Dawn Of Destiny / Praying To The World
Praying To The World Spielzeit: 65:51
Medium: CD
Label: Phonotraxx, 2012
Stil: Symphonic Metal


Review vom 04.04.2012


Boris Theobald
Bevor Studioalbum Nummer vier in Angriff genommen werden konnte, mussten sich Dawn Of Destiny erst einmal ein wenig sortieren. Nach diversen Schlagzeug-Rochaden spielte schließlich ein Gast-Trommler das Album ein - gut, wenn man so begabte Bekannte hat. Aber wohl noch viel bedeutsamer und natürlich sehr einschneidend für eine Metal-Band mit Frontfrau: Nach dem Ausstieg von Mitgründerin Tanja Maul brauchte die Band eine neue Stimme. Es wurden zwischenzeitlich gar zwei - doch vom Duo blieb nur eine übrig: Jeanette Scherff. Und 'Dawn Of Destiny 2.0' können sich mehr als hören lassen: Scherffs Stimme ist ein edles i-Tüpfelchen auf einem außergewöhnlichen Album pickepackevoll mit einer spannenden Mischung aus Symphonic- und Speed- und Prog- und Power-, Gothic- und Melodic- und Was-nicht-noch-alles-Metal...
... die Mischung ist wirklich das Besondere bei den Bochumern. Und natürlich das kreative und intuitive Songwriting, das die zahlreichen Einflüsse miteinander verschmelzen lässt. Man pendelt gekonnt zwischen düster-druckvollen Double Bass-Drangphasen und atmosphärisch-melodischer Schwerelosigkeit. Mit ihrer technisch hochfeinen Tempoarbeit können Dawn Of Destiny aggressiv und thrashig klingen wie Annihilator ("My Life Lies In Ruins"), aber auch edel-opulent wie in den schönsten Melodic Metal-Musical-Momenten von Avantasia ("Miracles") oder Labyrinth. Als alternative Gangart kommt ihr Mid Tempo-Hard Rock mal mit majestätischem Pathos à la Magnum daher (wieder "Miracles") und mal wie straighter Heavy Metal 'truester' Prägung der Marke Dio oder Scorpions ("Promised Land").
Lauscht man besagten Songs jedoch just im 'falschen' Moment, so sind alle Vergleiche im Handumdrehen ad absurdum geführt. Denn dann verführen genau die selben Stücke plötzlich mit wehmütig-verträumten Gänsehautmelodien, die Serenity oder Pyramaze in nichts nachstehen. Kein einziger Song ohne Überraschungseffekt. Allesamt kleine Kunstwerke, die vom Gesang Jeanette Scherffs veredelt werden. Der große Pluspunkt dieser Stimme ist die sehr individuelle, warme Klangfarbe. Um einen 'unerlaubten' Quervergleich im Pop-Bereich anzustrengen: Sie erinnert leicht an Joana Zimmer. Scherff wirkt unglaublich talentiert und kann butterweich-märchenhaft ("Misunderstood" - großartiger a-cappella-Einstieg) rüberkommen, aber auch schwermetallisch druckvoll und 'böse' ("One Last Word" oder "My Four Walls" mit Hammerfall-Touch).
Damit nicht genug: Der nicht zu knappe Einsatz einer männlichen Stimme stößt weitere stilistische Türen auf. Bassist Jens Faber steuert einige Passagen Clean-Gesang bei, aber auch aggressive Growls, die als Stilmittel nur in engen Grenzen auftauchen. Das Zusammenspiel beider Stimmen nutzen Dawn Of Destiny äußerst variantenreich. Bei "Another Pain" erleben wir einen rasanten Call And Response-Refrain zwischen zauberhafter Frauenstimme und krassen Growls. Beim Titelsong "Praying To The World" ein 'fantastisch'-dramatisches Mann-Frau-Duett und bei "Beast Human" einen 'bösen Onkel' mit Oliva'eskem Zwischen-Gekeife. Im Finale von "Misunderstood" ist es gar ein ausgewachsener Kanon zum Hören, Staunen und Träumen - und der Chorus von "Place Of Mercy" veranschaulicht, wie Gegensätze einander anziehen können. Da glänzt Jeanette Scherff zusätzlich zur normalen Melodielinie noch mit berauschend hohem, kristallklarem Hintergrundgesang, und zugleich growlt Jens Faber im Hintergrund mit - nicht zu laut; perfekt abgemischt. Da wird einem ganz heiß und kalt.
So fügen sich die Gesangsarrangements genau in die Detailverliebtheit ein, welche die Band auch in instrumentaler Hinsicht auszeichnet. Die kleinen, aber feinen Frickelsoli der Gitarre. Keyboards, die lyrische Leichtigkeit und epische Schwere erzeugen und dabei nicht einfach kitschigen Kitt in die Klangräume kleistern, sondern die süchtig machenden Leitmelodien fein umspielen und den vielschichtigen Sound der Band um eine unverzichtbare Ebene erweitern. Und schließlich die enorm tighte Rhythmussektion, die mit ihren steten Wechseln und dynamischen Durchentwicklungen dafür sorgt, dass auf der Detailebene kaum ein Takt dem anderen gleicht. Während gut 65 Minuten Spielzeit hat man kaum die Chance, sich an irgendetwas 'satt' zu gewöhnen. Auf diese Weise kann sich die Gruppe neben zahlreichen hypnotisch schönen Melodie-Highlights sogar einen Durchschnitts-Refrain wie bei "Another Pain" leisten; denn man weiß immer: Da kommt noch was...
So, wie jeder der 13 Songs in sich seine Highlights hat, so stechen dennoch ein paar Einzelstücke als Ganzes heraus. "The Right Path" ist ein fesselndes, düsteres musikalisches Fantasy-Märchen mit einer Art 'Phantom der Oper'-Hookline. "Misunderstood" wirkt mit seinen gut sieben Minuten in sich wie ein kleines Konzeptalbum mit unendlich vielen intuitiv gelungenen Wechseln. Und "Beast Human" besticht als monumentaler Schlepper mit brachialer Schwere und mystischer Anziehung. Und je öfter dieses Album im CD-Spieler rotiert, desto mehr bestätigt sich das Gefühl: So packend könnten Nightwish klingen, wenn sie zuletzt auf "Imaginaerum" nicht völlig abgedriftet wären - Komplexität und Bannkraft müssen einander nicht ausschließen. Vielleicht sind Dawn Of Destiny sogar eine ernsthafte Qualitätskonkurrenz für Kamelot, wenn sie auf diesem Niveau bestehen, auch live mitreißen können und nicht zuletzt auch die breite Genre-Öffentlichkeit erreichen, die ein Meisterwerk wie "Praying To The World" mit Sicherheit verdient hat.
Line-up:
Jeanette Scherff (lead vocals)
Veith Offenbächer (guitars, backing vocals)
Jens Faber (bass, lead & backing vocals, growls)
Dirk Raczkiewicz (keys)

Guest musician:
John S. (drums)
Tracklist
01:My Life Lies In Ruins (5:21)
02:The Right Path (4:31)
03:Miracles (4:11)
04:Place Of Mercy (4:36)
05:Misunderstood (7:17)
06:Promised Land (3:51)
07:Another Pain (3:42)
08:My Four Walls (3:58)
09:Beast Human (6:41)
10:Bleeding Me (6:41)
11:One Last Word (4:01)
12:This Aching Heart (4:39)
13:Praying To The World (6:20)
Externe Links: