Bob Dylan / New Morning
New Morning Spielzeit: 40:05
Medium: CD
Label: Columbia Records (Sony Music), 2009 (1970)
Stil: Classic Rock


Review vom 09.05.2009


Markus Kerren
Das Album "New Morning" markierte das Ende der (von mir jetzt einfach mal so genannten) zweiten Phase in Bob Dylans langer Karriere. Die erste endete nach einem angeblichen Motorrad-Unfall, um den sich die Dylan-ologen dieser Welt nach wie vor uneins sind. Etwa ein Drittel behauptet, dass besagter Unfall tatsächlich stattfand, ein weiteres Drittel ist davon überzeugt, dass es sich dabei um Fiktion und eine Vortäuschung falscher Tatsachen handelt, um sich zurückziehen und sich vor dem eigenen Exitus (durch immer gravierenderen Amphetamin-Genuss und ruheloser Arbeitswut) zu bewahren. Dazu bot sich dadurch endlich die Gelegenheit, weit offene Wunden lecken zu können, die seit Bobs elektrischer Phase und deren Ablehnung von den meisten seiner Folk-Fans klafften.
Der letzte Teil der Zimmermänner (aka Dylan-Fans), zu dem ich mich auch zähle, ist der Überzeugung, dass es eine Mischung aus beidem war. Wie dem auch sei, nachdem sich der Meister erstmal eine Weile zurückgezogen hatte (dazu in einem kommenden Review mehr), erschien 1968 das Album "John Wesley Harding", das vor allem durch Dylans 'neue' Stimme und eine mehr oder weniger starke Gewogenheit zum Country zunächst etwas irritierte, aber auch genügend Potential hatte, um überzeugen zu können. "Nashville Skyline" (1969) sprang dann noch viel stärker auf den Country-Zug auf und Dylan verblüffte die komplette Rock-Folk-Welt durch ein Duett ("Girl From The North Country") mit Johnny Cash.
Nach einem ziemlich kurzen, schwachen und eher lustlosen Auftritt als Headliner auf dem 1969er Isle of Wight-Festival mit The Band als Unterstützung, folgte 1970 das bis heute wohl ungeliebteste, meiner Meinung nach aber auch sträflich unterbewertete (Doppel-) Album "Self Portrait". Der Nachfolger dazu erschien (gerade mal vier Monate später) am 21.Oktober 1970 und nannte sich "New Morning". Der Grund, warum auch dieses Werk nicht als Meilenstein in his Bobness Karriere einging, ist relativ einfach zu begreifen. Ebenso, wie er selbst zu dieser Zeit ein Suchender bezüglich sehr vieler Dinge (u.a. dem Frieden und Glück innerhalb seiner Ehe) war, so unausgewogen, etwas orientierungslos und zusammengewürfelt erscheint auch die Zusammenstellung der insgesamt elf Tracks dieses Albums.
Aber auch wenn dies ein Fakt ist, dann wäre Dylan nicht Dylan, hätte er nicht auch hier grandiose Song-Perlen am Start. Den Anfang macht das, zuvor bereits George Harrison für sein Magnum Opus "All Things Must Pass" (ein Album, das Harrison künstlerisch nie mehr übertreffen konnte) zur Verfügung gestellte "If Not For You", das unter Lupen-Betrachtung textlich zwar ein relativ kitschiger Love-Song ist, historisch gesehen aber den Auftakt zur musikalischen Verarbeitung seiner zerbrechenden Ehe bildet. Eine Geschichte, die sich auch noch über die Alben "Planet Waves", "Blood On The Tracks" und "Desire" hinziehen sollte. Kitschig oder nicht, "If Not For You" ist dennoch ein Klassiker, zu dem man sicher nichts mehr weiter zu sagen braucht.
Eine weitere Perle ist "The Man In Me" (u.a. 1976 auf seinem Album "Stingray" auch von Joe Cocker sehr gekonnt gecovert). Das ist Bob Dylan zu seinem damaligen 'Best', gepaart mit Stücken wie zum Beispiel "Day Of The Locusts" oder dem sehr atmosphärischen "Went To See The Gypsy", bei denen der Meister einmal mehr unter Beweis stellt, dass er auch in künstlerisch wankelmütigen Zeiten immer noch eine kräftige Harke aus dem Ärmel zentrieren kann. Und gewissermaßen wankelmütig ist das Album "New Morning" tatsächlich. Völlig außer der Reihe sind hier Tracks wie das nahezu spirituelle, fast an einen Wander-Prediger erinnernde "Three Angels", der lupenreine Walzer (!!!) "Winterlude" oder auch der 'Naaawlins' (New Orleans)-Jazz mit starkem Dr. John-Einschlag, "If Dogs Run Free".
Noch mal anders ist das bluesige (schon eher von Dylan gewohnte) "One More Weekend". Ebenfalls Pluspunkte sammeln der Titel-Song und das leider viel zu kurze "Father Of Night", mit dem Manfred Mann bekanntlich dann einen Riesen-Hit in den Siebzigern hatte. Was Ray Cornelius, einer der Gitarristen auf "New Morning", später in einem Interview über die Sessions erzählte, erklärt diese von der Stil-Vielfalt her eher zerfahrene Angelegenheit dann etwas verständlicher.
»Dylan kam einfach ins Studio und wollte Spaß haben. Der hatte einen Fundus von etwa 200 Songs, entweder auswendig im Kopf oder in seinem berstenden Akten-Ordner! Er spielte einen Song einmal mit seiner Gitarre vor, wir Musiker passten gut auf und brachten alles zu Papier. Dann spielten wir es einmal zusammen und beim dritten Take, typischerweise plötzlich in vollkommen anderer Geschwindigkeit und Betonung, lief dann das Band mit. Wenn es dann immer noch nicht geklappt hatte, sagte er einfach "Okay, nächster Song….". Aber der Typ hatte Spaß im Studio und wenn man das als Session-Musiker merkt, dann legt man auch selbst gerne noch mal einen Gang extra zu«
"New Morning" ist sicherlich nicht Bob Dylans bestes Album, aber es ist definitiv ein sehr interessantes, das musikalisch bzw. stilistisch keine Berührungsängste kennt und mit den bereits erwähnten "If Not For You", "The Man In Me" und bedingt "Father Of Night" wahre Klassiker am Start hat. Nach dem von der breiten Masse so gehassten "Self Portrait" wurde diese Scheibe nach Erscheinen zwar nahezu in den Himmel gelobt, aber mit dem Vorteil des zeitlichen Abstands ist sie doch eher im qualitativen Mittelfeld von Dylans vielen Veröffentlichungen einzuordnen.
Oh, und bevor ich es wieder vergesse: "New Morning" kommt in dieser Neuauflage im limitierten Digipak und selbstverständlich remastertem Sound daher. Und speziell wegen dem Sound könnte sich diese Neuanschaffung lohnen, denn sie klingt zumindest um Welten besser, als die CD-Version von 1989, die ich bisher mein Eigen nannte.
Nach "New Morning" gab es dann wieder eine (viel zu) lange Veröffentlichungspause, die erst im Jahr 1974 mit einem neuen Studio-Album und einer großen Tour (samt daraus resultierendem Doppel-Album) enden sollte. Aber dazu an anderer Stelle mehr!
Line-up:
Bob Dylan (vocals, acoustic- & electric guitars, organ, piano)
David Bromberg (electric guitar, dobro)
Harvey Brooks (bass)
Ray Cornelius (electric guitar)
Charlie Daniels (bass)
Buzzy Feiten (electric guitar)
Al Kooper (organ, piano, electric guitar, french horn)
Russ Kunkel (drums)
Billy Mundi (drums)
Hilda Harris (background vocals)
Albertine Robinson (background vocals)
Maretha Stewart (background vocals)
Tracklist
01:If Not For You
02:Day Of The Locusts
03:Time Passes Slowly
04:Went To See The Gypsy
05:Winterlude
06:If Dogs Run Free
07:New Morning
08:Sign On The Window
09:One More Weekend
10:The Man In Me
11:Three Angels
12:Father Of Night
Externe Links: