Colin Irwin / Bob Dylan - Highway 61 Revisited
Ein Album schreibt Geschichte
Highway 61 Revisited Medium: Buch, gebundene Ausgabe, 332 Seiten, 20 Fotos
Originaltitel: Bob Dylan - Highway 61 Revisited, 2008
ISBN 9783941376175
EAN Code: 9783941376175
Verlag: Edel Books, 2010
Übersetzung: Eva Lepold
Preis: 19,95 Euro


Review vom 20.10.2010


Norbert Neugebauer
Was wurde nicht schon alles über Bob Dylan und sein Werk veröffentlicht. Bücher, Filme, Reportagen in allen möglichen Medien von mehr oder weniger seriösen Autoren und dazu Deutungen von Heerscharen selbstberufener 'Dylanologen', die alle versuchten, den 'Mythos Dylan' zu ergründen oder ihm zumindest auf die Spur zu kommen. Nach fast fünf Jahrzehnten bleibt wohl allen die Erkenntnis, dass der Meister bestenfalls in Details fassbar und ergründbar ist.
Und einem der wichtigsten 'Details' widmet sich das im September erschienene Buch von Colin Irwin, einem bekannten britischen Journalisten, der u.a. Biografien über die Dire Straits und Abba sowie einen Weltmusik-Führer geschrieben hat. Die Übersetzung ins Deutsche erfolgte von Eva Lepold. Das vor 45 Jahren erschienene Album "Highway 61 Revisited" zählt nicht nur innerhalb der umfangreichen Diskografie Dylans zu den bedeutendsten, sondern wird wohl ohne Ausnahme von allen Kritikern und entsprechenden Polls zu den herausragenden der Rockmusik-Geschichte gezählt. Die Wirkung dieser Produktion hält bis heute an.
Highway 61 Revisited AlbumUm die Bedeutung von "Highway 61 Revisited" zu verstehen und vielleicht auch unseren Lesern, die aus jüngerer Generation stammen, nahezubringen, ist ein Blick in die damaligen Zusammenhänge erforderlich. Der 24-jährige Dylan galt als die neue Leitfigur und das Sprachrohr der sehr ernsthaft betriebenen amerikanischen Folk Revival-Bewegung, die sich im jährlichen Newport Folk Festival statuierte. Mit der gerade entstehenden 'elektrischen' Rockmusik hatte das hauptsächlich akustisch operierende Genre überhaupt nichts am Hut. Dylan hatte aber gerade diese ihm aufgedrängte Rolle satt und sah in der Rockmusik ein viel besseres Vehikel für seine Gesellschaftskritik, aber auch seine zunehmend persönlichen Abrechnungen, verpackt in metaphernhafte Lyrik. Zudem gab sie ihm den künstlerischen Kick wieder, den er nach einer auslaugenden England-Tournee (dokumentiert im Pennebaker-Film "Don't Look Back") verloren hatte. Deshalb entschloss er sich kurzfristig, in Newport 1965 erstmals mit einer tags zuvor angeheuerten Rockband (bestehend aus Mitgliedern der Butterfield Blues Band) aufzutreten, was seinen persönlichen Wendepunkt der Öffentlichkeit unmissverständlich klarmachte. Damit (aber auch die Byrds, die seinen Song "Mr. Tamborine Man" als Rocknummer zum Hit gemacht hatten) läutete er insgesamt eine globale Wende in der populären Musik ein, die sich dann in dem nachfolgenden Album "Highway 61 Revisited" manifestierte.
Dylan nahm seine Newport-Begleiter Mike Bloomfield und Al Kooper mit ins Studio und spielte mit ihnen das epochale "Like A Rolling Stone" ein, das nicht nur mit sechsminütiger Länge, sondern auch mit seiner inhaltlichen Brisanz alles bisherige im Business auf den Kopf stellte. Mit dem vom Rolling Stone Magazine 2004 zum 'besten Song aller Zeit' gewählten Titel als damaliger Nr. 2-Shooting-Single startet auch das Album, das im August 1965 erschien. Es war allerdings keine Auskopplung, sondern stand am Anfang der Studioarbeit, in der dann Dylan und seine Mitstreiter die weiteren Songs entwickelten. Die waren handfester Rock, der erstmals die Roots, den Rock'n'Roll und eine Aussage verband, der sich grundlegend von den bisherigen Dreiminuten-Love Songs abhob. Das Buch beschreibt die sprunghafte Arbeitsweise des Maestros, der nachts und am Wochenende an den Nummern arbeitete und sie anschließend den Studiomusikern nur rudimentär vorstellte. Praktisch als intuitive Sessions wurden die Titel dann mit relativ wenigen Takes aufgenommen, wobei der Mastermind keinerlei Wert auf Soundfeinheiten legte, sondern die Power des Moments festhalten wollte.
Highway 61Irwin beschreibt nicht nur minutiös die Vorgänge im Studio, sondern ebenso ausgiebig und teils weitschweifig die weiteren Umstände, die zu diesen bewusstseinsverändernden Ereignissen jener Tage, festgehalten in "Highway 61 Revisited", führten. Er stellt den Kontext her, der musikalisch, aber genauso gesellschaftspolitisch eine komplette Veränderung bedeutete. So spiegelt das Werk eine Zeit des völligen Umbruchs wider, die über die Musik in nahezu alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens drang. Trotz der Detailfülle und der vielen Aspekte, die der Autor mitbeleuchtet, liest sich das Buch (auch dank der guten Übersetzung) recht flüssig und ist jedem Rockfan mit Interesse für Hintergrund(hier eher Basis-)wissen schwer zu empfehlen. Der 'Mythos Dylan' wird damit auch nicht entschlüsselt, aber das Buch liefert nach 45 Jahren einen Zugang zum Verständnis des späteren Werks und seines Lebens in der Öffentlichkeit. Gerade wegen der Zusammenhänge, in deren Mittelpunkt das Album stand und die es auslöste - Pflichtlektüre, nicht nur für Dylan-Fans!
Der 30-seitige Anhang u.a. mit dem weiteren Werdegang der Hauptprotagonisten, Coverversionsverzeichnis, Auflistung weiterführender Literatur, Register und Bildnachweis unterstreicht die umfassende Recherche und die sorgfältige Aufbereitung des Autors für dieses Buch.
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