Was denn, NOCH ein Buch über Bob Dylan? Nicht ganz, denn bei "No Direction Home" handelt es sich vielmehr um eine überarbeitete und ergänzte Neuauflage der fast 700-seitigen Schwarte, die erstmals im Jahr 1986 auf den Markt kam und zum 70. Geburtstag des wohl bekanntesten Singer/Songwriters aller Zeiten wieder neu aufgelegt wurde. Seine Berechtigung hat dies durch die Tatsache, dass das Buch wohl zweifelsfrei eines der besten über den Amerikaner und dazu das einzige ist, an dem Dylan selbst jemals höchstpersönlich beteiligt war.
Robert Shelton stand der Legende zeit seines eigenen Lebens sehr nahe und war wohl einer der allerersten Journalisten, die den damals blutjungen Sänger im Greenwich Village des Jahres 1961 interviewt hatten. Shelton geht chronologisch vor, beschreibt (manchmal etwas ZU) ausführlich Dylans Kindheit und die Umstände sowie die Umgebung, in der der Musiker aufwuchs. Von früh an war der Protagonist begeistert von der Dichtung und dem Rock'n'Roll, viel weniger dagegen von seiner Heimatstadt Hibbing in Minnesota, die er als tumbe Einbahnstraße für zwar noch lebende und dennoch bereits tote Mitbürger sah. Dead men walking, sozusagen...
Es folgte eine relativ kurze Zeit an der Universität von Minneapolis, während der sich sein gesteigertes Interesse für die Beat-Generation (Jack Kerouac etc.), die Folk Music und den Arbeiter-Helden wie Sänger Woody Guthrie immer tiefer in seine Psyche bohrten. Bis hin zu dem Punkt, dass er den zu diesem Zeitpunkt unheilbar kranken Guthrie zunächst in einem Sanatorium in New Jersey (unweit New Yorks) besuchte sowie schließlich den großen Absprung machte und mit seiner Gitarre gänzlich nach New York City umsiedelte. Und dort, im Greenwich Village beginnt dann die unglaubliche Geschichte eines Mannes, der bereits wenige Jahre später (von anderen) als Sprachrohr seiner Generation angesehen wurde.
Shelton war in diesen Anfangsjahren, auf die sich das Buch ganz klar konzentriert, teilweise hautnah an Dylan dran und mit ihm in gewisser Weise sogar befreundet, was ein Journalist danach nie wieder auch nur annähernd geschafft hat. Deutlich wird, dass Mr. Zimmerman schon immer, speziell auch in jungen Jahren bereits eine komplizierte Persönlichkeit war, aus der man oft nicht schlau wurde. Dylan wusste immer um die Macht des Mysteriums, des Geheimnisvollen und des Ungewissen, das er um seine Person herum aufbaute. Er erfand seine Vergangenheit neu, verschwieg oder verleugnete seine Eltern und seine Herkunft bis zu dem Punkt, dass seine Antworten auf Interviewfragen diesbezüglich von aggressiv bis ins Haarsträubende gingen.
Und dennoch schafft es der Autor, auch viel Licht ins Dunkel der Vergangenheit zu bringen. Dies geht von Dylans Abneigungen gegen Organisationen jeglicher Art bzw. sich vor deren Karren spannen zu lassen, frühen Freundinnen bis hin zu der sehr Problem beladenen und schwierigen Beziehung zwischen ihm und Joan Baez. Man bekommt einen Einblick in die Psyche des Mitte 1966 vollkommen ausgebrannten Musikers, der - wäre nicht der Motorrad-Unfall dazwischen gekommen - noch weitere, bereits gebuchte Mammut-Touren vor sich gehabt hätte, und den stillen Ehemann und Vater der späten sechziger Jahre.
Ein bisschen schade ist hingegen, dass die Siebziger für meinen Geschmack doch etwas zu kurz kommen. Speziell die Kapitel über die 1974er Tour und Wiedervereinigung mit The Band und (allem voran) die Rolling Thunder Revue (1975/76) hätten ruhig doppelt so lang sein dürfen, denn zu erzählen gibt es von diesen Großereignissen sicher genug. Aber gut, der Autor mag zu dieser Zeit nicht mehr ganz so nahe am Geschehen gewesen sein, jeder Leser mag sowieso seine eigene Lieblings-Phase in Dylans Leben haben und was bzw. wie Shelton das zusammengetragene Material präsentiert, ist nicht nur extrem unterhaltsam, sondern auch höchst informativ.
Wer nicht nur einen groben Abriss über das Leben dieses Musikers, sondern einen tieferen Einblick in dessen Psyche haben möchte, der ist mit diesem Buch allerbestens bedient. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass es diesbezüglich keine bessere Lektüre als "No Direction Home" gibt. Weitere 'Aha'-Erlebnisse stellen sich dadurch ein, dass Shelton die Songs fast aller Alben von 1962 bis 1978 in Bezug auf die Texte kurzweilig seziert und analysiert.
Eine hervorragende Ergänzung zu diesem Buch ist übrigens Martin Scorseses Film gleichen Namens, der sich ausschließlich mit den Jahren bis zum Motorrad-Unfall beschäftigt und am Ende der '66er England-Tour mit dem völlig kaputten Dylan und dessen Worten »I just wanna go home« schließt. Fazit: Absolut lesenswert!
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