman (vocals)
Musicians:
Jim Cregan (electric, synth and acoutic guitars, programming, background vocals)
Steve Simpson (electric, synth and acoutic guitars, fiddle, mandolin, background vocals)
Micky Moody (electric, synth, acoutic and Dobro guitars)
Geoff Whitehorn (electric guitars, bass)
Tim Harries (bass)
Henry Spinetti (drums)
Paul Hersh (piano, organ)
Ian Gibbons (organ)
Max Middteon (piano)
Roger Cotton (organ)
Bobby Tench (background vocals)
Sonny Spider (harmonica, background vocals)
Tracklist |
01:The 7th Floor ! Teach Me How It Walks (4:44)
02:Oh Brother, Take Me Now (5:28)
03:EZ Train (4:50)
04:Hell Of A Lullaby (5:20)
05:All Too Soon (5:09)
06:The Only Rose (5:06)
07:Sweet Bird (3:46)
08:All Night Paradise (3:34)
09:One More Time For Peace (4:25)
10:Devil Gotta Son (4:37)
11:Naked Hearts (3:45)
12:Heading Back To Storyville (6:22)
13:Jerusalem (3:14)
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Externe Links:
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