Wenn eine Band in zehn Jahren ganze zwei Studioalben veröffentlicht, kann man mit einiger Gewissheit davon ausgehen, dass es sich bei den 'Machern' hinter den Kulissen um Tüftler handelt. Und zwar nicht um Daniel Düsentrieb'sche Bruchpiloten, sondern um Visionäre, die ein bis in den Winkel durchdachtes Werk abzuliefern gedenken. Das will ich sehr gerne auch dem im Iran gebürtigen Gitarristen Sepand Samzadeh und seinem kongenialen Partner Oscar Fuentes, seines Zeichens 'Herr der Schlüssel' von Days Between Stations, zugestehen.
Inspiriert wurden die beiden Kalifornier für ihr Zweitwerk "In Extremis" von einer Novelle des kanadischen Schriftstellers Steve Rune Lundin aka Steven Erikson. "In Extremis" [lat. für im Sterben liegend] ist ein Konzeptalbum, das sich mit einem Mann, an der Schwelle des Todes stehend, auseinandersetzt - ein anspruchsvolles Thema, das die fünfjährige Kompositionsphase durchaus rechtfertigt.
Schielte der Vorgänger, offenbar eine richtig tolle Scheibe, noch deutlich in die psychedelische Ecke, so ist "In Extremis" dem (britischen) Art Rock verpflichtet... Was immer das auch bedeuten mag, möchte man gleichermaßen ketzerisch wie augenzwinkernd anmerken, denn die Abgrenzung zum Progressive Rock ist nicht nur fließend, sondern auch höchst umstritten. Als Indizien für die gewagt eindeutige Kategorisierung könnten die überaus komplexen, an Strukturen der Klassik orientierten Arrangements und natürlich das Konzept an sich gewertet werden.
Schaut man sich die Riege der Musiker an, die Sepand Samzadeh und Oscar Fuentes zur Mitarbeit an diesem Projekt gewinnen konnten, ist die Yes-lastigkeit augenscheinlich. Dabei ist Billy Sherwood omnipräsent - Rick Wakeman drückt einer der beeindruckendsten Kompositionen, "Eggshell Man", glasklar seinen Stempel auf. Ihren zusätzlichen Reiz beziehen die letzten beiden Aufnahmen - immerhin knapp 34 Minuten lang - aus der Tatsache, dass es sich um die letzten Studiotakes des im März verstorbenen Yes-Mitbegründers Peter Banks handelt.
Der ebenfalls allgegenwärtige Tony Levin veredelt durch sein prägnantes Bassspiel nahezu jedes Arrangement. Er ist und bleibt vorerst der beste Bassist auf diesem Planeten und unterstreicht diese Stellung auf "In Extremis" mal wieder eindrucksvoll!!
So großartig die komplexen Kompositionen und deren Einbettung ins Gesamtkonzept auch sind, so offensichtlich sind die Schwächen bei den gesanglichen Leistungen. Der sicherlich begnadete Schlagwerker Billy Sherwood mag vielleicht von Herzen gerne singen, aber ich bevorzuge da eher die alte Lebensweisheit »lieber gut gemacht als gut gemeint«!! Seine Stimme ist ausdrucks- und emotionslos, ohne jeglichen Esprit. Auch die Modulationsfähigkeiten kann man nur als sehr eingeschränkt bezeichnen. Colin Moulding macht seine Sache bei "The Man Who Dies Two Times", der ausgekoppelten Single, nur unwesentlich besser. Im Gegensatz zur Musik wurde beim Gesang gekleckert und nicht geklotzt!
Da wirkt es fast schon symptomatisch, dass meine Anspieltipps allesamt (weitgehend) ohne fragwürdige Vokalleistungen auskommen. "No Cause For Alarm" hätte problemlos auf den besten Alben des Alan Parsons Project (den ersten drei!!) einen herausragenden Platz einnehmen können. "Waltz In E Minor" bedient hochgradig meine ausgeprägte Vorliebe für Klassische Musik. Der "Eggshell Man" lebt fraglos - nachdem der einschläfernde Gesang zu Beginn verklungen ist - durch die musikalische Genialität von Peter Banks und Rick Wakeman. Ali Nouris Târ, eine persische Langhalslaute, bringt überraschende, exotische Farbtupfer ins Spiel. Der zwanzigminütige Titeltrack besticht durch seine mit zahlreichen Accessoires gespickte klangliche Vielfalt. Breite Mellotron-geschwängerte Klangwände werden mit verspielten Mini Moog- und Kirchenorgelsequenzen und einem überaus variablen Gitarrenspiel (mal wieder Banks) versetzt. Ein herausragender Sänger hätte hier allerdings noch einiges 'reißen' können...
Mit "In Extremis" wäre dem Tüftler-Duo Days Between Stations beinahe ein musikalisches Kleinod gelungen, das in seiner breit gefächerten Vielfalt keineswegs überfrachtet erscheint. Allerdings fehlt es dem Album neben den eingehend beschriebenen Kritikpunkten etwas an Eigenständigkeit, an fantasievollen Überraschungsmomenten. Zu vieles glaubt man in über vierzig Jahren Art Rock bereits schon einmal gehört zu haben.
Ein gehobenes, weit über dem Prog Rock-Einerlei liegendes Niveau kann man "In Extremis" aber ganz gewiss nicht absprechen! Für Freunde der Yes'schen Epigonen ist es ohnehin ein Pflichtkauf. Prädikat: Durchaus lohnenswert.
Line-up:
Sepand Samzadeh (guitars)
Oscar Fuentes (piano, e-piano, synthesizer, Mellotron, organ, percussion)
Additional Musicians:
Billy Sherwood (vocals, drums)
Tony Levin (bass, Chapman Stick, NS upright and electric basses, funky fingers)
The Angel City Orchestra and Brass Section (- #1,2,3,6,8)
Josh Humphrey (keyboard effects - #2, electric drums and programming - #3)
Matt Bradford (Dobro - #3)
Chris Tedesco (trumpet - #3,8)
Colin Moulding (vocals - #5)
Peter Banks (guitars - #7,8)
Rick Wakeman (keyboards - #7)
Ali Nouri (Târ - #7)
Jeffery Samzadeh (vocals - #8)
The Barbershop Quartet (vocals - #8)
Tracklist |
01:No Cause For Alarm [Overture] (3:51)
02:In Utero (3:10)
03:Visionary (10:40)
04:Blackfoot (10:04)
05:The Man Who Dies Two Times (4:11)
06:Waltz In E Minor (2:04)
07:Eggshell Man (11:56)
08:In Extremis (21:37)
a)Mass
b)On The Ground
c)A Requiem
d)Writing On Water
e)Overland
f)It Never Ends
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Externe Links:
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