Deep Purple / Made in Japan
(25th Anniversary Edition)
Made In Japan Spielzeit: 76:19 (CD 1), 21:46 (CD 2)
Medium: Doppel-CD (Remastered)
Label: EMI Records 1993, (Purple Records 1972)
Stil: Heavy Rock


Review vom 29.08.2006


Manni Hüther
Der wichtigste Satz gleich zu Beginn: Wer seine Musik lieber in Dreiminuten-Häppchen genießt, wird wohl auch mit diesem Meilenstein nichts rechtes anzufangen wissen.
In unsere Rubrik Vergessenen Perlen passt diese richtungsweisende Platte logischerweise nicht, denn die hat man ja nicht neben oft wenig sagendem Durchschnittsgedudel im Regal stehen oder hätte sie je vergessen. Ganz im Gegenteil!
Deep Purples »Mark II« Besetzung ist sicher für viele (oder gar die meisten?) Fans dieser Band das klassische Line-up schlechthin. Zwar floppte die erste mit Ian Gillan und Roger Glover eingespielte LP "Concerto For Group And Orchestra" - obwohl die Idee durchaus was hatte. Dann aber besann man sich auf seine Stärken und der neue Kurs war ein voller Erfolg. Die fünf Briten veröffentlichten mit "Deep Purple In Rock" (1970), "Fireball" (1971) und "Machine Head" (1972) drei Meisterwerke in Folge, die sich - bitte kein lamentieren - zwischen frühem Heavy Metal und Hard Rock einpendelten, wobei "In Rock" die für mich persönlich überzeugenste Platte war, "Machine Head" ein absoluter Klassiker wurde und auch mehrere Songs von "Fireball" - etwa das lange "Fools" - den Test der Zeit unbeschadet überstanden haben. Wer diese Alben nicht kennt, sollte nochmal von vorne anfangen.
Das war schon eine besonders spannende Zeit und ich erinnere mich gut, 1970 ein privates Duell mit meinem Freund Gerald ausgetragen zu haben, was denn nun der bessere Song sei. Ich tendierte eindeutig zu "Flight Of The Rat" von Deep Purples "In Rock"-Album, während er mich davon zu überzeugen versuchte, dass dies eben "Voodoo Chile" [sic!] der 68-er Hendrix-Platte "Electric Ladyland" sei. Wie auch immer, dieses Hendrix-Meisterwerk muss natürlich auch noch in die unsere Datenbank aufgenommen werden.
Wir bei RockTimes kennen uns ja nun nicht nur mit aktuellen Klängen aus, sondern haben auch die Anfangszeiten selbst miterlebt, sind somit nicht auf Hörensagen oder (zu) spätes Kennenlernen angewiesen und können die Platten auch im Kontext ihrer (und damit unserer) Zeit darstellen. Im Umkehrschluss heißt das nun jedoch auch: Neben mir gibt es hier noch andere alte Rocker (um nicht zu sagen: Alte Säcke)... Ähem... räusper...
Zurück zu Deep Purple: Zu Beginn des Jahres 1972 spielte die Band ein fast grausam zu nennendes Schedule in den USA und Canada, um dann im Frühherbst nach Japan aufzubrechen. Ian Gillan muss schon die eine oder andere Gehirnzelle verloren haben, wenn er in seinem Buch "Child in Time" (ISBN: 1-85685055-2) schreibt: »We arrived for our only Tour of Japan in June 1973...« - mein lieber Herr, das ist fast um ein Jahr daneben! Er gibt ferner zu verstehen, dass er absolut nichts von Live-Alben hält und dies lieber den Bootleggern überlassen hätte. Zum Glück hat niemand auf ihn gehört, denn die Mitschnitte aus Japan wurden nicht nur ein platinveredelter Millionenseller, sondern katapultierte Deep Purple gerade in den USA in den Status der uneingeschränkten Headliner.
Mit "Highway Star" gelang ein Einstieg nach Maß: Ritchie Blackmores messerscharfe Soli auf seiner Stratocaster und die klug gesetzen Keyboard-Arrangements von Jon Lord, die sich über der ebenso machtvollen wie perfekt im Zeitmaß agierenden Rhythmusmaschinerie aus Roger Glovers Bass und Ian Paice' Drums packende Duelle lieferten, haute die Fans rund um den Erdball aus den Socken. Der zeitweise fast an Hysterie grenzende Gesang bzw. die darin untergebrachten 'Urschreie' von Ian Gillan legten noch das Sahnehäubchen drauf.
Das epische "Child In Time" vom "In Rock"-Album macht hörbar deutlich, was Gillan als junger Mann seinen Stimmbändern zumuten konnte, ohne dass die Stimme brach. Auch seine in identischer Stimmlage mit der Gitarre ausgetragenen 'Duelle' auf "Strange Kind Of Woman" sind dermaßen überzeugend gewesen, dass man ihn wohl locker als Blaupause eines Rockvokalisten bezeichnen konnte.
Was heute kaum noch jemand ohne das Gesicht zu verziehen hören kann, ist wohl das klassische Riff im Business überhaupt. "Smoke On The Water" war so eingängig, dass man sich im Laufe der Zeit durch das viele Spielen des Songs zwangsläufig daran übersättigen musste. Das war jedoch im Jahr seiner Veröffentlichung natürlich ganz anders und nicht nur ich, sondern buchstäblich jeder meiner Kumpels nudelte das Werk im Dauerbetrieb. Die Liveversion lehnt sich stark an die Studiovariante von "Machine Head" an, die Soli sind etwas länger. Besser als die Studioversion? Da gibt es sicher geteilte Meinungen.
Ungeteilter Meinung ist man jedoch, dass "The Mule" deutlich mehr Power rüberbringt, als sein auf "Fireball" erschienenes Studiopendant. Und ein Drumsolo von der Klasse, die Ian Paice hier in Japan ablieferte, machte auf einer Liveplatte auch richtig Sinn. Nach dem oben schon angesprochenen, mit dem überragenden Vokal/Gitarre-Vortrag garnierten "Strange Kind Of Woman" - auch dadurch auf über neun Minuten gedehnt - hieß es dann: Vorhang auf für Jon Lord, der auf dem knapp über zehnminütigen "Lazy" alle Register zieht und sich zeitweise regelrecht entfesselte Duelle - einer sich mit dem anderen abwechselnd - mit Ritchie Blackmores liefert.
Den Schlusspunkt des Original-Doppelalbums zieht - wie ja fast jeder auf diesem Planeten weiß - das fast zwanzigminütige "Space Truckin'", das erstmals auf der im Dezember 1971 eingespielten und Anfang 1972 veröffentlichten Hammerplatte "Machine Head" erschien. Und hier als sozusagen krönender Abschluß machten Deep Purple für jeden nachvollziehbar, welche perfekt eingespielte Truppe da wirklich auf der Bühne stand.
Das viele Touren hatte sich gelohnt, hier wurde mit einer Präzision abgerockt, als gäbe es kein Morgen mehr und ließ jeden Genauigkeitsfanatiker (nicht das sind nicht nur Schweizer) erblassen. Drum-Stakkati hinter teilweise abgedrehten Keyboards, der Song hatte seinen Titel nicht aus purem Zufall. Es geht nach ca. 10 Minuten schon manchmal stark spacey zu, aber die Band bekommt mit unheimlich anmutender Spielsicherheit jederzeit die Kurve und lieferte eine Jam-Version ab, bei der einem die Spucke wegblieb. Ob heftig oder ruhig, die jeweiligen Übergänge in die verschiedenen Abschnitte gelingen traumhaft überlegen. Eine Band im Rausch und jeder der fünf jungen Musiker - zum Zeitpunkt dieser Aufnahme alle Mitte Zwanzig - auf Weltklasse Niveau!
Für damalige Verhältnisse so weit so gut. Aber seit uns EMI vor Jahren diese "25th Anniversary"-Edition beschert hat, ist die Freude bei allen Purple-Afficiondos vollkommen zu Recht groß: Zuerst einmal gelang den Technikern ein Remastering, das alles in den Schatten stellt, was an früheren Ausgaben von "Made in Japan" egal in welchem Land und unterschiedlicher Qualität auf den Markt kam, und die waren oft groß. (Nachzulesen in unserem Remastering-Artikel). Dies klingt hier so viel besser, dass jeder HiFi-Freak verzückt ist und selbst auf kleinem Equipment sind die Verbesserungen mühelos nachzuvollziehen. Aber das ist ja beileibe noch nicht alles, denn...
... der Remasterausgabe der damals im Guinnes Buch der Rekorde als lauteste Band verzeichneten Deep Purple hat man auf einer zweiten CD auch noch drei Bonustracks aus den Shows in Japan spendiert, wenn auch nur knapp über 20 Minuten. Davon macht "Lucille" aber klar, warum es nicht auf der ursprünglichen Platte berücksicht wurde. Nicht schlecht, aber auch nicht auf dem mitreißenden Niveau des Longplayers. Oder noch einfacher: Man kannte den Song nicht und er sticht auch nicht heraus.
Ganz im Gegensatz zu "Black Night", das im Juli 1970 in einer damals üblichen Praxis nur als Single erschien und nun in der erstmals erhältlichen Livefassung der Japan Tour mit seinen gnadenlosen Soli von Gitarre und Keyboards genauso anmacht wie die lange, einerseits harte, andererseits verspielte Version von "Speed King". Diese beiden Songs stehen ganz in der Tradition der hohen Schule des Rock, die Deep Purple zu jener Zeit zu liefern imstande war. Eigentlich hätten die auf dem Originalalbum nie fehlen dürfen, aber mit der Spielzeitlimitierung von LPs hätte es ja eine Dreifach-LP werden müssen, und das war auch ökonomisch nicht durchsetzbar. Umso schöner, die nun doch noch hören zu können!
Das Fazit fällt bestimmungsgemäß kurz aus: Da auch die Ausstattung des Booklet hervorragend gelungen ist, kann es nur heißen: zum Midprice (ca. 9 €) kaufen, sich damit in die Anfangszeit des Rock zurückbeamen und das Ganze genießen! ... und sich manchmal wundern ... whatever happened to Rock'n'Roll?
Die Antwort hat die Band leider selbst gegeben: Man zoffte sich und als letztes Vermächtnis von Deep Purple »Mark II« ist noch die gute "Who Do We Think We Are" entstanden, mit mehreren tollen Einfällen wie "Mary Long", "Super Trouper" und vor allem dem Wahnsinnssong "Place in Line". Aber danach war die Sollbruchstelle erreicht. Reunions hin oder her, das klassische Line-up scheint sowieso undenkbar, während Mr. Blackmore als Minnesänger unterwegs ist. Lassen wir uns also lieber von der Original-Power überwältigen. Dazu muss man nur den Regler weit genug nach rechts drehen...
Selten trifft die Floskel »Diese Platte gehört in jede Sammlung« so zu wie in diesem Fall.
Line-up:
Ian Gillan (vocals)
Ritchie Blackmore (guitars)
Roger Glover (bass)
Jon Lord (keyboards)
Ian Paice (drums)
Tracklist
CD 1: Made In Japan
01:Highway Star (6:43)
02:Child In Time (12:17)
03:Smoke On The Water (7:36)
04:The Mule (Drum Solo) (9:28)
05:Strange Kind Of Woman (9:52)
06:Lazy (10:27)
07:Space Truckin' (19:54)
CD 2: The Encores
01:Black Night (6:18)
02:Speed King (7:24)
03:Lucille (8:03)
Externe Links: