Bob Dylan und The Band tourten relativ exzessiv in den Jahren 1965 und 1966, dazu nahm Bob sein (Doppel-) Studio-Album "Blonde On Blonde" (kurioserweise mit Studio-Musikern statt seiner Live-Band) auf. Er konsumierte in dieser Zeit Unmengen an Speed und verbrachte nicht selten drei Tage und Nächte am Stück ohne eine Minute Schlaf. Dann kam sein Motorrad-Unfall, der ihm die Gelegenheit bot, nicht nur seine Knochen, sondern auch seinen allgemeinen Gesundheits-Zustand wieder auf Vordermann zu bringen. In den frühen Monaten des Jahres 1967 trieben sich seine Begleitmusiker dagegen zwar immer noch in New York City rum, standen aber kurz davor, alles hinzuschmeißen und zurück nach Kanada zu gehen.
Bis zu einem Telefonanruf von Dylan, der ihnen vorschlug, zu seinem Wohnort West Saugerties, nur unweit von Woodstock, im Bundesstaat New York zu kommen. Da er ihnen auch eine wöchentliche Bezahlung garantierte und im Big Apple kaum was zu reißen war, nahmen die vier Musiker das Angebot dankend an. Nachdem die Herren Robertson, Danko, Hudson und Manuel ( Levon Helm war 1965 nach einem Streit mit Dylan ausgestiegen) sich dann in ein Haus, das sie voller Zuneigung wegen seiner außergewöhnlichen Außenfarbe 'The Big Pink' nannten, eingemietet hatten, traf man sich in der Regel ab März (die hier vorliegenden Aufnahmen entstanden in den Monaten Juni bis Oktober) jeden Morgen in Dylans Haus für Sessions, während sich die musikalischen Tätigkeiten am späten Nachmittag oder Abend in den Keller (Basement) von 'Big Pink' verlagerten.
Für den abgewanderten Levon Helm hatte Richard Manuel den Platz am Schlagzeug übernommen, aber gelegentlich und sehr gerne wurden die Instrumente auch komplett ausgetauscht. Der Keyboarder Garth Hudson war stolzer Besitzer einer 2-Spur Revox Maschine und beschloss, die lockeren Jam-Sessions einfach mal mitzuschneiden. Und um die Randgeschichte abzuschließen, darf auch nicht unerwähnt bleiben, dass die vier Kanadier etwa im Herbst des Jahres ihren alten Kumpel Levon Helm wieder kontaktierten, der nach fast zwei Jahren im 'musikalischen Ruhestand' nur allzu gerne bereit war, zu seiner alten Kapelle zurückzukehren.
Tja, und "The Basement Tapes" stellt sich, zumindest für mich, der das Album bisher noch gar nicht kannte, als wahre Wundertüte raus. Und das im positivsten Sinn. Die auf dieser Doppel-CD versammelten Songs stellen ein Sammelsurium von nicht nur sehr starkem Material, sondern auch außergewöhnlicher Musikalität, erfrischender Stil-Vielfalt sowie einer obergeilen Lockerheit dar, wie sie wahrscheinlich nur dann entstehen kann, wenn man keine ernsthafte Produktion vor Augen, sondern vielmehr Spaß an dem hat, was man da gerade macht.
Allem voran erwähnenswert sind hier Nummern wie "Goin' To Acapulco" und "Tears Of Rage", bei denen der davor zumeist neutral erzählerisch, höhnisch oder eher aggressiv agierende Mr. Zimmerman eine weder bis dahin, noch bis lange Zeit danach nicht gezeigte Verletzlichkeit in Form seines Gesangs zeigt, dass es einem geradezu die Nackenhaare aufstellt. Aber selbst dies ist lediglich eine der Facetten von "The Basement Tapes". Richard Manuel steht gesanglich kurz vor seinem Höhepunkt, die Rückkehr von Levon Helm macht sich (bei den zugegebenerm Maßen wenigen Songs vor Abschluss der Sessions, an denen er beteiligt war) mehr als nur positiv bemerkbar und auch der mehrstimmige, ineinander übergreifende Gesang, den The Band später auf ihren ersten beiden (und besten) Alben perfektionieren sollte, begann sich hier ("Ain't No More Cane") zu entwickeln.
Außerdem erstaunlich ist, wie viele dieser hier dargebotenen Nummern in den folgenden Jahren, wenn auch kaum von Dylan selbst, von anderen Größen offiziell veröffentlicht wurden. Allen voran und zu guter Recht natürlich die Stücke, die von den Mitgliedern der Band geschrieben und auf ihren eigenen Alben verwendet wurden, aber auch The Byrds haben sich mit z.B. "You Ain't Goin' Nowhere" und "Nothing Was Delivered" (beide auf dem Album "Sweetheart Of The Rodeo" zu finden) sowie "Wheels On Fire" (auf "Dr. Byrd And Mr. Hide") bestens bedient. Ebenfalls mehr als respektabel machte sich die Thunderclap Newman-Version von "Open The Door, Homer".
Eine Song-Perle reiht sich an die nächste. Neben den bereits erwähnten Stücken glänzen zum Beispiel Richard Manuels "Orange Juice Blues (Blues For Breakfast"), der seltene Gesangs-Auftritt von Robbie Robertson bei "Yazoo Street Scandal", Country-lastiges in Form von "Apple Suckling Tree" oder das sehr bluesige "Long Distance Operator". Wegen des Fakts, dass The Band ein Drittel der vorliegenden Tracks geschrieben und gesungen hat, hat man auch das Gefühl, es nicht mit Bob Dylan und seiner Begleitband zu tun zu haben, sondern vielmehr mit einer sechs Mann starken Einheit, die gleichwertig nebeneinander steht und spielt. "The Basement Tapes" ist nicht nur ein intimes wie musikalisch hochwertiges Stück Zeit-Geschichte, es ist aus meiner Sicht auch eines der besten Alben, die Dylan in den Sechzigern aufgenommen (aber nicht herausgebracht) hat.
Nachdem die Aufnahmen gegen Ende des damaligen Jahrzehnts bis in die Siebziger als "The Great White Wonder" in Bootleg-Form die Runde machten, entschied man sich schließlich im Jahr 1975, diese Geschichte offiziell in die Läden zu stellen. Es gab eine soundtechnische Überarbeitung, produziert mit (lt. Plattenfirma) nur wenigen Gitarren-Overdubs versehene Version von Robbie Robertson. Was auch bei dieser Ausgabe, die wie alle Dylan-Remasters in einem coolen Digi-Pack mit vielen neuen Liner-Notes erscheint, auffällt, ist der astreine (einmal mehr herausgeputzte) Sound, der das Anhören zu einem wahren Genuss macht.
"The Basement Tapes" kann man aus gutem Grunde als Klassiker einstufen, da hier einfach viel zu viele superbe Komponenten zusammenkommen, die sich als solche empfehlen. Ein kontinuierlich starkes Songwriting, wie man es in dieser Güte auf den kommenden vier-fünf Dylan-Alben so nicht wieder finden konnte, keine Studio-, sondern eine jahrelang eingespielte Band (mit allen Vorteilen, die das bringt) und einem losgelösten Protagonisten, die durch diese Lockerheit eine unvergleichliche Atmosphäre schafften.
Seltsam, wie es manchmal läuft! Denn wenn mir auch (bis auf ein oder zwei Ausnahmen) ansonsten alle Dylan-Alben bekannt sind, habe ich "The Basement Tapes" in den letzten Wochen zum ersten Mal kennen lernen dürfen. Eine Nachlässigkeit, der ich von nun an allerdings mehr als zur Genüge Rechnung tragen werde.
Line-up:
Bob Dylan (vocals, acoustic guitars, piano)
Robbie Robertson (electric & acoustic guitars, drums & vocals)
Richard Manuel (vocals, piano, drums, harmonica)
Garth Hudson (organ, clavinette, accordion, tenor sax, piano)
Rick Danko (vocals, electric bass, mandolin)
Levon Helm (vocals, drums, mandolin, electric bass)
Tracklist |
CD 1:
01:Odds And Ends (1:43)
02:Orange Juice Blues (Blues For Breakfast) (3:40)
03:Million Dollar Bash (2:30)
04:Yazoo Street Scandal (3:26)
05:Goin' To Acapulco (5:25)
06:Katie's Been Gone (2:49)
07:Lo And Behold! (2:43)
08:Bessie Smith (4:17)
09:Clothesline Saga (2:56)
10:Apple Suckling Tree (2:47)
11:Please, Mrs. Henry (2:31)
12:Tears Of Rage (4:17)
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CD 2:
01:Too Much Of Nothing (3:00)
02:Yea! Heavy And A Bottle Of Bread (2:14)
03:Ain't No More Cane (3:57)
04:Crash On The Levee (Down In The Flood) (2:06)
05:Ruben Remus (3:11)
06:Tiny Montgomery (2:51)
07:You Ain't Going Nowhere (2:39)
08:Don't Ya Tell Henry (3:12)
09:Nothing Was Delivered (4:22)
10:Open The Door, Homer (2:47)
11:Long Distance Operator (3:38)
12:This Wheel's On Fire (3:55)
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Externe Links:
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