Daedalus / The Never Ending Illusion
The Never Ending Illusion Spielzeit: 57:22
Medium: CD
Label: Progrock Records, 2008
Stil: Prog Metal

Review vom 26.01.2009


Boris Theobald
Es ist schon das zweite Album von Daedalus nach "Leading Far From A Mistake" von 2003. Da die Italiener zwischenzeitlich aber Sänger und Gitarrist ausgetauscht haben, fühlt sich "The Never Ending Illusion" wie ein Neuanfang an. Gegenüber dem Debüt zeigen sich Daedalus deutlich gereift. Und Sänger Davide Merletto ist trotz seines hartnäckigen Akzents gesanglich eine echte Verstärkung.
Daedalus spielen ziemlich kompakten Progressive Metal, bei dem man im Gegensatz zu vielen Mitstreitern eigentlich nie das Gefühl hat, die Instrumentalisten müssten der Welt zeigen, was man in Genua so auf dem Kasten hat. Dass sie würdig sind, die Doktor-Mützen der Prog-Akademie zu tragen, beweisen sie mit wohl platzierten und songdienlichen Parallel-Läufen, kleinen aber feinen Keyboard-Gitarren-Duellen oder auch zahlreichen und durchaus nicht unkomplizierten Rhythmuswechseln.
Die außerordentliche handwerkliche Begabung kommt allerdings wie selbstverständlich rüber. Die Songs haben einen Flow, der nicht durch Exerzizien bestimmt wird. Stattdessen sind die Melodien der rote Faden. Und das ist auch gut so, denn das macht die Musik von Daedalus emotional und eingängig. Der Gesang ist so extrovertiert, dass er mich teils an Angra erinnert ("Life"). Untermauert werden die ausschweifenden Melodien oft von harten und düsteren Staccato-Riffs und Gitarrenarbeit mit großer melodischer Eigendynamik im Stile von Bands wie Circus Maximus oder Symphony X.
Hinzu kommt eine interessante Experimentierfreudigkeit. Man weiß eigentlich nie so recht, wohin sich ein Song noch entwickeln wird. Mit meist fünf bis sechs Minuten Spielzeit sind die Stücke kompakt, und doch komplex. So ist "A Journey to Myself" wahrhaftig eine 'Reise', ein mitreißendes Wechselspiel von optimistischen Melodien, unterkühlten, elegischen Atmosphären und sich ziemlich abrupt entwickelnder Dramatik.
Noch stärker ist nur der neunminütige Titeltrack "The Never Ending Illusion" - eine emotionale Achterbahnfahrt als progmetallische Super-Collage von der Technik-Trickkiste Dream Theaters bis hin zu jazzigen Einschüben, fast so undogmatisch wie Beyond Twilight bei ihrem Riesen-Experiment "For The Love Of Art And The Making". Der Soundtrack zu einem modernen, düster angehauchten Fantasy-Märchen könnte kaum fantasievoller sein. Sogar der Refrain, der in großen zeitlichen Abständen, stets unerwartet und auch noch jedes Mal mit anderen Lyrics daher kommt, ist ein kleines Kunstwerk - wieder so eine extravagante Melodie, die man einfach nicht vorhersehen (-hören?) kann.
Auch die Ballade "Cold Embrace" ist durchaus außergewöhnlich. Zunächst klingt man ähnlich wie Dream Theater in ruhigem Fahrwasser ("Vacant", "The Answer Lies Within" etc.) - wehmütiger Gesang, begleitet von Klavier, dann Akustik-, dann verzerrter Gitarre. Dank der Entwicklung bleibt man dran - und wird überrascht von einem Horn-Solo und der Stimme von Gastsängerin Lucia La Rosa. Die ungleich prominentere Gaststimme von Labyrinth-Sänger Roberto Tiranti ist indes dank der Ähnlichkeit zu Davide Merlettos Stimme schwerer auszumachen. Die zweite Stimme im reinen Männer-Duett bei der italienischen Rausschmeißer-Ballade "Mare Di Stelle", die könnte es aber sein...
Abgerundet wird das Album von einem schön gemachten surrealistischen Artwork, das Prog-Liebhaber sofort anspricht. Man betrachte nur die Sturmfront über der Mauer und den gleichzeitig herrlich blauen Himmel beim Blick durchs Fenster. Das Bild auf dem Cover setzt sich auf der Rückseite des Booklets fort. Dort liegt ein Stuhl am Boden, die Mauer ist eingebrochen und der blaue Himmel hinter dem Fenster futsch. Allein diese optischen Spielereien regen doch schon zum Nachdenken an.
Auch die Texte sollen laut Band in unterschiedlicher Weise die Grenze zwischen Wirklichkeit und Illusion thematisieren. Immer ein gutes Konzept, doch beim Mitlesen bin ich ziemlich schnell rausgekommen - zu kryptisch sind die Dichtungen der Herren Daedalus. Der italienische Proggo-Poetry-Slam klingt zwar immer wieder ganz interessant, aber man weiß eigentlich nie, um was es geht. Textlich darf es also beim nächsten Mal einladender werden.
Musikalisch sind Daedalus dagegen schon sehr weit - sie klingen im rein italienischen Vergleich weit weniger künstlich und konstruiert als beispielsweise die Kollegen von ProgessiveXperience, jedoch noch nicht so unverkennbar wie Pathosray.
Starke Angelegenheit mit Luft nach oben!
Line-up:
Davide Merletto (vocals)
Andrea Torretta (guitar)
Fabio Gremo (bass)
Giuseppe Spanò (keyboard)
Davide La Rosa (drums)
Tracklist
01:Waiting For The Dawn
02:Perfect Smile
03:Life
04:Hopeless
05:Cold Embrace
06:The Never Ending Illusion
07:The Dancers
08:Horizons In A Box
09:A Journey To Myself
10:Mare Di Stelle
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